Winsen. Premiere in Winsen: HSV Stöckte richtete auf dem ehemaligen Gartenschaugelände die Landestitelkämpfe dieser Disziplin aus.
Überall rote-weiße Flatterbänder, Warnschilder und freundliche Menschen, die auf die Gefahr hinweisen. Richtig glauben will es trotzdem nicht jeder. Als ich unter der schützenden Hand eines Mitglieds des Orgateams durch den abgesperrten Bereich gehe, kommt uns ein Fahrradfahrer entgegen. „Sie dürfen hier nicht fahren, hier wird scharf geschossen“, mahnt mein Begleiter. Doch der Radfahrer will nicht verstehen. „Ihr könnt doch hier nicht rumballern“, ereifert sich der Mann fortgeschrittenen Alters. Auch als wir ihm erklären, dass Bogenschützen im Eckermannpark unterwegs sind und ein Pfeil im Rücken nicht angenehm sei, will er sich nicht hinter die Absperrung verziehen und den etwas längeren, aber sicheren Weg nehmen. „Hier fahre ich immer lang.“
2006 fand in Winsen die dritte Landesgartenschau Niedersachsens statt
Zugegeben, es klang sehr ungewöhnlich, als der Hansa-Sportverein (HSV) Stöckte ankündigte, im Eckermannpark zwei Bogensportturniere austragen zu wollen. In jenem Teil der Luhegärten, in dem 2006 die niedersächsische Landesgartenschau stattfand, wo Themengärten die Besucher erfreuten und bekannte Künstler auf der Hauptbühne auftraten. Jetzt also Bogenschießen, dazu eine ungewöhnliche Form des Bogenschießens: Feldbogenschießen.
Dabei stehen die Sportlerinnen und Sportler nicht in einer langen Reihe auf einer Schießlinie und halten an auf 18 oder auch 50 Meter weit entfernte Scheiben. So kennt man es von internationalen Turnieren, gelegentlichen Fernsehübertragungen, die sich meist auf Olympische Spiele beschränken, oder von den deutschen Hallenmeisterschaften, die der HSV Stöckte 2014 in der Winarena ausrichtete.
Profiliertes Gelände mit unterschiedlichen Entfernungen und Scheibengrößen
Bei der Disziplin Feldbogen gehen die Bogenschützen durch ein profiliertes Gelände, halten aus unterschiedlichen Entfernungen an auf unterschiedlich große Scheiben, müssen zurecht kommen mit ihrer Standfestigkeit auf teilweise schrägem Untergrund, wechselnden Witterungsbedingungen und unbekannten Entfernungen.
„Feldbogenschießen ist eine schöne Abwechslung zu den bekannten Disziplinen. Dafür braucht man eine Menge Erfahrung“, sagte beispielsweise Karen Nakamura vom HSV. Für Peer-Thorsten Prues übt diese Disziplin viele Reize aus. „Es ist eine schöne Abwechslung, man ist in der Natur unterwegs und lernt neue Leute kennen“, sagte der 46-Jährige, der für das Schützenkorps Stelle antritt. Manches Mal sei man sieben Stunden in einer Vierergruppe unterwegs, bis man 24 Scheiben hinter sich gebracht habe, so Prues. Da bleibe es nicht aus, dass man mit den anderen ins Gespräch komme.
Deutsche Meisterschaften am 27. und 28. Juli in Mittenwald
Nakamura und Prues kennen sich schon länger, sie sind gemeinsam auf dem Parcours unterwegs. Bevor am zweiten Tag die Landesmeisterschaften von Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ausgetragen werden, haben die Teilnehmer bei einem offenen Turnier die Chance, die Bedingungen in Winsen kennenzulernen. Das Feldbogenturnier im Eckermannpark ist nämlich eine Premiere. In Norddeutschland sind Turniere dieser Art rar gesät, zudem fanden die Landesmeisterschaften zuletzt stets in Meck-Pomm statt.
