Harburg. Lena Radtke will das Perinatalzentrum auf Level I anheben, Kooperationen ausbauen und mehr stationäre Leistungen ins Ambulante verlagern
Sie hat sich die Frage in den vergangenen Tagen schon x-mal anhören müssen: „Wie lange Sie denn vorhabe, in der Klinik zu bleiben? 18 Monate, ein Jahr oder vielleicht auch nur 180 Tage wie ihr Vorgänger Johannes Rasche?“ Lena Radtke zieht die Augenbrauen in die Höhe, lächelt freundlich und sagt dann in ihrer ruhigen bestimmten Art: „Ich habe vor, auf jeden Fall länger zu bleiben als meine Vorgänger.“
Seit dem 30. Mai ist die 33 Jahre alte Volkswirtin die neue Chefin der Helios Mariahilf Klinik Hamburg und tritt damit in die Fußstapfen von Martin Englisch, der nach nur sechs Monaten in Harburg in die Helios Health wechselt. Die gebürtige Kielerin ist damit die siebte Geschäftsführerin der Harburger Klinik innerhalb von zehn Jahren. Ihr Ziel hat sie eindeutig definiert: Kontinuität zu schaffen und gleichzeitig einiges im Unternehmen zu bewegen.
„Was gibt es Spannenderes, als die Arbeit in einem Krankenhaus?“
Da sitzt sie nun in dem bescheidenen Büro mit Blick auf die B 73, bereit für einen Neuanfang, im Gepäck jede Menge Ideen und Visionen für das Unternehmen und seine Mitarbeiter. Sie freue sich, in Harburg zu sein, sagt sie. „Und ich habe das Gefühl, die Menschen hier freuen sich auch über mich. So herzlich wie hier wurde ich noch in keinem anderen Haus begrüßt.“
Vielleicht auch deshalb, weil sie selbst eine große Nähe und Offenheit ausstrahlt, sich begeistern kann für die Medizin und die Aufgabe einer Klinik. „Was gibt es Spannenderes, als die Arbeit in einem Krankenhaus?“, sagt sie. „Man tut den Patienten mehrheitlich etwas Gutes, angefangen vom Mediziner bis zu demjenigen, der sich um das Essen kümmert.“ Dafür zu sorgen, dass das alles so funktioniert, wie es funktionieren soll, sei auch für sie als Geschäftsführerin eine spannende und sinnvolle Aufgabe.“
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Die Führungsposition in der Harburger Klinik ist für Radtke, die mit Mann und Tochter in Neustadt in Holstein an der Ostsee zuhause ist, bereits die zweite im Helios Konzern. Bevor die 33-Jährige Ende 2020 in den Mutterschutz ging, verantwortete sie 18 Monate die Helios Kliniken in Kiel und Bad Schwartau, zwei Belegkrankenhäuser mit insgesamt 150 Betten. Auch dort habe sie sich sehr wohl gefühlt, sagt sie.
Als junge Mutter hat sie eine besondere Beziehung zum Schwerpunkt des Hauses
Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist die zierliche Frau mit den dicken rotbraunen Locken und dem einnehmenden Lächeln in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt. Nach dem Abitur zog sie nach Paderborn, studierte Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt VWL und ging vorübergehend nach Spanien, um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen. Mit ihrem damaligen Partner gründete sie noch während des Studiums ein eigenes Unternehmen. „Wir haben ein Fitnessstudio mit eigenem Wellness-Bereich und einem großen Angebot an Rehabilitationssport geführt, später noch eine Physiotherapie gegründet“, sagt sie. Als die beiden sich trennten, stieg Lena Radtke aus dem gemeinsamen Geschäft aus und suchte sich eine neue Aufgabe im Gesundheitswesen. „Ich wollte etwas machen, was mir Spaß macht, in einer Branche, in der ich etwas bewirken kann“, sagt sie.
