Harburg/Hanstedt. Janina Lange kommt aus Eißendorf, trainiert in Hanstedt und startet am Wochenende bei den deutschen Mehrkampf-Meisterschaften.
Ganz entspannt sitzt Janina Lange im Eiscafé Venezia in Hanstedt, löffelt ihren Eisbecher und erzählt aus dem bewegten Leben einer Leistungssportlerin. „Wenn ich locker bleibe, bin ich am besten“, erzählt die 22 Jahre alte Leichtathletin. Ein Satz, den man ihr sofort abnimmt. In ihrer bisherigen Karriere, speziell in den vergangenen anderthalb Jahren, ist die junge Frau aus dem Hamburger Stadtteil Eißendorf mit dieser Einstellung hervorragend gefahren. Janina Lange hat sich in die erweiterte deutsche Spitze der Mehrkämpferinnen hochgearbeitet, hat bereits zwei Silbermedaillen auf Bundesebene gewonnen: 2019 bei den U23-Juniorinnen und 2020 im Hallen-Fünfkampf der Frauen.
In der deutschen Bestenliste 2020 an dritter Stelle
Mitte Juli steigerte sie ihre persönliche Bestleistung bei einem Siebenkampf in Lübeck um erstaunliche 244 Punkte auf 5830 Punkte und wird in der deutschen Bestenliste 2020 an Position drei geführt. Was das wert ist, wird sich am Sonnabend und Sonntag bei den deutschen Mehrkampf-Meisterschaften in Vaterstetten östlich von München zeigen. Weil in diesem Jahr die Olympischen Spiele in Tokio und die Europameisterschaften in Paris ausfallen, starten anders als üblich auch Spitzenathletinnen bei der Mehrkampf-DM – gemeldet haben unter anderem Carolin Schäfer (Vizeweltmeisterin 2017), Sophie Weißenberg, Anna Maiwald und Mareike Arndt, alle mit Punktzahlen deutlich jenseits der 6000-Punkte-Marke.
Janina Lange ist bei realistischer Betrachtung auf Rang fünf bis acht einzuordnen. Was ist ihr Ziel? „Ich mache mir selbst keinen großen Druck und habe mir vorgenommen, mich auf dem Level der neuen Bestleistung zu stabilisieren“, sagt die Eißendorferin. Ein wenig Druck entspringt der Historie, denn in ihren letzten sieben Siebenkämpfen hat Lange ihre Punktzahl immer weiter steigern können.
Janina Lange hatte viele Sportarten ausprobiert
Zeitsprung. In der Kindheit und Jugend probierte Janina Lange diverse Sportarten aus: Handball, Tennis, Hockey und viele Jahre Rudern beim RC Phönix Harburg. Über eine Arbeitsgemeinschaft in der fünften Klasse am Heisenberg-Gymnasium wurde sie auf Leichtathletik aufmerksam. „Ein Lehrer hat mich zum Verein geschickt und dann habe ich fünf Jahre bei der Turnerschaft Harburg bei Annemie Grabau-Gülk trainiert“, erzählt die Kauffrau.
Als sich die Gruppe langsam auflöste, wechselte Janina Lange 2012 zum SC Poppenbüttel, 2014 zum Athletik-Team Hamburg und 2017 zum MTV Lübeck, für den sie noch heute startet, obwohl sie längst wieder in Hamburg wohnt. Nach dem Abitur studierte Janina Lange Physiotherapie in Lübeck. Ihre Trainer waren Jens Scheppler und Dirk Schulz. Nach einem Sportunfall fiel sie länger aus, nutzte die Zeit zur Neuorientierung und ging zurück nach Hamburg. Statt des Studiums begann sie eine Ausbildung zur Kauffrau für Versicherungen und Finanzen bei der Signal Iduna.
Arbeitgeber Signal Iduna gewährt ihr Freistunden fürs Training
Seit Januar dieses Jahres arbeitet sie als Angestellte in der Abteilung Berufsunfähigkeit Leistungen. „Eine spannende Aufgabe, die mir gut gefällt.“ Auch aufgrund der flexiblen Arbeitszeiten. Der Vorstand ist auf die sportlichen Erfolge seiner Mitarbeiterin aufmerksam geworden. In der heißen Saisonphase muss sie derzeit nur sechs Stunden am Tag arbeiten. „Dadurch kann ich auch mal morgens vor der Arbeit und abends danach trainieren“, erzählt sie.
