Harburg. Inhaberin macht aus einem Home-Shop in Sinstorf weiter. Geschäft existierte 70 Jahre. Hier wurde das „Maggi des Nordens“ erfunden
Als im Sommer während des Urlaubs die Kündigung kam, war das für Ute Bütow-Schröter ein Schock. „Man weiß nicht, was zu tun ist“, sagt die Inhaberin des Harburger Gewürzgeschäfts Karl Boettcher. Ihr Opa startete 1952 den Familienbetrieb, nun drohte das kleine Unternehmen seine Basis zu verlieren. „Wir haben uns nach neuen Räumlichkeiten umgesehen, aber das Angebot, das wir hatten, war viel zu teuer“, sagt sie.
In Sinstorf entstand ein Home-Shop
Seit dem Jahreswechsel ist der Laden an der Harburger Rathausstraße 18 geschlossen. Und am Haithabuweg in Sinstorf entstand ein „Home-Shop“, ein Geschäft in der Privatwohnung, wo die Kunden ihre Bestellung abholen können und weiterhin beraten werden.
Fast 100 verschiedene Kräuter und Gewürze habe sie im Angebot, schätzt Bütow-Schröter. Zusammen mit Gewürz- und Duftmischungen, Tees und speziellen Salzen umfasst das Sortiment 160 Produkte. „Mein Großvater war mit 15, vielleicht 20 Gewürzen sowie Därmen zum Wurstmachen angefangen“, erzählt die dreifache Mutter.
Zunächst viele Schlachtereien beliefert - doch nun gibt es die nicht mehr
Er hatte die zahlreichen Harburger Schlachtereien beliefert, vor allem mit Majoran, Paprika und Thymian, den Standardkräutern zum Wurstmachen. Das Fachwissen hatte sich Karl Boettcher als Prokurist der Rügenwalder Mühle erworben. Nach dem Krieg startete er sein eigenes Geschäft.
Und das sehr erfolgreich. „Es kamen auch viele Kunden aus dem Landkreis“, sagt die Enkelin. „In den 1950er und 1960er Jahren haben viele Privatleute Vieh gehalten, es geschlachtet und das Fleisch dann verwurstet.“ Hauptkunden waren aber die Schlachtereien. 23 habe es damals in Harburg gegeben. Um das Jahr 2000 seien alle in Rente gegangen – „heute gibt es keine Schlachterei mehr in Harburg. Die nächstgelegenen sind die Metzgerei Lesser in Hausbruch und die Fleischerei Lissewski in Hittfeld“.
Das Geschäft verlagerte sich mehr und mehr auf die Gewürze und Kräuter. Die Käufer kamen in die zwei Vorgänger-Läden am Krummholzberg 3 und (später) Krumholzberg 1, kauften Gewürze und fragten: „Habt Ihr nicht auch...?“ So wuchs das Sortiment immer weiter. Das „Harburger Universal Gewürz“ wurde kreiert, eine Mischung aus 26 Kräutern und Gewürzen, „die zu allem passen“, sagt Bütow-Schröter. Wenn’s mal nicht schmeckt, half – und hilft – die Harburg-Mischung zuverlässig weiter, quasi als Maggi des Nordens.
Harburger Mischung - das Maggi des Nordens
Ute Bütow-Schröter ist seit 1982/83 mit im Geschäft. Damals hatte sie als Teenager ab und an im Laden ausgeholfen. 2005, mit dem Umzug zur Rathausstraße, hat sie den Betrieb von ihren Eltern übernommen. Viel Geld lies sich mit dem Gewürz- und Kräuterhandel nicht verdienen; ihr Mann Peter sorgte für das Auskommen der fünfköpfigen Familie. Sie könne es sich leisten, sich nur ein „Taschengeld“ zu bezahlen und damit den Traditionsbetrieb am Leben zu halten, sagt Karl Boettchers Enkelin. Sie mag ihre Kunden, und die sind sehr treu.
„Ich verkaufe an alle Altersgruppen, von 20 bis 90“, sagt sie. Bis vor ein paar Jahren hatten noch zwei Teilzeitkräfte im Laden ausgeholfen. In den vergangenen Jahren war sie weitgehend allein, seit der Pandemie mit verringerten Öffnungszeiten. Im letzten halben Jahr hat ihr jüngster Sohn (18) mitgeholfen, weil er nicht auf Anhieb einen Ausbildungsplatz zum Zimmermann fand. Vor allem vor Weihnachten brummte der Laden. Das sei ohnehin die stärkste Verkaufszeit, aber 2021 habe sich die Kundschaft angesichts der bevorstehenden Schließung besonders kräftig mit Kräutern und Gewürzen eingedeckt.
Der Vermieter wollte ihr einen befristeten Vertrag geben, berichtet sie. Aber sie könne sich nicht für vier oder fünf Jahre binden. Zudem hätte es sicherlich einen Aufschlag auf die 1000 Euro Warmmiete pro Monat für das 60 Quadratmeter große Ladengeschäft gegeben. Ihr seien Räume für 1800 Euro angeboten worden, aber das sei für sie unbezahlbar.
Geschäftsfrau ohne Laden
Sie habe damit gerechnet, dass die Nachfrage im Januar gegen Null tendiere, sagt die Geschäftsfrau ohne Laden. „Aber ich habe schon jetzt, so kurz nach der Umstellung vier, fünf Bestellungen pro Woche.“ Wie zum Beweis klingelt das Telefon. Nach einem kurzen Wortwechsel fängt Bütow-Schröter an, den Straßennamen Haithabuweg zu buchstabieren – damit die Kunden wissen, wo sie die Ware bekommen. Einen Online-Versand möchte sie nicht anbieten; dann fährt sie notfalls lieber selbst los und liefert die Bestellung aus.
Durch die Pandemie sei das Geschäft zwar ein wenig eingebrochen. Aber Corona habe auch den Trend verstärkt, dass die Leute wieder mehr kochen, sagt Ute Bütow-Schröter. Derzeit erlebe die Wurstherstellung eine Renaissance, „sogar die VHS bietet Kurse an“. Vielleicht kommt irgendwann wieder ein eigener Laden mit Spezialitäten für die heimische Wurstproduktion hinzu.