Durch die steigende Eigenverantwortung für die Gesundheit gibt es eine immer größere Hinwendung zu naturkonformen Heilmethoden.
"Wer heilt, hat recht." Dies ist ein in der Alternativmedizin äußerst beliebter Satz. Er wird vorzugsweise immer dann gesagt, wenn man das Unbehagen überbrücken will, das so manchen angesichts wissenschaftlich nicht belegbarer Wirkzusammenhänge bei einer alternativmedizinischen Heilung beschleicht. "Wer heilt, hat recht" heißt dann nämlich nichts anderes wie "Ende gut, alles gut." Denn nur das nackte Ergebnis zählt.
Doch wer oder was heilt wirklich? Und warum?
Das lässt sich oft nicht eindeutig beantworten - und es ist darüber hinaus ein weit verbreiteter Trugschluss, dass die zeitliche Abfolge zweier Ereignisse immer auch eine Beziehung zwischen der Ursache und der Wirkung haben muss. Vor allem nicht in der Medizin.
Wer zum Beispiel an irgendeiner der -zigtausend zur Verfügung stehenden aromatischen Essenzen schnuppert, vielleicht noch ein paar Globuli einnimmt (in denen ja praktisch keine Wirkstoffe mehr enthalten sind) und am nächsten Tag trotzdem wieder ohne Magendrücken und Darmbeschwerden durchs Leben geht, kann nicht mit Sicherheit behaupten, dass dies an der aromatischen Essenz in Verbindung mit der homöopathischen Arznei gelegen hat.
Das Komplizierte in der Medizin ist nun mal, dass es eben häufig nicht leicht zu sagen ist, ob nun ein bestimmtes Medikament oder Therapieverfahren, oder andere veränderte Rahmenbedingungen eine (positive) Zustandsänderung bewirkt haben könnten. Aus diesem Grund wird häufig in langen und häufig auch sehr teuren Studien versucht, an möglichst vielen Patienten unter möglichst gleichen äußeren Bedingungen zu testen, ob bei einem bestimmten Medikament in der Regel eine bestimmte Wirkung auftritt, oder nicht.
Das ist auch der Stoff, aus dem die Diskussionen sind.
Über kaum ein anderes gesellschaftliches Thema von Relevanz - denn krank wird schließlich jeder irgendwann einmal - lässt sich auch heutzutage noch so trefflich streiten, wie über die Wirkungsweisen der alternativen Medizin. Scharlatanerie, Naturheilmittel, Placeboeffekt und Einbildung gegen Apparatediagnostik, Antibiotika und Zeitmangel. Diese Auseinandersetzung bleibt selbstverständlich nicht nur auf die Patienten beschränkt, sondern tobt- und das teilweise besonders heftig - auch zwischen den Vertretern der klassischen Schulmedizin und den Vertretern der Naturheilkunde. Es ist schon erstaunlich: Gemessen an der Aufmerksamkeit, die dem Berufsstand des Heilpraktikers entgegengebracht wird, gibt es nur eine relativ geringe Zahl alternativer Therapeuten.
Vielleicht liegt ja die Wahrheit wie so häufig in der Mitte. Denn wo eindeutige wissenschaftliche Studien nicht vorliegen oder aus therapiespezifischen Gründen nicht möglich sind, heißt dies nicht, dass eine Behandlungstherapie - ob klassisch oder naturheilkundlich-orientiert oder komplementär - prinzipiell unwirksam sein muss. Es bedeutet bloß, dass man mit einer viel höheren Rate an Irrtümern rechnen muss. So existieren etliche Krankheiten, bei denen die Beschwerden zyklisch verlaufen: es gibt akute Phasen, zwischen denen längere Zeitabschnitte liegen können, in denen der Patient beschwerdefrei leben konnte.
Geht der betreffende Patient gegen Ende einer solchen akuten Phase zu einem Therapeuten, kann dieser leicht die bald darauf eintretende Besserung für sich und seine Methode reklamieren. Dabei hätte sie sich jedoch vielleicht auch ergeben, wenn er gar nicht eingegriffen hätte!
