Hamburg. Sozialbehörde, Bezirksamt und Mehrheit der Bezirkspolitik wollen den Bau voranbringen. Bei anderen Kommunalpolitikern gibt es Skepsis.
Für die Harburger Sozialpolitik wird dies eines der bestimmenden Themen des Jahres 2023 sein: Wie geht es weiter mit dem geplanten Neubau, in dem die Drogenhilfeeinrichtung Abrigado, die Tafel Harburg und zirka 40 vordringlich Wohnungssuchende – in dieser Reihenfolge übereinander – ihr Zuhause finden sollen? Sozialbehörde, Bezirksamt und die Mehrheit der Bezirksabgeordneten wollen den Bau möglichst schnell voranbringen. Bei anderen Kommunalpolitikern gibt es Skepsis gegenüber dem Projekt.
Tafel und Abrigado begrüßen einerseits, dass es für sie überhaupt irgendwie vorangehen soll, üben andererseits an den konkreten Plänen aber auch Kritik; sowohl grundsätzlich als auch im Detail. Vor allem stellt sich die Frage, wo die Tafel, auf deren derzeitigem Gelände der Neubau geplant ist, während der Bauzeit ihre Tätigkeit fortführen kann.
Zusammenlegung und Hinzufügen von Sozialwohnungen nicht unumstritten
Auch innerhalb der Parteien, die in der Bezirksversammlung für das Projekt gestimmt haben, ist die Zusammenlegung der beiden Einrichtungen und das Hinzufügen von Sozialwohnungen nicht unumstritten. Einer der Vorwürfe gegenüber dem vor einem Jahr abgewählten Kreisvorstand war der Umgang mit dieser Frage. Der alte Kreisvorstand stammte überwiegend aus dem Harburger Umfeld der SPD-Landesvorsitzenden und damaligen Sozialsenatorin Melanie Leonhard. Diese Gruppe stellt auch den größten Teil der Bezirksfraktion. Die Sozialbehörde möchte den Neubau unbedingt verwirklichen.
Einrichtung Abrigado betreibt akzeptierende Drogenhilfe
Damit wäre für die Behörde ein lange währendes Problem gelöst: Das Abrigado braucht seit Jahren größere Räume als es auf dem Schwarzenberg hat. Die Einrichtung betreibt akzeptierende Drogenhilfe. Das bedeutet, dass Drogenkonsumenten geholfen wird, ohne gezielt auf einen Ausstieg aus der Sucht hinzuarbeiten. Hilfe zum Ausstieg wird auf Wunsch angeboten, ist aber nicht Hauptziel der Arbeit.
Diese besteht darin, die Hilfesuchenden medizinisch und hygienisch zu versorgen; ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Drogen in einem hygienisch einwandfreien Raum zu konsumieren und Sozialberatung zu geben. Das Abrigado ist eine von nur noch zwei solchen Einrichtungen in Hamburg, die sich an alle Drogensüchtigen wenden. Sie versorgt täglich dreimal so viele Besucher, wie ursprünglich geplant.
Geplantes Baugelände zwischen Helmsweg und Buxtehuder Straße
Auch die Tafel Harburg, die sich bereits auf dem geplanten Baugelände zwischen Helmsweg und Buxtehuder Straße befindet, hat Raumprobleme. Ihr Gebäude ist ein ehemaliger Bauhof des Harburger Grünamtes und nur bedingt für die Lagerung und Verteilung von Lebensmitteln geeignet. Die Arbeit von Abrigado und Tafel wird von einer breiten Mehrheit der Harburgerinnen und Harburger anerkannt, für richtig und wichtig befunden.
An sie vermieten wollte bislang aber doch niemand. Der Neubau beider Einrichtungen auf einem städtischen Gelände, querfinanziert und gefördert durch den Bau von Sozialwohnungen für vordringlich Wohnungssuchende, die ebenfalls dringend benötigt werden, erschien da wie eine Ideallösung – auch weil es die einzige Lösung ist, die der Behörde in den vergangenen Jahren umsetzbar schien.
