Harburg. Carl-Michael Hofmann und Carmen Zerwas leben auf der Schlossinsel und betreiben auf YouTube den erfolgreichen Kanal CALLEkocht.
Das Kochen bestimmt seit langem ihr (Berufs)Leben. Doch als Carmen Zerwas und Carl-Michael Hofmann vor neun Jahren in einem Zeitungsartikel lasen, dass Leute davon leben können, Filme auf YouTube hochzuladen, veränderte sich alles. „Ich habe mich damals gefragt: Was ist YouTube?“, sagt Hofmann. „Wir waren mit unseren 16- bis 17-Stunden-Tagen in der Gastronomie so beschäftigt, dass wir das Videoportal überhaupt nicht kannten.“ Inzwischen kann auch das Paar von seinen YouTube-Auftritten leben.„CALLEkocht“ zählt rund 90 Millionen Aufrufe und 400.000 Abonnenten. Gekocht wird in der heimischen Wohnung auf der Schlossinsel im Harburger Binnenhafen.
Vor neun Jahren gab der gelernte Koch und Küchenmeister Kochkurse in Neukloster. „Wir wurden immer nach Rezepten gefragt, fanden aber keine Zeit, um sie aufzuschreiben. Da dachte ich mir: Dann filmt mich Carmen halt beim Kochen, wir laden die Videos hoch und verweisen auf unsere Filme auf YouTube“, sagt Hofmann. Der erste Film über das Schneiden von Zitronengras ging 2014 in Netz. „Er ist ganz schrecklich, aber wir haben ihn als Mahnung stehen gelassen. Viele andere Filme aus dieser Zeit haben wir inzwischen gelöscht.“
Zusatz „nach Omas Rezept“ brachte den Durchbruch
Das Paar lebte und arbeitete in Buxtehude. Einige Jahre köchelte das Filmgeschäft vor sich hin, ohne sichtbaren Erfolg. „Unsere Videos bekamen keine Kommentare. Vermutlich hat sie niemand gesehen“, sagt Hofmann. Das änderte sich 2017: Das Paar gab einen Weihnachtskochkursus. Dazu stellte es ein Rotkohl-Kochvideo ins Netz, versehen mit dem Zusatz „nach Omas Rezept“. Plötzlich kamen viele lobende Kommentare, dazu Ergänzungen wie „meine Oma hat immer...“. Die Kochvideos waren in der YouTube-Gemeinde angekommen; das Paar hatte mit den traditionellen Rezepten offenbar eine Marktlücke gefunden.
Die Videos bekamen den schlagkräftigen Namen CALLEkocht – Omas Rezepte“, und aus Carl-Michael Hofmann und Carmen Zerwas wurden Calle und Carmen. „Wir haben jetzt mehr Filme gemacht, oftmals vor oder nach Koch-Workshops“, sagt Carmen. Allmählich baut sich eine Fangemeinde auf, von der Calle sagt: „Wir sind wie eine große Familie.“ Sechs Jahre hat das Paar mit den Filmen keinen Cent verdient, und dennoch wöchentlich mindestens ein Video gedreht. Zuerst in der Restaurantküche, später in der Buxtehuder Zwei-Zimmer-Wohnung. Dann wurde das Wohnzimmer zum Filmstudio umgeräumt. Das belastete vor allem an Tagen, an denen die Arbeit abends nicht fertig geworden war.
Neue Wohnung genommen, weil sie die perfekte Küche hat
Eine größere Wohnung musste her. Carmen trennte sich nur schwer von Buxtehude, deshalb sollte der neue Wohnort auf jeden Fall südlich der Elbe liegen. Nach längerer Suche fand sich vor eineinhalb Jahren auf der Harburger Schlossinsel etwas Passendes. „Wir haben diese Wohnung genommen, weil sie für uns die perfekte Küche hat“, sagt Calle.
Mit viel Bewegungsspielraum für die Kamerafrau und genügend Platz für Lichtständer. Gekocht werden montags und/oder donnerstags immer gleich zwei bis drei Gerichte nacheinander. Das dauert sechs bis sieben Stunden. Am Mittwoch ist Filmschneidetag. „Wir kochen, worauf wir Appetit haben“, sagt Carmen. Allerdings seien die Mengen für zwei Personen meist deutlich zu groß.
Also werden Freunde zum Essen eingeladen (Carmen: „Wir hatten noch nie so viel Besuch wie jetzt“) oder es werden die Mahlzeiten an die Nachbarn verteilt. Das kann schon mal ausarten. Calle: „Für unser Backbuch hatten wir 25 Kuchen hier stehen. Damit haben wir die gesamte Nachbarschaft gemästet.“ Das Buch ist eines von fünf, die der Koch aus Leidenschaft bereits zu Papier gebracht hat. Vier sind auf dem Markt, das fünfte erscheint im März.
