Hanstedt. Xenia Rahn ist auf ungewöhnliche Weise an Rolle im jüngsten „110“ aus Rostock gekommen: Sie wurde vom Regisseur gegoogelt.
Eine junge Frau in roter Jacke steht gedankenverloren am Ufer der Warnow. Plötzlich wird sie von zwei Männern angegriffen, schreit um Hilfe und kann sich, nachdem Kommissarin Katrin König dazwischen gegangen ist, losreißen und weglaufen. König bezahlt ihr beherztes Eingreifen mit einer leichten Gehirnerschütterung, die junge Frau wird wenig später ins Krankenhaus eingeliefert und stirbt an Stichverletzungen im Bauchraum.
Zwei Szenen aus den Anfangsminuten des aktuellen Polizeiruf 110, den am Sonntagabend 8,81 Millionen Zuschauer (26,0 Prozent Marktanteil) im Ersten verfolgten. Es war der letzte Fall der Rostocker Kommissare Alexander Bukow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) vor der Sommerpause.
Die Frau in der roten Jacke trainiert beim MTV Hanstedt
So weit, so normal. Alles andere als normal ist die Geschichte, die hinter der Besetzung der jungen Frau in der roten Jacke steckt. Vielen Sportfans im Süden Hamburgs dürfte das Gesicht bekannt vorgekommen sein, erst recht, als im Zuge der Ermittlungen herauskam, dass sie eine ehemalige Siebenkämpferin mit besonderem Talent für den Speerwurf verkörperte.
Das passt genau auf Xenia Rahn. Und tatsächlich war es die 29-Jährige vom MTV Hanstedt, mehr als ein Jahrzehnt eine der besten Leichtathletinnen im Landkreis Harburg, die die Rolle der unglücklichen Nadja Flemming im Polizeiruf 110 spielte. Rahn hatte ihre Karriere 2018 mit dem vierten Platz bei den deutschen Mehrkampf-Meisterschaften beendet und wurde Anfang 2019 als Sportlerin des Jahres im Landkreis Harburg geehrt.
Sportliche Vergangenheit brachte die Rolle
In Datenbanken von Casting-Agenturen wird die Mitarbeiterin einer Unternehmensberatung nicht geführt. Ihre Premiere als Schauspielerin verdankt Xenia Rahn einem Zufall – und ihrer sportlichen Vergangenheit. Die ursprünglich für die Rolle vorgesehene Schauspielerin sprang zwei Wochen vor Drehstart ab, eine Katastrophe für jede Produktion. Also machte sich Regisseur Eoin Moore im Internet auf die Suche nach Ersatz.
Um größtmögliche Authentizität zu erreichen, stand eine Kandidatin mit Mehrkampf- und Speerwurf-Erfolgen ganz oben auf dem Wunschzettel. Moore gefielen die Bilder von Rahn, die er beim Googeln fand. An den Ehrungsbildern erkannte er, dass sie keine Scheu hat, in der Öffentlichkeit zu stehen. Über ihren Instagram-Account und parallel über Mutter Mireille Rahn, die im Öffentlichen Dienst in Hamburg arbeitet, nahm er Kontakt auf. „Erst haben wir telefoniert und uns dann getroffen. Schnell war klar, dass es passt. Das war alles super spontan“, erzählt Xenia Rahn.
Es ging für drei Drehtage nach Rostock
Im August 2019 ging es für drei Drehtage nach Rostock. Ein Tag ging allein für das Fotoshooting drauf. Für die Legende der verkörperten Nadja Flemming mussten Bilder her von Einsätzen im Deutschand-Trikot, von der Hochzeit mit ihrem mittlerweile geschiedenen Ehemann Klaus Flemming und Porträtfotos, die sie bei einer Dating-App bestellt hatte. „Es ist spannend zu sehen, wie viel Arbeit und wie viele Menschen für relativ wenig Sendezeit erforderlich sind“, erzählt Xenia Rahn.
Beim anfänglichen Get together, im Hotel und den Drehpausen hatte sie Gelegenheit, private Worte mit den Schauspielern zu sprechen. „Sie waren alle sehr positiv und unfassbar nett. Sie fanden es interessant, mal mit jemandem aus der Nicht-Film-Branche zu reden. Alle anderen waren ja über Castings an ihre Rolle gekommen.“ Auch Parallelen zwischen Schauspielerei und Sport machte Xenia Rahn aus: „Das war wie auf einem Wettkampf. Wenn man dran ist, ist man vollkonzentriert. Und zwischendurch etwas lockerer.“
Die Fluchtszene war sehr anstrengend
Am anstrengendsten war für die Hamburgerin die erste Szene. Nach dem vereitelten Angriff musste sie immer wieder 200 bis 300 Meter am Ufer entlang laufen, weil sie im Hintergrund des folgenden Kampfes zwischen den Männern und Kommissarin König lange zu sehen war. „Man glaubt gar nicht, aus wie vielen Einstellungen eine einzige Szene gedreht wird. Wenn ich zurückkam, musste ich etwas trinken und mich beruhigen“, so Xenia Rahn.
Und als Leiche? „Das war gar nicht so einfach. Mein Gesicht musste ich total entspannen. Und weil ich da ziemlich lange lag, tat mir der Rücken weh.“ Um die Stichverletzungen im Bauchraum realistisch darzustellen, war Xenia Rahn großflächig mit Kunstblut geschminkt. „Wir haben in einem echten Krankenhaus gedreht. Wenn ich auf Toilette ging, musste ich aufpassen, nicht die Patienten mit meinem blutverschmierten Bauch zu erschrecken“, erzählt sie schmunzelnd. Auch am Abend im Hotel war Vorsicht beim Abwaschen der Kunstblutmengen geboten. „Die Mitarbeiter sollten nicht denken, dass ich in meinem Zimmer ein Massaker veranstaltet hätte.“
Es bleibt bei dem einmaligen Auftritt
Mit Regisseur Eoin Moore steht die Jung-Schauspielerin weiter im lockeren Austausch. „Er war mit meiner Leistung sehr zufrieden. Ich fand das Ganze super. Wann hat man schon mal die Chance dazu.“ An einen weiteren Einsatz als Schauspielerin glaubt die in Eppendorf wohnende Xenia Rahn allerdings nicht. „Ich denke, das war eine einmalige Sache. Eine Fortsetzung würde nicht in mein Lebensbild passen und bestimmt würde der Spaßfaktor mit der Dauer etwas verloren gehen. Für den Polizeiruf bin ich jedenfalls raus, da bin ich ja gestorben.“