„Mit Chancengleichheit und Teilhabe hat das für keinen Beteiligten etwas zu tun“
An den Plänen gibt es auch Kritik: „Hier werden zwei unterschiedliche Randgruppen, Drogensüchtige und von Armut Betroffene, die nur wenig miteinander zu tun haben, an einem Ort zusammengepfercht“, sagt der Harburger Bürgerschaftsabgeordnete Sami Musa (FDP, früher SPD). „Das ist Brennpunktbildung und wird zumindest in Kauf genommen. Darüber dann Sozialwohnungen, in denen auch kleine Familien und Alleinerziehende wohnen werden. Das ist für alle Bewohner stigmatisierend und für die Kinder verstörend. Mit Chancengleichheit und Teilhabe hat das für keinen Beteiligten etwas zu tun!“
Auch seitens Betreiber, Personal und Unterstützern gebe es Zweifel an der Wahl des neuen Standortes, so Musa. „Die direkte Nähe zur stark befahrenen Straße stellt ein enormes Unfallrisiko dar“, schreibt Musa in der Einleitung zu einer Anfrage an den Senat. „Hinzu kommt der Verkehrslärm, der sich negativ auf den Zustand der Besucher des Abrigado auswirken wird. Eine Einbindung der Leitung in den Planungsprozess hat es hierbei nicht gegeben. So weist der bis jetzt vorhandene Grundriss des neuen Gebäudes Mängel auf.“
Weitere Personen haben Zweifel an der Wahl des neuen Standorts
Auf Nachfrage bestätigt das auch Christina Schulte-Scherlebeck, eine der zwei Leiterinnen des Abrigado: „Am neuen Standort ist keine direkte Rettungswagenzufahrt vorgesehen. Die Raumanordnung ist unübersichtlich, die Gänge sind eng, die Räume teilweise zu dunkel. Das beeinträchtigt die Sicherheit meiner Mitarbeitenden. Da muss mindestens noch nachgebessert werden.“
Eigentlich hätte dem Abrigado vorgeschwebt, seine Tätigkeit an neuer Stelle auch zeitlich ausweiten zu können. Am Schwarzenberg geht der Betrieb mit Rücksicht auf die benachbarte Schule erst nach 13 Uhr los. Das soll auch im neuen Kombi-Bau so sein, planen Bezirksamt und Sozialbehörde, denn vormittags gibt die Tafel Ware aus. „Dass wir dann weiterhin nur nachmittags arbeiten können, ist unbefriedigend“, so Schulte-Scherlebeck.
Tafel übergangsweise auf Eckgrundstück an der Hans-Fitze-Straße?
Der Tafel wurde als Übergangsquartier das Eckgrundstück an der Hans-Fitze-Straße neben dem Frauen-Fitnesstudio angeboten. „Das Bezirksamt ist der Meinung, dass das eine gute Lösung ist“, sagt Tafel-Sprecher Ansbert Kneip, „aber wir sind damit nicht glücklich. Das Gelände ist zu klein. Der Plan des Bezirksamts ist es, dort zweistöckig Container aufzustellen. Wir können vielen unserer Helfer, darunter sind ja auch ältere und eingeschränkte Menschen, nicht zumuten, täglich schwere Lebensmittelkisten treppauf und treppab zu tragen. Es fehlt an Platz für unsere Fahrzeuge und an Platz für die Kundinnen und Kunden.“
Diese würden, so Kneip, dann bis zum Fitnessstudio auf dem Gehweg Schlange stehen müssen. „Ob das den Nachbarn so recht ist, weiß ich auch nicht. Und es werden ja auf einen Schlag noch hunderte Kunden hinzukommen, wenn die Flüchtlingsunterkunft auf dem Schwarzenberg öffnet.“
Bezirksamt Harburg sieht keine Gefahr einer Brennpunktbildung
Die Zeit läuft. Der Bauvorbescheidsantrag wurde gestellt und wird im Bezirksamt geprüft. Dort möchte man die Kuh möglichst schnell vom Eis haben. Die Gefahr einer Brennpunktbildung sieht man dabei nicht: „Mit dem neuen Gebäude müssen die unterschiedlichen Anforderungen der drei Nutzungen: Abrigado, Tafel und Wohnen unter einen Hut gebracht werden, was einer besonders sorgfältigen Planung bedarf“, schreibt der Sprecher des Bezirksamts, Dennis Imhäuser, auf Abendblatt-Nachfrage.
„Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Grundstück doppelt erschlossen ist, von der Buxtehuder Straße im Norden und vom Helmsweg im Süden. So können später die Nutzer des Abrigados das Gebäude vollkommen getrennt von den anderen Nutzern erreichen“, so Imhäuser.