Neuland. Für das Grundstück im Südosten Harburgs gibt es viele Interessenten und noch mehr Auflagen. Eine entscheidende Rolle spielt die DHL.
Der Bauzaun ist so alt, dass Öko-Aktivisten auf ihm noch die Forderung nach dem Erhalt des Vollhöfner Waldes formuliert haben, welcher erstens ganz woanders und dessen Weiterbestand zweitens seit Jahren durch den rot-grünen Koalitionsvertrages gesichert ist. Hinter dem Zaun im Harburger Südosten erstrecken sich 17 Hektar Brache in bester Gewerbeflächenlage: Neuland 23, oder wie die Grundstücksvermarkter der Freien und Hansestadt Hamburg sagen: „Hub+ Neuland“.
Eigentlich sollten hier längst riesige Hallen stehen, Lkw und Lieferwagen hinein- und herausfahren, mehr als tausend Menschen arbeiten wie fleißige Ameisen – und gleichzeitig sollte die Umwelt geschont werden. Diese Quadratur des Kreises war durchgeplant, auch ein Partner war gefunden: Die Deutsche Post/DHL wollte hier ein Paketlogistikzentrum eröffnen.
Die DHL nahm ihre Zusage zurück, hatte nie einen Vertrag unterzeichnet
Doch es kam anders: 2020 sprang die Post/DHL ab, nahm ihre Zusage zurück, hatte nie einen Vertrag unterzeichnet und konnte deshalb auch nicht zur Abnahme des Geländes, das extra für den gelben Großkonzern entwickelt wurde, gezwungen werden. Zwar boomte die Paketlogistik weiterhin, aber der Anteil der Post daran wuchs nicht wie vorhergesehen. Einige der großen Online-Händler hatten eigene Vertriebswege aufgebaut.
Seitdem werden neue Abnehmer für die riesige Fläche gesucht. Das sollte einfach sein, denn Gewerbeflächen sind in Hamburg rar und gefragt, aber in diesem Fall ist es offensichtlich doch nicht so leicht. Das könnte an den Voraussetzungen liegen, die der Bebauungsplan Neuland 23 mit sich bringt: Einerseits wurde dieser für ein Post-Logistikzentrum maßgeschneidert. Andererseits hingegen beinhaltet er komplizierte Auflagen, was die Umwelt und die soziale Nachhaltigkeit angeht.
Mindestens 1200 Jobs sollte die Deutsche Post/DHL hier schaffen
Um die 17 Hektar zu erschließen, wurde ab 2016 ökologisch wertvolles Feuchtland trocken gelegt. Damit das genehmigungsfähig war, musste eine Arbeitsplatzgarantie gegeben werden: Mindestens 1200 Jobs sollte die Deutsche Post/DHL hier schaffen.
Zweitens sollte der Eingriff in die Natur durch zahlreiche bauliche Aspekte minimiert oder ausgeglichen werden. „In dem Klima-Modell-Quartier wird die Industriegebietsfläche durch die Begrünung der Dächer und reduzierte Beleuchtung in das Landschaftsbild integriert“, heißt es in der Projektbeschreibung. „Etwa 90 Prozent der Dachflächen sind Gründächer, die mit ihrer natürlichen Verdunstungskühle den Energiebedarf der Gebäude senken und das Lokalklima günstig beeinflussen. Als CO2-einsparende und nachhaltige Maßnahme ergänzen die Gewinnung von Solarenergie und ein klimabegünstigendes Be- und Entwässerungssystem die Projektumsetzung.“
Die Hamburger Hochbahn würde gern ihren Elektrobus-Betriebshof hier errichten
Hinzu kamen begrünte Fassaden, kleintierfreundliche Randbepflanzung und zahlreiche andere minuziös festgelegte Details, mit denen sich die Post zunächst arrangiert hatte, die anderen Interessenten aber offenbar den Appetit auf den großen Grundstückshappen nehmen.
