Harburg/Winsen. Trotz Corona bereiteten sich die Leichtathleten auf die neue Saison vor. Doch geht es nach dem DLV, hätten viele von ihnen vergeblich trainiert.

Viele, viele Wochen mussten sich die Leichtathleten in alternativen Trainingsformen ausprobieren. Die Trainingsgruppe der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft (HNT) zum Beispiel entdeckte die Fischbeker Heide als Terrain, schleppte Medizinbälle dorthin, um einigermaßen fit zu bleiben. Lena Schroeder (Grün-Weiss Harburg) verlegte den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten von der Scharfschen Schlucht an den Seevekanal zwischen Rönneburg und Meckelfeld, beobachtet von vielen Fahrradfahrern. Allein für Gerd Prüsmann hielten sich die Veränderungen in Grenzen. Der Lauftrainer scheucht seine Schülerinnen und Schüler aus Stöckte und Fliegenberg ohnehin häufig durch das Winsener Schützengehölz.

Mit den zunehmenden Lockerungen der coronabedingten Einschränkungen kommt das Wettkampfgeschehen langsam wieder ins Rollen. Erste Werfertage unter Ausschluss der Öffentlichkeit fanden in Neubrandenburg und Leipzig statt, am Wochenende absolvierten nationale Spitzenläufer einen geheim gehaltenen Zehn-Kilometer-Straßenlauf in Berlin und noch im Juni wird es in Bremen ein Einladungssportfest für Sprinter geben.

Für Aufsehen sorgte zuletzt die Ankündigung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), die deutschen Meisterschaften der Männer und Frauen am 8. und 9. August in Braunschweig durchführen zu wollen. Für heftige Reaktionen sorgten jedoch weniger der Termin und Ort, als vielmehr die inhaltliche Ausgestaltung.

Demnach will der DLV auf alle Mittelstreckenläufe ab 1500 Meter aufwärts und Hindernisstrecken verzichten. Die 800 Meter sollen komplett in Bahnen und wie bei den Sprints mit einer freien Bahn zwischen den Athleten gelaufen werden. Es werden keine Staffeln stattfinden und in den technischen Disziplinen höchstens zehn Athletinnen und Athleten zugelassen.

Gegen Fußball ist Leichtathletik kontaktlos

Nach jedem Versuch im Hoch- und Stabhochsprung soll die Matte desinfiziert werden. Zuschauer im Stadion an der Hamburger Straße sind wohl nicht erlaubt. So ist es in einem Hygiene- und Durchführungskonzept festgelegt, das der DLV den Behörden in Niedersachsen zur Genehmigung vorgelegt hat. Die Antwort steht aus.

Im August 2019, als die Leichtathletik-DM im Olympiastadion in Berlin ausgetragen wurde, nahmen die 4 x 100-Meter-Sprintstaffel der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft und Felix Tombe Martens über 400 Meter Hürden teil. Wie bewertet HNT-Trainer Hans Peters das DLV-Konzept für die Meisterschaften 2020? „Wir haben viel mit den Athleten diskutiert. Ich kann die strikten Maßnahmen nicht nachvollziehen, kann sie nicht verstehen.“

Wie die Spitzenläuferinnen Gesa-Felicitas Krause und Gina Lückenkemper bemüht auch Peters den Vergleich mit der Fußball-Bundesliga. „Im Fußball gibt es erheblich mehr Kontakte. Die nehmen sich nach Toren in den Arm oder wuscheln sich durchs Haar. Demgegenüber ist Leichtathletik doch weitgehend kontaktlos“, sagte Hans Peters im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. „Und warum sollen bei technischen Disziplinen nur zehn Teilnehmer zugelassen werden? Gerade hier kann man sich gut aus dem Weg gehen. Wenn ich Demonstrationen im Fernsehen sehe, achtet da kaum jemand auf den Mindestabstand“, so Peters.

