Buchholz. Deutlich mehr Mädchen betreiben die junge, dynamische Sportart. Landesmeisterschaften machen die Erfolge des Brüdertrainings sichtbar.
Dass Arno Reglitzky von einer „kleinen Sensation“ sprach, als er in seiner Funktion als Vorsitzender von Blau-Weiss Buchholz und damit als Gastgeber die Sportler und Besucher zu den offenen Niedersächsischen Landesmeisterschaften im Aerobicturnen in der Nordheidehalle begrüßte, ist keine Übertreibung. Wie in fast allen Sportarten waren auch im Aerobicturnen seit 2020 alle Wettkämpfe ausgefallen, darunter auch die Weltmeisterschaften. Jetzt trafen sich die besten Niedersachsen und als einziges auswärtiges Team der ATV Eisenberg aus Thüringen anlässlich der offenen Titelkämpfe zum ersten Präsenzwettkampf dieser Sportart seit eineinhalb Jahren.
Den ersten Höhepunkt gab es gleich zu Beginn zu bestaunen, als Lokalmatadorin Charlotte Densch in der Altersklasse 18 plus im Kooperationsteam des Aerobic-Turn-Zentrums (ATZ) Nord einen schwungvollen Auftritt hinlegte. Das Team mit den besten norddeutschen Aerobicturnerinnen und einem jungen Mann aus Wolfenbüttel hat sich gerade – noch im Onlineverfahren – für die Europameisterschaften in Italien qualifiziert und machte in Buchholz große Lust auf die weiteren Darbietungen.
Drei weitere Vereine aus Niedersachsen und einer aus Thüringen
Der TuS Rotenburg, Turn-Klubb zu Hannover, MTV Wolfenbüttel und ATV Eisenberg hatten zu den offenen Landestitelkämpfen gemeldet. „Alles Vereine mit einer Tradition im Aerobicturnen“, betonte Arno Reglitzky. Im Gegensatz zu seinem Verein, der erst seit wenigen Jahren in dieser Sportart national und international mitmischt. „Es war Jenna Eggenstein, die vor etwa fünf Jahren bei uns auftauchte und versprach: Ich bringe das Aerobicturnen nach Buchholz“, so der Vereinsvorsitzende in seiner launigen Eröffnungsrede. Seitdem wächst die junge Sparte unter dem Dach von Blau-Weiss Buchholz rasant.
Etwas ganz Besonderes versprach und hielt auch die zweite Darbietung. Ein Team der Altersklasse (AK) 6 bis 11, das nur aus Jungen besteht, gibt es in Deutschland nur bei Blau-Weiss Buchholz. Zusammengestellt hat diese Boygroup natürlich Jenna Eggenstein, die das Team auch trainiert. Noch schnell ein gemeinsames Selfie – schon gingen Sohn Matti, Bastian Hartz, Elias Garzon Caceres, Leo Hunscheidt, Maximilian Hartz und Michel Both als zweites von vier Danceteams auf die Bodenfläche.
Aus zeitlich befristetem Brüdertraining sind sechs Jungen geblieben
„Aerobicturnen ist gerade in Deutschland mehr unter Mädchen verbreitet als unter Jungen“, erzählte Jenna Eggenstein. Um daran etwas zu ändern, dachte sie sich vor zwei Jahren etwas aus. „Ich habe meine Turnerinnen gebeten, einfach mal ihre Brüder mitzubringen. So auch meine Tochter Emma, die ihren Bruder Matti überredete.“ Eingebettet hat Jenna Eggenstein das sogenannte Brüdertraining dann in ein neues Übungsformat, mit Outdoortraining und einer Championship in verschiedenen Sportarten. Aus dem ursprünglich zeitlich befristeten Kursus sind sechs Jungen geblieben, die unbedingt weitermachen wollten. „In den Wettkämpfen treffen sie zumeist auf Mädchenteams oder gemischte Gruppen“, so Eggenstein.
Zweifellos der sportliche Höhepunkt der Veranstaltung war der Auftritt der deutschen Jugendmeisterin Charlotte Densch, die in ihrem Glitzerkostüm in atemberaubender Geschwindigkeit über das Parkett fegte und dabei immer ein Lächeln im Gesicht hatte. Total ausgepowert, aber glücklich nahm sie die höchste Tageswertung von 20,4 Punkten entgegen. 20 Zähler gelten beim Aerobicturnen als magische Grenze. „Mit meiner sportlichen Leistung bin ich zufrieden“, sagte sie schwer atmend. „Es ist total schön, hier turnen zu dürfen. Meine ganze Familie ist da“, freute sie sich, wieder im direkten Vergleich mit Konkurrenz und vor Publikum aufzutreten.
Kraft, Dynamik und Beweglichkeit sowie Artistik, Akrobatik, Tanz und Turnen
Bis zu 90 Sekunden dauert beim Aerobicturnen jede Darbietung, die gleichermaßen Kraft, Dynamik und Beweglichkeit sowie Artistik, Akrobatik, Tanz und Turnen vereint. „Länger geht auch nicht. Danach bist du fix und fertig. Es gibt ja keine Verschnaufpausen“, sagte Jörg Fuchs aus dem Vorstand von Blau-Weiss Buchholz. „Aerobicturnen sieht zwar so spielerisch einfach aus, ist aber knallharte Arbeit“.
Apropos Arbeit: Der besonders elastische Schwingboden, der auch höheren Anforderungen des Aerobicturnens entspricht, musste direkt vor Beginn der Wettkämpfe am frühen Morgen von vielen ehrenamtlichen Helfern aus der Trainingsstätte im ehemaligen Plaza-Baumarkt an der Bremer Straße in die Nordheidehalle gebracht und verlegt werden. Für die Finanzierung dieses speziellen Untergrunds hatten Sponsoren und Eltern tief in die Tasche gegriffen.
Hoffnung auf Nutzung des Plazagebäudes über 2021 hinaus
„Ein normaler Hallenboden ist für diese Sportart viel zu hart“, weiß Fuchs. Jenna Eggenstein ergänzt: „Wenn beispielsweise Charlotte Densch in den Liegestütz springt, würde sie auf härterem Boden ganz schnell Probleme mit den Handgelenken bekommen.“ Eggenstein hofft, dass ihrer Gruppe das Plazagebäude noch lange als Übungsstätte erhalten bleibt. „Im Moment haben wir in Buchholz optimale Trainingsmöglichkeiten und konnten unser Angebot ausbauen.“ Das könnte im Frühjahr 2022 schon wieder ganz anders aussehen, befürchtet sie. Wenn nämlich die sportliche Nutzung des früheren Baumarktes an der Bremer Straße nicht länger möglich sein sollte.