Hamburg. Der Bezirk Harburg ist im hamburgweiten Vergleich Schlusslicht beim Check zum Schulbeginn. Woran das liegt.
Im Vorwege des Schuljahrs 2020/21 hätten im Bezirk Harburg eigentlich 1923 Kinder ihre Schuleingangsuntersuchung durch den Schulärztlichen Dienst (SÄD) des Gesundheitsamts erhalten müssen. Untersucht wurden 252.
Die Untersuchungsquote ist in diesem speziellen Jahr in ganz Hamburg unterdurchschnittlich, doch liegt sie hamburgweit immerhin bei 45 Prozent. Harburg ist mit 13,2 Prozent das Schlusslicht der Hamburger Bezirke, weit abgeschlagen hinter Altona, das immerhin noch knapp ein Viertel des Solls bewerkstelligte.
Bezirkspolitiker entsetzt über die Harburger Zahlen
Die Zahlen stammen aus der Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion. Dort ist man schon über die allgemein niedrige Untersuchungsrate beunruhigt. „Aber über die Harburger Zahlen sind wir entsetzt“, sagt die Harburger Linken-Abgeordnete und bildungspolitische Sprecherin ihrer Bürgerschaftsfraktion, Sabine Boeddinghaus. „Hier läuft etwas völlig schief!“
Die Schuleingangsuntersuchung ist der zweite schulärztliche Check, den Kinder erfahren, bevor sie eingeschult werden. Die erste Überprüfung, die „Viereinhalbjährigenuntersuchung“ kann auch durch die Routineuntersuchung U 8 des Kinderarztes oder Hausarztes erfolgen, sofern diese im Untersuchungsheft nachgewiesen ist. Die Schuleingangsuntersuchung muss zwingend durch den SÄD erfolgen und ist eine Pflichtaufgabe der Gesundheitsämter. Die Untersuchung erfolgt üblicherweise im selben Zeitraum, wie die Anmeldung eines Kindes zur Grundschule, im Frühling oder Frühsommer.
Wichtiger Teil der Untersuchung ist die Entwicklungsbeurteilung
Die medizinische Untersuchung ist zumeist eher oberflächlich. Die Kinder werden vermessen, gewogen, absolvieren einen Seh- und Hörtest und die Impfnachweise werden geprüft. Der wichtigere Teil ist die Entwicklungsbeurteilung. Sprechfähigkeit, Zählen, Zeichnen sowie die Fähigkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen, werden nach einem erziehungswissenschaftlichen Verfahren eingeordnet. Schulen erfahren so bereits im Vorweg, für welche Kinder sie gegebenenfalls Förderangebote organisieren müssen und auch die Eltern werden sensibilisiert.
„Die Schuleingangsuntersuchung ist für uns Schulleitungen eine große Hilfe“, sagt Andreas Wiedemann, Leiter der Grundschule in der Alten Forst, „und dass sie nicht im üblichen Umfang stattgefunden haben, ist in Coronazeiten nachvollziehbar, aber misslich. Wir haben dann, wenn wir bei Kindern den Eindruck hatten, dass etwas nicht stimmt, selbst den Schulärztlichen Dienst informiert und in diesen Fällen kam es immer zu einer Untersuchung.“
In Harburg waren bis 93 Prozent der Mitarbeiter im Coronadienst
Das Bezirksamt gibt an, alle Hamburger Gesundheitsämter hätten ab Februar 2020 die Kräfte ihres SÄD in der Pandemiebekämpfung eingesetzt. Das stimmt grundsätzlich, aber in sehr unterschiedlicher Ausprägung. In einigen Bezirken wurden von Mai bis August Mitarbeiter zumindest in den SÄD zurückversetzt. Das sind die Gesundheitsämter, die eine höhere Quote vorweisen.
Schuleingangsuntersuchungen in den Hamburger Bezirken:
- Hamburg-Mitte: 58,6 Prozent (Ist-Zahl für das Untersuchungsjahr 2020/2021)
- Altona: 23,6 Prozent
- Eimsbüttel: 46,2 Prozent
- Hamburg-Nord: 80,9 Prozent
- Wandsbek: 63 Prozent
- Bergedorf: 28,8 Prozent
- Harburg: 13,1 Prozent
In Hamburg Nord – Rekordhalter mit 80 Prozent geleisteter Untersuchungen – war der gesamte SÄD ab Mai 2020 schon wieder durchgängig nur mit seinen eigentlichen Aufgaben beschäftigt. In Harburg hingegen waren bis Dezember 93 Prozent der SÄD-Kräfte im Coronadienst. Hinzu kommt, dass eine ärztliche Stelle im SÄD derzeit wegen Elternzeit nicht besetzt ist und das Gesundheitsamt in den vergangenen Monaten eine hohe Personalfluktuation hatte.
„Über Jahre wurde bei den Gesundheitsämtern am Personal gespart“, sagt Sabine Boeddinghaus, „das rächt sich jetzt!“
Eine ältere Anfrage zum selben Thema ergibt, dass im Harburger SÄD 2015 noch elf Kräfte beschäftigt waren. Seit 2018 sind es nur noch zehn, 2017 waren es gar nur neun. Dass schon länger nicht mehr alle Schuleingangsuntersuchungen durchgeführt wurden, zeigt sich auch daran, dass die Zahl der absolvierten Untersuchungen von Jahr zu Jahr stark schwankt, obwohl die Erstklässlerzahlen jährlich wachsen.
Nicht nur die Linke kritisiert Harburgs geringe Untersuchungsquote: „Die beiden Schuluntersuchungen sind im Hinblick auf viele Familien, die sonst selten Kontakt zu Gesundheitsinstitutionen haben eine der wenigen Gelegenheiten für die Ämter, mit den Eltern in Kontakt zu kommen, sie auf eventuelle Probleme aufmerksam zu machen und ihnen niedrigschwellige Angebote zu unterbreiten“, sagt die SPD-Bezirksabgeordnete Benizar Gündogdu, „und solche Gespräche und Angebote sind wichtig. Auch, und hier schließt sich der Kreis, im Hinblick auf Corona.“