Heftige Kritik an „schwacher Führung“ des DLV

Das Argument des Deutschen Leichtathletik-Verbandes für die starken Einschränkungen gegenüber normalen deutschen Meisterschaften, die am vergangenen Wochenende hätten ausgetragen werden sollen, ist, dass ein anderes Konzept keine Chance auf Genehmigung gehabt hätte. „Für mich ist das ein Zeichen, dass die Führung des DLV schwach besetzt ist. Man ist einfach nicht mutig genug“, wird Hans Peters deutlich. „Warum geht man die Sache nicht offensiver an? Gegebenenfalls kann man das Konzept nachbessern.“ Fakt sei jedenfalls, dass alle Athleten hungrig auf Wettkämpfe sind.

Normalerweise sind mindestens drei bis vier Wettkämpfe vor einem solchen Saisonhöhepunkt erforderlich, um sich in Form zu bringen. Diese Möglichkeit sieht der erfahrene HNT-Trainer in den kommenden zwei Monaten kaum gegeben. Er hätte sich daher gewünscht, die deutschen Meisterschaften erst im September nachzuholen. „Ich habe die Hoffnung, dass aufgrund der jetzt geführten Diskussion einige Athleten mehr teilnehmen dürfen. Ich persönlich würde zum Beispiel die Mittel- und Langstreckler starten lassen“, sagte Hans Peters.

Wenig angetan von den Planungen ist auch Mittelstreckentrainer Gerd Prüsmann von der LG Nordheide. Er hat in den vergangenen Jahrzehnten mit Sarah Sjögrehn, Jala Gangnus, Sören Ludolph oder Jana Sussmann immer wieder Lauftalente zur Spitzenathleten geformt. „Ich halte die Regelungen für stark übertrieben. Da bleibt kein richtiger Wettkampf mehr übrig. Im Training sollen wir wegen der Aerosole bis zu zehn Meter Abstand halten und in der Schule sind sie alle dicht zusammen“, sagte der Winsener. „Im Training haben wir immer Spaß. Alles Weitere warten wir jetzt in Ruhe ab.“

Qualifikationsnormen sind kaum noch zu schaffen

Für Ekhard Küster ist es in erster Linie wichtig, wieder einen Fixpunkt zu haben, auf den es sich hinzutrainieren lohnt. „Wenn man nur ins Blaue trainiert, wird es immer schwieriger, die Motivation hochzuhalten“, sagte der Coach von Grün-Weiss Harburg. Eine Sonderrolle der Leichtathletik gegenüber anderen Sportarten würde er nicht in Anspruch nehmen wollen.

Küster sieht auch das Problem, in der Kürze der Zeit fehlende Qualifikationsnormen zu erfüllen. Konkret gilt das für den von ihm betreuten Hochspringer Felix Jonathan Fengler. Dessen U20-Jugend-Meisterschaften sollen zwar im September im Ulm stattfinden, allerdings fehlen Fengler zu den in den vergangenen Jahren geforderten 1,99 Meter noch drei Zentimeter.

Bei aller Kritik freuen sich die drei erfahrenen Trainer doch darüber, dass langsam erste Wettkampfmöglichkeiten am Horizont auftauchen und dass sie auf Ziele noch in diesem Jahr hinarbeiten können. Die Athleten sind hungrig.

Meisterschaften

Die Leichtathletikverbände in Hamburger und Schleswig-Holstein wollen den Vereinen und Athleten Ziele und Perspektiven bieten und haben daher neue Termine für die bereits abgesagten Einzel-Landesmeisterschaften festgelegt.

Um die Teilnehmerfelder klein zu halten, geht bei den gemeinsamen Titelkämpfen jeweils nur eine Altersklasse an den Start. Demnach ermitteln die Männer und Frauen am 22. und 23. August sowie die U18-Jugendlichen am 5. und 6. September jeweils in der Jahnkampfbahn am Hamburger Stadtpark ihre Besten.

Die Landesmeisterschaften der U20 (29./30. August), U16 (12./13. September) und Senioren (19. September) wurden nach Schleswig-Holstein vergeben.