Fazit: Ob eine Behandlung auch beim nächsten Besuch des Patienten wieder anschlägt, hängt manchmal vom Zeitpunkt des Besuchs beim Therapeuten ab. Und außerdem gibt es - auch in der klassischen Schulmedizin - eine nicht zu unterschätzende Quote sogenannter "Spontanheilungen". Ohne dass jemand sagen könnte, woran es gelegen hat, verschwinden plötzlich die Beschwerden und der Patient kann als geheilt entlassen werden.
Doch die Gräben zwischen den Verfechtern der klassischen Schulmedizin und den Anhängern der "sanfteren" Naturheilverfahren sind nicht mehr so tief wie noch vor einigen Jahren. Die Grenzen verschwimmen, wenn auch langsam. Dies liegt vor allem daran, dass es den unmündigen Patienten, der sämtliche Verantwortung in die Hände der Ärzte abgibt, immer seltener gibt. Patienten, aber auch zunehmend Ärzte, erkennen mittlerweile die Grenzen der konventionellen Medizin an, im Besonderen, wenn es um die Behandlung chronischer Krankheiten geht. Und immer mehr Ärzte, die sich niederlassen, haben inzwischen naturheilkundliche Therapieformen im Angebot; vor allem die Traditionelle Chinesische Medizin liegt voll im Trend.
Durch diese steigende Eigenverantwortung für die Gesundheit, durch das gesteigerte Bewusstsein für den eigenen Körper, können wir daher eine immer größere Hinwendung zur vorbeugenden, zur Präventiv-Medizin und damit zu den naturkonformen Heilmethoden konstatieren. Und vor allem der Heilpraktiker mit seiner ganzheitlichen Sichtweise und seinem Bezug zur Natur entspricht dem Wunsch der modernen Patienten nach nachhaltigen Therapieformen.
Im Gegensatz zum Leistungs- und Termindruck sowie dem Budgetzwang eines niedergelassenen Kassenarztes kann der Heilpraktiker seinen Patienten für Diagnose, Beratung und Heilung wesentlich mehr Zuwendung und Zeit schenken. Eine solche sorgfältige Anamnese ist für einen ganzheitlichen Heilungsprozess unbedingt notwendig. Und kann zusammen mit der individuellen Kombination schulmedizinischer und naturheilkundlicher Verfahren die Basis optimaler Heilerfolge sein, auch wenn die Kasse meistens nicht zahlt. Doch für unsere Gesundheit sind wir noch immer gern bereit, Geld auszugeben; manchmal auch zu viel davon. Das Angebot an unseriösen Naturheilverfahren ist groß, das Angebot an seriösen ist jedoch umso größer. Riesig. Homöopathie, Ayurvedische Medizin, Chiropraktik, Fußreflexzonentherapie, Traditionelle Chinesische Medizin, Osteopathie, Lichttherapie oder Reiki: die neue große Gesundheitsserie im Hamburger Abendblatt stellt in insgesamt 14 Folgen die bekanntesten alternativen Heilmethoden vor.
Wir haben uns vorgenommen, Sie, die Leserinnen und Leser des Hamburger Abendblatts über - speziell in Hamburg und in der näheren Umgebung ansässige - naturheilkundliche Praxen und Therapieformen zu informieren. Damit wollen wir Transparenz zu schaffen und natürlich auch Ihr kritisches Auge für die Alternative Medizin schärfen. Nicht zuletzt aber wollen wir ebenfalls versuchen, durch Aufklärung etwas gegen die Schwellenangst zu unternehmen, die noch immer rund 90 Prozent aller Bundesbürger gegenüber einer Naturheilpraxis beschleicht.
Aber im Zweifelsfall heißt es ja noch immer: "Wer heilt, hat Recht."
Montag lesen Sie:
Teil 1 der Serie: Homöopathie Nur ein Hauch von einem Nichts: Die klassische Homöopathie oder warum es häufig schwerfällt, die heilsame Wirkung der Kügelchen ("Globuli") zu verstehen.