Harburg. Der Frühling kommt, Wirte wollen ihre Tische herausstellen. In einem Bezirk brauchen sie jetzt eine technische Skizze für den Antrag.
Ostern ist durch, der erste Spargel ist da, manchentags kitzelt schon die Sonne das Gesicht und Harburgs Gastwirte wollen die Tische herausstellen. Wie jedes Jahr, Ende Februar bis Anfang April haben sie ihre Anträge auf Sondernutzung öffentlicher Flächen beim Bezirksamt eingereicht, damit sie spätestens Anfang Mai auch vor der Tür kellnern können. In diesem Jahr kommt vom Bezirksamt aber statt der üblichen flotten, unbürokratischen Genehmigung eine Forderung zurück: Dem Antrag soll eine Planzeichnung beifügt sein, maßstabsgetreu 1:250 nach amtlicher Flurkarte, angefertigt von einem technischen Zeichner oder Architekten.
„Das hat mir erst einmal die Sprache verschlagen“, sagt Kirsten Czeskleba-Huuck, Teilhaberin des Irish Pub „Old Dubliner“ in der Lämmertwiete, „dabei war ich durch den Wirt der Shisha-Bar nebenan schon vorgewarnt. Ich hatte nur gedacht, dass der mich veralbert, oder etwas missverstanden hat.“
Erst war die Harburger Pub-Wirtin sprachlos, dann ratlos: Die Zeit drängt!
Hatte er nicht. Er hat dieselbe Antwort erhalten, wie Kirsten Czeskleba-Huuck und viele andere Wirte: „Zur Prüfung wegerechtlicher Belange ist ab sofort folgende Planvorlage (Zeichnung durch einen Architekten oder technischen Zeichner) einzureichen: Lageplan auf der Grundlage einer aktuellen Liegenschaftskarte im Maßstab 1:250 mit Darstellung der gewünschten Nutzungsfläche unter Angabe der konkreten Lage und Größe (Länge und Breite in Metern) Darstellung von Gebäudeeingängen inklusive der einzuhaltenden Sicherheitsabstände, Darstellung des vorhandenen Gehweges und gegebenenfalls Radweges unter Angabe der Gesamtgehwegbreite (ohne Radweg) beziehungsweise übrigbleibenden Restgehwegbreite nach Aufstellung der Gegenstände, Darstellung der im unmittelbaren Umfeld der gewünschten Nutzungsfläche befindlichen festen Einbauten (Straßenlaternen, Straßenschilder, Straßenbäume, Bänke, Mülleimer etc.)“
Erst war die Pub-Wirtin sprachlos, dann ratlos: Die Zeit drängt. Spätestens Anfang Mai, weiß Kirsten Czeskleba-Huuck, müssen die Tische draußen stehen. „Spätestens ab dem Hafengeburtstag leert sich unsere Gaststube immer mehr und immer mehr Gäste wollen draußen sitzen. Ich bin auf die Außentische angewiesen, aber wo soll ich so schnell einen Architekten herbekommen?“
Pressestelle beschwichtigt – aber das Amts-Schreiben ist eindeutig
Fragt man in der Pressestelle des Bezirksamts nach, wird beschwichtigt: „Die Planvorlage kann entweder in Eigenanfertigung oder eben durch einen Architekten beziehungsweise eine Architektin oder einen technischen Zeichner beziehungsweise eine technische Zeichnerin angefertigt werden. Entscheidend ist, dass die geforderten Vorgaben in der Planvorlage enthalten sind“, schreibt Pressesprecherin Alina Hebsacker.
Von einer Eigenanfertigung war in den Schreiben des Bezirksamts an die Wirte allerdings nicht die Rede. Hier wurde explizit eine Zeichnung von qualifizierten Fachleuten gefordert. „Außerdem traue ich mir nicht zu, alles, was das gefordert wird, selbst umsetzen zu können“, sagt Kirsten Czeskleba-Huuck, „25 Jahre lang hat eine grobe Skizze gereicht und es gab hier auch nie Beschwerden“
Noch während die Wirtin einen Architekten suchte, kam die nächste Mail vom Amt: Wenn der Antrag nicht bis zum 4. April vorliege, müsse er kostenpflichtig abgelehnt werden. Abendblatt-Recherchen ergaben, dass die Gebühren hierfür zwischen 55 und 1250 Euro betragen können.
Vorschrift für Baufirmen wird nun auch auf Gastwirte angewandt
Die professionelle Planzeichnung wird hamburgweit nur in Harburg gefordert. Selbst das als Gastronomen gegenüber besonders penibel beleumundete Bezirksamt Hamburg-Mitte geht mit den Sondernutzungsanträgen gelassener um.
Warum aber will Harburg es so genau gezeichnet haben? „Im Rahmen der Sondernutzungsanträge müssen die Mitarbeitenden insbesondere prüfen, dass durch die Sondernutzung die Sicherheit des Verkehrs nicht eingeschränkt und die Leichtigkeit des Verkehrs nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird“, schreibt Alina Hebsacker. „Hierfür werden aussagekräftige Unterlagen benötigt. Oftmals waren die eingereichten Skizzen in der Vergangenheit handgezeichnet und ließen das Umfeld der Örtlichkeit nicht gut erkennen, sodass der Sondernutzungswunsch dann nur schwer zu beurteilen war.“
Vor diesem Hintergrund sei im Harburger Zentrum für Wirtschaftsförderung, Bauen und Umwelt die Entscheidung getroffen, auf die Gastwirte dasselbe Verfahren anzuwenden, wie auf Baufirmen, die für die Einrichtung einer Baustelle öffentliche Flächen in Anspruch nehmen wollen.
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So entsteht der Eindruck, dass sich die Harburger Bezirksbeamten in dem Bezirk, den sie verwalten, nicht mehr unbedingt selbst auskennen. Es könnte bekannt sein, dass es in der Lämmertwiete keine Radwege gibt, und dass in das historische Pflaster der Harburger Gastromeile, die zugleich Harburgs älteste erhaltene Straße sowie eine reine Fußgängerzone ist, auch schon Metallplaketten eingelassen sind, die die Grenzen der Außenmöblierung festlegen, um den Gehweg in der Mitte freizuhalten. Wenn Gäste die Tische darüber hinaus verrücken, reagieren die Kellner auch darauf und sorgen für Ordnung.
Die meisten Wirte haben mittlerweile im Gäste- oder Bekanntenkreis Fachleute gefunden, die ihnen die Zeichnung anfertigen. Kirsten Czeskleba-Huuck hat ihren Architekten gebeten, Ihr eine Rechnung zu schreiben. Er hat abgewinkt. Ein Honorar nach Gebührenordnung wäre sehr hoch. Würde der freundliche Fachmann sich dieses Honorar schlicht um schlicht in Fassbier auszahlen lassen, müsste er 200 große Guinness trinken.