Also bewirbt sie sich bei Helios, wird ins Management Traineeprogramm aufgenommen, landet im Anschluss als Assistentin der Geschäftsführungen in Meiningen und Schleswig, ehe 2019 der Wechsel nach Bad Schwartau und Kiel folgt. Darüber, dass es nun Hamburg ist, freut sie sich sehr, auch, weil sie als junge Mutter eine besondere Beziehung zum Schwerpunkt des Hauses, der Geburtshilfe und Kinder- und Jugendmedizin hat. „Ich möchte diese gemeinsam mit dem Team der Klinik weiter etablieren und auch die Kooperationen in anderen Fachabteilungen voranbringen“, sagt sie. Eines der Ziele ist, die Geburtsklinik wieder zum Perinatalzentrum Level I zu machen.
Personelle Engpässe in der Kinderklinik
Derzeit ist die Klinik aufgrund von personellen Engpässen der Kinderklinik vorübergehend nur noch Perinataler Schwerpunkt, also Perinaltalzentrum der Versorgungsstufe III. Dies bedeutet, dass hier Kinder erst ab der 32. Schwangerschaftswoche oder einem Schätzgewicht von 1500 Gramm geboren werden dürfen. „Hier wollen wir versuchen, unser Angebot als einzige Geburtsklinik im Süden von Hamburg wieder auszuweiten“, sagt Lena Radtke, die in ihrer Funktion als neue Geschäftsführerin mehr will, als nur verwalten. „Verwalter verändern nichts“, sagt sie. „Ich bin aber jemand, der bewegen will und sehe mich als Teil des Teams. Wir haben hier im Haus so viele gute Köpfe, die gemeinsam etwas bewirken können.“ Das aber heiße auch Veränderung. In der Digitalisierung müsse die Klinik voranschreiten, das Thema Ambulantisierung, die Auslagerung von stationären Versorgungsleistungen in den ambulanten Sektor, werde künftig eine größere Rolle spielen. Kooperationen sollten ausgebaut werden und die Klinik müsse mit ihren Angeboten näher an den Patienten rücken. „Wir müssen uns zum Beispiel beim Thema ambulante Sprechstunden besser aufstellen“, so Radtke.
Dafür will sie sich einsetzen, die Zeit in der Klinik aber auch die Stunden im Auto nutzen, um Prozesse anzuschieben und zu begleiten. Wie viele ihrer Mitarbeiter arbeitet sie im „Flex-Work“, kann daher Aufgaben auch von unterwegs oder zuhause erledigen. Unterstützt wird sie bei der Betreuung der gemeinsamen, 16 Monate alten Tochter von ihrem Mann, der als Bundespolizist tätig ist. „Er geht morgens sehr früh aus dem Haus, ich bringe die Kleine um 7.30 Uhr in die Kita und mache mich dann auf den Weg nach Hamburg“, sagt Lena Radtke. „Mein Mann holt das Kind am Nachmittag ab und wir treffen uns um 18 Uhr zuhause zum gemeinsamen Abendessen.“
Frau mit Kind als Geschäftsführerin in Vollzeit
Die Helios-Mariahilf-Chefin weiß, dass es bei aller Emanzipation in Deutschland noch immer Mütter gibt, die sie schief anschauen, weil sie diejenige ist, die ihre Tochter als letztes aus der Kita abholt. Und dass es hierzulande noch immer etwas Besonderes ist, wenn eine Frau mit Kind als Geschäftsführerin in Vollzeit tätig ist. „Bei Helios selbst ist das aber gar nicht so außergewöhnlich“, sagt sie. „Was zählt, ist die Qualifikation. Schön wäre es doch, wenn Deutschland wegkommt von diesen Gender-Vorurteilen und es wie in anderen Ländern auch selbstverständlich wird, wenn man sich als Mutter für eine Führungsposition entscheidet.“ Wichtig sei schließlich Verlässlichkeit und Kontinuität.
Lena Radtke bringt beides mit – und hat vor, dass sowohl ihre Tochter als auch die Klinik davon profitiert.