Zwei Kochvideos pro Woche stellt das Paar ins Netz
Die Videos spielen weiterhin die Hauptrolle. Zwei Kochvideos pro Woche stellt das Paar ins Netz; 550 sind es jetzt insgesamt. Gesehen werden sie vor allem von Menschen im Rentenalter. „Zuerst waren wir darüber schockiert“, sagt Calle (Jahrgang 1960), „aber unsere Fans haben Ruhe, Zeit und Geld. Sie sind nicht so flatterhaft, bleiben uns treu. Inzwischen sind wir sehr glücklich damit.“
2019, vor der Pandemie, suchten die kochenden Filmer Kontakt zum Publikum. „Wir haben gefragt, wer Lust hat, mit uns zu kochen und dann die Leute besucht. Einzige Bedingung: Der Gastgeber muss mit uns das Gericht absprechen und die Zutaten einkaufen.“
Zehn Stationen fuhren die beiden an, legten in 14 Tagen 3000 Kilometer zurück. „Wir haben sogar auf 2000 Meter Höhe in einer Hütte am Großglockner Kässpatzen zubereitet. Auf offenem Feuer“, erzählt Carmen.
Die Rezepte aus der Harburger Küche werden in der ganzen Welt nachgekocht, etwa von deutschstämmigen Auswanderern in Südamerika oder Ruheständlern in Asien oder auf Mallorca. Manchmal fehle dort eine typisch deutsche Zutat, dann werde improvisiert, so Calle. Der bisherige Spitzenreiter unter seinen Rezepten ist das deutsche Gulasch.
Gulasch-Video wurde schon 2,3 Millionen Mal aufgerufen
Es wurde 2,3 Millionen Mal aufgerufen. Aber nicht nur das Publikum, auch Omas Rezepte werden internationaler – schließlich kochen auch in anderen Ländern Großmütter traditionelle Speisen. In Italien zum Beispiel Pasta alla Mamma. Oder Quesadillas (mit Käse und anderen Zutaten gefüllten Tortillas) von einer mexikanischen Oma.
„Wir frühstücken gern ausgiebig und besprechen dann, was wir in der Woche kochen“, sagt Carmen. Manchmal entscheidet aber auch das Angebot auf dem Wochenmarkt.
In diesem Jahr haben beide beschlossen, ihre Hauptjobs auf jeweils zwei Tage zu reduzieren und sich noch mehr dem kulinarischen Filmgeschäft zu widmen. Carl-Michael Hofmann ist Küchenchef der Kochschule Lacocina Hamburg. „Der Job ist mir wichtig, damit ich mal andere Leute sehe – beim Kochen schaue ich sonst ja nur in ein schwarzes Loch. Die Fragen der Gäste beflügeln mich. Außerdem sind sie wichtige Ideengeber.“ Carmen Zerwas leitete bislang den Hofladen von Hof Oelkers und wird dort nun in die zweite Reihe treten.
Heiligabend traf sich Hofmann um 19 Uhr mit der Fangemeinde im Internet-Chat
Am Heiligabend hat sich Hofmann um 19 Uhr mit einem Teil der Fangemeinde im Internet-Chat getroffen. Es gab 2000 Aufrufe; bis zu 250 Gesprächspartner nahmen gleichzeitig teil. „Ich dachte, unter den älteren Menschen gibt es bestimmt welche, die einsam sind. Wie ich.“ Carmen Zerwas besuchte ihre beiden erwachsenen Kinder in Buxtehude, ihre Tochter (29) und ihren Sohn (26).
Auch Carl-Michael Hofmann hat zwei erwachsene Kinder. Aber die 30-jährige Tochter lebt in Manchester und der 33-jährige Sohn in den Rocky Mountains (USA). „Sie fehlen mir unendlich“, sagt er. Zur Jahreswende fliegt das Paar nach Manchester.
Und im nächsten Sommer geht’s in die Rocky Mountains.
Vier Kochbücher hat Carl-Michael Hofmann bereits geschrieben. Drei tragen die Oma im Titel: Aus Omas Küche, Aus Omas Backstube und Aus Omas Ofen. Demnächst erscheint Omas schnelle Küche, alle herausgegeben vom RIVA Verlag.
Das Buch „Norddeutsche Küchenklassiker“ ist seit Oktober auf dem Markt und persönlicher als die vorangegangenen Kochbücher. Carl-Michael Hoffmann präsentiert die Region, in der er lebt und arbeitet mit jeweils typischen Gerichten. Zunächst geht es ums Alte Land mit Altländer Hochzeitssuppe, Pfannkuchen, Rindsrouladen, Apfelrotkohl, Sauerfleisch und vielem mehr. Es folgt die Geest mit 19 Rezepten – von Heidschnuckenkeule über Spargelragout bis Forellenfilets.
Unter „Mein Hamburg“ finden sich unter anderem Labskaus, Rundstück warm und „Echte Zitronencreme und nix aus der Tüte“. Die Küste punktet mit Matjes, Muscheln oder Fliederbeersuppe.
Das Buch ist im Verlag BrainBook erschienen und kostet 24,99 Euro.