An den Aufwand ihrer Konkurrentinnen, die zehn bis zwölf Einheiten pro Woche investieren, kommt die sympathische Hamburgerin bei weitem nicht heran. Durchschnittlich trainiert sie sechsmal pro Woche. Einerseits schaut Janina Lange ein wenig neidisch auf Siebenkämpferinnen, die bei der Bundespolizei oder beim Zoll angestellt sind und oft freigestellt werden, andererseits braucht sie das vertraute Umfeld mit Familie und Freunden. „Ich bin ein Familienmensch. Mir ist es wichtig, mich wohl zu fühlen.“
Techniktraining bei Wolfgang Striezel in Hanstedt bringt sie nach vorn
Wohl fühlt sich Janina Lange auch in der Trainingsgruppe des MTV Hanstedt, der sie seit Sommer 2019 angehört. Ihr Heimtrainer Dirk Schulz vom MTV Lübeck, zugleich Siebenkampf-Landestrainer beim Schleswig-Holsteinischen Leichtathletik-Verband (SHLV), schreibt die Trainingspläne für sie. Bei der Umsetzung beschränkte sich Janina oft auf die Expertise von Mutter Manuela Lange. Das Duo trainierte auf der Sportanlage der Turnerschaft Harburg, wo Janina Lange Mitglied geblieben ist, in Coronazeiten auch auf Feld- und Waldwegen oder im heimischen Garten.
Gerade beim Training technischer Disziplinen ist das geschulte Auge eines erfahrenes Trainers wichtig. So wurden Schulz und Lange auf Wolfgang Striezel vom MTV Hanstedt aufmerksam, der Xenia Rahn auf ein Niveau von mehr als 6000 Siebenkampfpunkten geführt hatte. „Herr Striezel war sehr offen und die Zusammenarbeit klappt super. Er guckt nochmal ganz anders auf meine Technik. Auch die neuen Reize im Training haben mich nach vorn gebracht“, sagt Janina Lange, die im Schnitt dreimal pro Woche nach Hanstedt fährt und in der Gruppe sehr beliebt ist.
Ex-Siebenkämpferin Xenia Rahn gibt Tipps für Kugel und Speer
„Das ist eine coole und komplett durchmischte Gruppe. Da gibt es nicht nur Profis“, gibt sie das Kompliment zurück. Auch Xenia Rahn, die jüngst Mutter einer Tochter geworden ist, unterstützt Wolfgang Striezel gelegentlich als Co-Trainerin. „Sie gibt mir super Tipps für Kugel und Speer“, sagt Lange, die in diesen Wurfdisziplinen ihr größtes Entwicklungspotenzial sieht. Leider gehört der Diskuswurf nicht zum Siebenkampf, in dieser Disziplin zählte sie als Jugendliche und Juniorin mit einer Bestweite von 46 Metern ebenfalls zur erweiterten nationalen Spitze.
Mittelfristig strebt Janina Lange eine Konstellation an, in der sie noch mehr Zeit für den Sport hat. In zwei oder drei Jahren möchte sie die 6000-Punkte-Marke knacken und wie 2019 für den Thorpe-Cup nominiert werden, einem Mehrkampf-Länderkampf zwischen den USA und Deutschland. „Das ist eine richtig coole Veranstaltung mit viel Rahmenprogramm von Donnerstag bis Dienstag. Ich mag es, ausländische Athleten zu treffen und mich mit ihnen auszutauschen.“
Wenn Janina Lange entspannt und locker bleibt, könnte sie schon nach diesem Wochenende wieder ins Schwärmen geraten und sich zur Belohnung einen Eisbecher gönnen.
NADA-Kontrolleurin wich ihr drei Stunden nicht von der Seite
Mitglied im Bundeskader des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) ist Janina Lange nicht. Daher muss sie sich nicht im Kontrollsystem der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) registrieren und wird nicht während des Trainings kontrolliert. Nach Wettkämpfen mitunter schon.
Zuletzt war das im Februar nach dem zweiten Platz bei den deutschen Hallen-Mehrkampf-Meisterschaften in Leverkusen der Fall. Nach der Bekanntgabe wich ihr die NADA-Kontrolleurin drei Stunden nicht von der Seite. „Ich hatte eine Kopfblockade. Dass es so lange gedauert hat, war mir peinlich, weil meine Vereinskameraden auf mich warten mussten“, erzählt die 22-Jährige. Die Kontrolleurin habe sie aber beruhigt, deren Rekord-Wartezeit lag bei 21 Stunden.
ZDF ist live dabei
Das ZDF begleitet die deutschen Mehrkampf-Meisterschaften mit einer umfangreichen Live-Berichterstattung im Hauptprogramm und im Internet bei zdfsport.de.
Am Sonnabend von 13.30 bis 20.30 Uhr zeigt das ZDF im Livestream den ersten Wettkampftag im Siebenkampf und Zehnkampf.
Auch am Sonntag können Interessierte die Disziplinen des zweiten Tages von 11 bis 17 Uhr im Internet verfolgt. Im Hauptprogramm präsentiert „ZDF Sport extra“ am Sonntag von 15.35 bis 17 Uhr live die finalen Wettbewerbe bei den Frauen und Männern. Nachdem Bayern München das Finale der Fußball-Champions-League erreicht hat, das von 21 Uhr an ebenfalls frei empfangbar im ZDF zu sehen ist, wird es am Nachmittag bereits Vorberichte und Einstimmungen geben.