Interessenten gibt es durchaus: Das Harburger Handwerk hatte Wünsche nach der Fläche, die Hamburger Hochbahn würde gern ihren Harburger Elektrobus-Betriebshof hier errichten, der Bergedorfer Zigarettenfertigungsmaschinenhersteller Hauni hatte ein Auge auf Neuland 23 geworfen, die Post hatte angeblich noch einmal Interesse bekundet und im Februar 2022 hatte es geheißen, dass ein Online-Handelskonzern gern ein Logistikzentrum hier bauen wollte (das Abendblatt berichtete).
Wilhelmsburg oder Neuland 23? Für die Hochbahn ist die Sache relativ klar
Das Interesse des Handwerks ist erlahmt. „Man hat uns relativ deutlich gemacht, dass Handwerksbetriebe hier nicht erwünscht sind“, sagt der stellvertretende Bezirkshandwerksmeister von Harburg, Rainer Kalbe. „Die Umweltauflagen würden das Bauen für mittelständische Betriebe auch zu teuer machen. Grundsätzlich muss Hamburg aber mehr Flächen für das Handwerk ausweisen. Das Umland schläft nicht und lockt Betriebe über die Stadtgrenze.“
Bei der Hamburger Hochbahn könnte man sich gut vorstellen, die Umweltauflagen zu erfüllen. Der Mobilitätswendekonzern soll nur noch emissionsfreie Busse kaufen. In spätestens elf Jahren werden die letzten Dieselbusse ausgemustert. Bis dahin werden neue Betriebshöfe benötigt, auf denen die Busse geladen und gewartet werden können. Zwar hat die Hochbahn dafür eine Fläche in Wilhelmsburg in Aussicht, die ist jedoch nur so lange ausreichend groß, wie der angrenzende Deich nicht erhöht – und damit binnendeichs verbreitert – werden muss.
Das wird angesichts von Klimawandel und steigender Meeresspiegel allerdings eher früher als später nötig. Die derzeit einzige andere Fläche südlich der Elbe, die passen würde, wäre Neuland 23.
Das Bergedorfer Unternehmen Hauni ist mittlerweile aus dem Spiel
Der Haken für die Hochbahn: Neuland 23 ist mehr als ausreichend groß, das Grundstück ist zu groß. Außer der Hochbahn müsste ein zweiter Abnehmer gefunden werden. Hauni ist mittlerweile aus dem Spiel: Der Maschinenbauer hat Flächen in Bergedorf bekommen und bleibt in seinem Heimatbezirk.
Über die Identität des Online-Händlers wird offiziell wenig verraten. Wenn man die nebulösen Hinweise, wie „nicht Amazon, sondern das andere Ende des Alphabets“ und „Internet-Klamottenhändler“ jedoch interpretiert, kann man qualifiziert vermuten, dass es sich um Zalando handelt. Dort gibt man sich bedeckt. Zwar suche und verhandele man europaweit wegen geeigneter Logistikflächen. „Eine Entscheidung über den nächsten Standort ist jedoch nicht gefallen“, schreibt Konzernsprecher Christian Schmidt.
Noch schwieriger: die geforderte vierstellige Arbeitsplatzgarantie
Beinahe noch schwerer als die Umweltauflagen des Bebauungsplans wiegt wohl auch die geforderte vierstellige Arbeitsplatzgarantie. Mittlerweile gibt es zwar viele Firmen, die Arbeitsplätze schaffen wollen. Sie auch zu besetzen, ist allerdings schwierig geworden.
Das Interessenbekundungsverfahren für Neuland 23 wurde im Juni ohne Zuschlagserteilung beendet. Keiner der 29 Interessenten konnte oder wollte alle Auflagen erfüllen. „Die Vermarktung erfolgt weiterhin durch die Hamburg Invest Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH, die mit konkreten Interessenten im Gespräch ist“, sagt Dominic Völz, Pressereferent in der Hamburger Wirtschaftsbehörde.