Harburg. Bernd Muss gestaltet bei „Walls can Dance“ eine Hauswand. Hamburger Stadtteil soll zu Deutschlands größter Freiluftgalerie werden
Es ist schwül, Wolken ziehen auf und Bernd Muss steht zehn Meter über dem Boden und macht den Himmel blau. Mit ruhiger Hand zieht er die Farbsprühdose in einem langsamen Zickzackbewegung hin, her und abwärts. Die grauweiße Rückfassade eines Hauses am Schippsee verändert dadurch sofort ihren Charakter. Das soll sie auch.
Bernd Muss‘ Arbeit ist Teil des diesjährigen Harburger Street-Art-Festivals „Walls can Dance“. Zehn riesige Wandbilder sind seit 2017 bereits entstanden, 2022 kommen drei hinzu. Harburg, wünschen sich die Organisatoren, soll Deutschlands größte Freiluftgalerie werden. Mit Bernd Muss ist zum ersten Mal ein Lokalmatador beteiligt.
Studio „Tattoo Freestyle“ schnell ein Geheimtipp
Mit Wandbildern und dem Füllen von Flächen kehrt Bernd Muss zu seinen künstlerischen Anfängen zurück: „Ich habe ja als Graffiti-Künstler angefangen“, sagt der 48-jährige, der mittlerweile künstlerischen Weltruhm mit einem ganz anderen Medium hat: Als Tätowierer. „Und ich habe auch ständig weiter Wände gestaltet. Allerdings hat sich mein Schwerpunkt mit den Jahren verlegt.“
Flächen zu füllen war die erste Aufgabe in seiner Tätowierer-Ausbildung. Bernd Muss hatte die Wand der damaligen Tätowierstube in der Wilstorfer Straße mit Graffiti gestaltet. Tätowierlegende „Oschi“ fand Gefallen an dem jungen Künstler und nahm ihn in die Lehre. Erst durfte er nur Flächen färben, die Zeichnungen brachte Oschi in die Häute. Dann durfte Bernd Muss die Motive aus dem Katalog verwirklichen: Indianerköpfe, Wölfe, Herzen. Früh war ihm klar, dass er sich selbstständig machen musste. Als es so weit war, war Bernd Muss‘ Studio „Tattoo Freestyle“ schnell ein Geheimtipp und der Harburger mit seinem unverwechselbaren Stil wurde zu internationalen Veranstaltungen eingeladen.
Zwischendurch haderte Bernd Muss immer mal mit der Tätowiererei. Dann fuhr er sie etwas zurück und probierte andere Dinge: Malerei, Schmuck, Skulpturen, Textilien. Ein Kunststudium hat Bernd Muss nicht absolviert, aber weil er mal bewerben wollte, nahm er privaten Unterricht. Oschi kam dazwischen. Jeder Ausflug in ein anderes Metier brachte Muss aber Inspiration für neue Tattoos. Das Motiv, das er jetzt auf die Wand bringt, ein zart wirkendes Mädchen mit Oktopus-Beinen, entstand zuerst als Tintezeichnung, dann als Tätowierung und geht jetzt an die Wand.
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Mit dem Tätowieren hat Bernd Muss seinen Frieden gemacht: „Es ist mein künstlerisches Hauptfeld und ich kann davon gut leben. Danach kommen Wände und Skulpturen“, sagt er. „Dass ich eine Wand bei Walls Can Dance bekommen habe, ehrt mich ganz besonders. Das ist ein tolles Projekt mit internationalen Größen der Szene und es tut Harburg und seinem Ansehen gut!“
Zwei weitere Bilder entstehen 2022 in Harburg: Am City-Block, Ecke Harburger Ring/Lüneburger Straße arbeitet die NeverCrew aus der Schweiz an einem riesigen Werk mit Walen. Noch ist erst die Grundform zu sehen. Am Ende wirken Werke der NeverCrew meist so plastisch, dass man Angst bekommt, sich darunterzustellen. Die Künstler sehen bei der Arbeit an solchen Riesenwerken immer nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten. Dabei Proportion und Perspektive zu wahren, erfordert Übung und Erfahrung. Was von Weitem natürlich aussieht, muss vor dem Pinsel stark verzerrt erscheinen, um so zu wirken.
Vom dritten Bild war gestern noch nicht viel zu sehen: Künstler Millo hatte eine verspätete Anreise und wird an seiner Mal-Baustelle am Wallgraben noch etwas aufholen müssen. Von Donnerstag bis Sonnabend finden täglich Rundgänge durch die Freiraumgalerie Harburg mit den bisherigen und den neuen Werken statt. Die Initiatoren vom „Urban Art Institute“ erklären dabei Wissenswertes über die Kunstform und die Werke. Am Freitag und Sonnabend, jeweils um 20 Uhr gibt es noch eine Tanz-Performance vor Millos Werk am Wallgraben.