Morris Stahl aus Vahrendorf erfüllt sich seinen Lebenstraum, beendet den berühmtesten Triathlon der Welt auf Hawaii in 11:03,12 Stunden. Ein Glücksgefühl für den 44-Jährigen, das er nie vergessen wird.
Vahrendorf. Da steht er, mitten unter dem Triumphbogen des Leidens und des Glücks, die Arme in den Himmel gereckt, die Fäuste geballt und schreit seine Gefühle in den Abendhimmel. Morris Stahl, der Triathlet aus Vahrendorf, und der Augenblick, in dem sein Lebenstraum Wirklichkeit wurde.
Es wird dieses Bild sein, das der 44-Jährige auch nach Jahrzehnten noch in die Hand nehmen wird und dann wird er erneut all die Emotionen in sich aufsteigen spüren: Stolz, Freude und unsägliches Glück. An diesem Abend, am Pier von Kailua-Kona, hat er vollendet, wovon er schon als Junge geträumt und wofür er fünf Jahre lang gekämpft, geschwitzt und gelitten hat: Morris Stahl hat die Ziellinie beim Ironman 2013 auf Hawaii überquert.
„Die letzten Meter auf dem Teppich durch das Spalier der lachenden und jubelnden Menschen bin ich extra langsam gelaufen“, übermittelt er per E-Mail aus dem geweihten Zentrum des Triathlonsports auf Big Island, einer der vielen Inseln Hawaiis. „Ich wollte jeden Zentimeter in mich aufsaugen und genießen. Du hast es geschafft, tatsächlich geschafft. Es ist wahr geworden, das war immer in meinem Kopf. Und mitten im Gedränge hinter dem Ziel kommt meine Frau und nimmt mich in die Arme. Mehr geht nicht, mehr geht wirklich nicht im Leben.“
Der Ironman auf Hawaii, die Weltmeisterschaft in diesem längsten und brutalsten Dreikampf des Sports, ist der Gipfel. Nicht nur für die Profis, sondern erst recht für die Frauen und Männer in den einzelnen Altersklassen, die sich alle Jahre bei mehr als 30 Qualifikations-Veranstaltungen rund um den Globus für das große Finale auf Hawaii qualifizieren müssen.
Dafür hat Morris Stahl fünf Jahre lang trainiert, im Schnitt elf Stunden in der Woche. Vier Mal bereits hatte er die magischen Strecken mit 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und den abschließenden Marathonlauf über 42,195 Kilometer durchgestanden und hatte trotzdem die geforderte Qualifikationszeit verpasst. Nach seinem vierten Scheitern vor drei Monaten in Frankfurt hatte er für Kopenhagen nachgemeldet und nach 9:28 Stunden endlich sein Startticket für Hawaii in der Tasche.
Es ist morgens noch vor sieben Uhr, wenn in Kailua-Kona, dem Zentrum dieses spektakulärsten Wettkampfes, der Ironman mit einem Gottesdienst eröffnet wird. „Als wir vom Pier aus in den Pazifik stiegen, setzte die Musik der hawaiianischen Trommler ein“, schreibt Morris Stahl, „Hubschrauber knatterten über unseren Köpfen. In so manchen Gesichtern der Männer, die aus allen Teilen der Welt gekommen waren, ständen Tränen. Wir haben uns abgeklatscht und sind zur Startlinie geschwommen.“
Als Morris Stahl die erste Wechselzone und sein Rennrad erreichte, hatte er die 3,8 Kilometer im Ozean in 1:09,16 Stunden bewältigt. Das war großartig für den Mann, der mit 39 Jahren noch richtig Kraulen gelernt hatte, weil ihn dieser Traum von Hawaii nicht in Ruhe ließ. Die tolle Atmosphäre, die für ihn erfreuliche Zeit, der 44 Jahre alte Extremsportler schwang sich mit Zuversicht in den Fahrradsattel. „Die 180 Kilometer auf dem Rad, das ist meine Stärke“, sagt der Freizeit-Triathlet, der früher Radrennen gefahren ist.
Beim Radrennen liegt Morris Stahl weit nach vorn gebeugt über dem Lenker seiner Rennmaschine. Am Streckenrand zerrt der Wind an ausgedörrten Grasbüscheln und dahinter dehnt sich das trostlose Schwarz der berüchtigten Lavalandschaft aus. „Auf den letzten 50 Kilometern“, erzählt Stahl, „da hat uns der berüchtigte Mammuku, der Gegenwind, ins Gesicht geblasen. Und da war diese verdammte Hitze von 40 Grad Celsius und mehr, als die Sonne ganz oben am Himmel stand.“ 5:29,03 Stunden für die 180 Kilometer durch die Lavahölle im Urlauberparadies, Morris Stahl war mit sich im Reinen.
Der Marathonlauf musste die ersten 20 Kilometer noch in der zehrenden Hitze absolviert werden. „Ich habe immer quälender im Kopf und im ganzen Körper gespürt, dass ich hier meinen dritten Ironman innerhalb von drei Monaten durchstehen muss“, schreibt Morris Stahl weiter.
Dann, der berühmte Alii Drive, die eigentliche Traummeile der Athleten. Unter mächtigen Palmen am Ozean vorbei weiß hier jeder: „Ich werde es schaffen“. Das verleiht Flügel. Morris Stahl hatte sich dazu die mildere und freundlichere Abendsonne als Partner gewählt. „Jeder weiß, dass nach elf Stunden Wettkampf über Big Island die Sonne untergeht. Schon zu Hause hatte ich mir vorgenommen, vorher im Ziel zu sein. So bin ich die letzten Meilen neben der untergehenden Sonne hergelaufen. Mein Antrieb war: Sie soll noch da sein, wenn ich im Ziel bin.“
Das hat Morris Stahl gerade noch geschafft. Nach 4:12,53 Minuten für den Marathon hatte er die Gesamtzeit von exakt 11:03,12 Stunden gekämpft, um im Ziel und in den Armen seiner Frau Gefühle zu erleben, die er nicht in Worte bündeln und fassen kann, die aber für immer in seiner Seele bleiben.