Die zwei erfahrenen Schützen, deren nächstes Ziel die deutschen Meisterschaften am 27. und 28. Juli in Mittenwald sind, erklären mir ihre Sportart. Im Eckermannpark ist ein Parcours mit zwölf Scheiben aufgebaut, der zweimal zu durchlaufen ist. Auf jede Scheibe gibt jeder Bogenschütze drei Pfeile ab, so dass er am Ende des Tages 72 Pfeile geschossen hat. Multipliziert mit der maximalen Ringzahl sechs im Zentrum der Scheibe, sind im Idealfall also 432 Ringe möglich.
Abteilungsleiter Holger Schräer mit einem Ring Rückstand Zweiter
Bei den ersten zwölf Scheiben sind die Entfernungen unbekannt. Einen Anhaltspunkt liefert die Größe der schwarzen Scheibe auf weißem Grund, bei der die Fünf und Sechs im Zentrum Gelb abgesetzt sind. Ist der Durchmesser des schwarzen Bereichs 80 Zentimeter groß, ist das Ziel zwischen 30 und 45 Meter entfernt. Beträgt der Durchmesser 60 Zentimeter, steht die Scheibe 15 bis 30 Meter entfernt und so weiter (40 cm Durchmesser = 10 bis 20 m entfernt; 20 cm Durchmesser = 5 bis 10 m entfernt). Das möglichst genaue Schätzen der Entfernung ist eminent wichtig für den Vorhaltewinkel des Bogens. „Der Pfeil fliegt ballistisch, er beschreibt eine Flugkurve“, erklärt mir Peer-Thorsten Prues, der einen Bogensportladen in Winsen betreibt. Nach dem ersten Schuss wissen erfahrene Feldbogenschützen genau, wie exakt ihre Schätzung zutraf und was sie für den zweiten und dritten Schuss verändern müssen.
Flugkurve eines Bogenpfeils stabilisiert sich erst nach 15 Metern
Als Laie nehme ich an, dass es einfacher ist, dicht stehende Scheiben ins Gold zu treffen. Ich muss mich eines Besseren belehren lassen. „Der Pfeil schlingert auf den ersten Metern extrem. Er zittert wie ein Aal durch die Luft“, erklärt mir Abteilungsleiter Holger Schräer. Erst ab etwa 15 Metern stabilisiere sich die Flugkurve. Deshalb sei es schwieriger, kontrollierte Schüsse auf dicht stehenden Scheiben abzugeben.
Nach der ersten Zwölf-Scheiben-Runde, von denen einige bergauf oder bergab anzuvisieren sind – auch das ist im Eckermannpark aufgrund des Lärmschutzwalls zur Bahnstrecke möglich –, gibt es eine Pause, die Schräer und sein Team nutzen, um an den farbigen Abschusspflöcken Täfelchen mit Entfernungsangaben anzubringen. Im zweiten Durchgang sind die Distanzen von vornherein bekannt, die erzielten Ringzahlen erhöhen sich bei den meisten Schützen.
HSV Stöckte erfährt gute Unterstützung von der Stadt Winsen
„Die Stadt hat uns gut unterstützt“, erzählt der HSV-Abteilungsleiter über seine Idee, im öffentlichen Raum ein Feldbogenturnier auszutragen. „Allerdings mussten wird den Eckermannpark offiziell anmieten, Pacht bezahlen und auch Toilettenhäuschen mieten“, so Schräer. Wegen ständiger Zerstörung hatte die Stadt Winsen das vorhandene Sanitärgebäude stillegen lassen.
Etwas mehr Resonanz hätte sich der Hauptorganisator gewünscht. Insgesamt bewarben sich 42 Bogensportler um die Landesmeistertitel, darunter nur ein Teilnehmer aus Mecklenburg-Vorpommern. „In den letzten Jahren sind wir immer dahin gefahren, und jetzt kommt nur einer aus Schwerin zu uns“, sagte Holger Schräer enttäuscht.
Nakamura und Prues werden souverän Landesmeister
Er selbst verpasste den Titel in der Mastersklasse der Blankbogenschützen nur um einen Ring gegenüber Matthias Penzlin (SV Hamwarde). Keine Mühe hatten dagegen Karen Nakamura (Blankbogen Damen) und Peer-Thorsten Prues (Blankbogen Herren), sich zu Landesmeistern zu küren. Der Fahrradfahrer wurde übrigens nicht mehr gesichtet.