Wihelmsburg. Im Osten der Stadt sollen Tidebiotope geschaffen werden. Dafür müsste der Deich zurück, wo er mal war. Das sorgt für viel Unmut.
Die Freie und Hansestadt Hamburg möchte den Ellerholzdeich im Wilhelmsburger Osten zurückverlegen und in dessen dadurch entstehenden Vorland Tidebiotope entwickeln. Zum Unmut der Anwohner.
Ihre Kritik: Der Deich und damit die Straße würde näher an ihre Häuser heranrücken und das grüne Idyll vor ihrer Haustür würde verschwinden, damit auch Lebensräume von Störchen, Fledermäusen und anderen geschützten Arten. Sie fordern, die Planung sofort einzustellen. Die Umweltbehörde hingegen möchte weiter planen. Möglicher Baubeginn wäre 2026.
Bestehende Deichlinie wurde nach der Sturmflut von 1962 gezogen
Die bestehende gerade Deichlinie wurde nach der Sturmflut von 1962 gezogen. Damit wurde ein zuvor hinter dem Deich gelegenes Hafenschlick-Spülfeld eingedeicht und trockengelegt. Bebaut wurde dies neu gewonnene Land nicht. Es wird von einem Schäfer beweidet, dient als Klei-Lagerfläche für den Deichbau und ist Standort eines über die Jahre entstandenen Gehölzes. Die nächsten Häuser liegen entlang der alten Deichlinie an der Straße Einlagedeich. Ungefähr dorthin soll die Deichlinie zurückverlegt werden. Damit würde nicht nur die am Deich verlaufende Hauptstraße viel näher an die Häuser rücken, auch der Schallschutz durch das Gehölz wäre nicht mehr vorhanden.
„Für die Menschen vor Ort erhöht sich die bereits bestehende verkehrsbedingte Belastung immens durch Baustellenverkehr während der jahrelangen Realisierungsphase und durch das Verlegen der Straße direkt vor die Grundstücke“, sagt Claudia Plöchinger, eine der Sprecherinnen des Anwohnerprotests Schon jetzt sei der stark gestiegene Lkw-Verkehr durch die Nachbarschaft zur Firma Kühne+Nagel und zu den Logistik-Zentren auf der Peute eine grenzwertige Herausforderung.
Federführend in Sachen Deichrückverlegung sind der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) und die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA). Die neu gewonnenen Vorlandflächen im Tidebereich wären im Punktesystem eines Biotopwertverfahrens höherwertig als die bestehenden. Diese ökologische Aufwertung kann die Stadt als Kompensation für die Abwertung oder gar Vernichtung anderer Flächen gegenrechnen.
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Laut BUKEA-Sprecherin Renate Pinzke soll die Maßnahme am Ellerholz hauptsächlich Ausgleichspunkte für den Flächenverbrauch erbringen, der sich aus dem Hamburger Deicherhöhungsprogramm ergibt. Entlang der Elbe wurden und werden seit 2012 sämtliche Deiche um 70 bis 100 Zentimeter erhöht. Jeder Meter Erhöhung der Deichkrone bedeutet sechs Meter Verbreiterung des Deichfußes. „Einige der zukünftigen Deichbaumaßnahmen sind damit von der Bereitstellung ausreichender und geeigneter Ausgleichsflächen abhängig. Die naturschutzfachlichen Anforderungen an diese Ausgleichsflächen sind hoch, so dass die Flächen in Hamburg rar sind“, so Pinzke. Letztlich würde der Ellerholzdeich um 80 Zentimeter erhöht und dadurch der Anwohnerschutz verbessert.
"Stadt legt hier ein Ökopunktekonto zulasten der Anwohner an"
Anwohneraktivistin Liesel Amelingmeyer glaubt dieser Argumentation nicht: „Hier geht es nicht primär um den Ausgleich für den Deichschutz“, sagt sie. „Vielmehr will sich die Stadt hier ein Ökopunktekonto anlegen, mit dem sie zulasten der Anwohner alle möglichen Maßnahmen in Hamburg ausgleichen kann.“
Lange war das auf der Nordseite Wilhelmsburgs gelegene Naturschutzgebiet Heuckenlock der letzte verbliebene Tideauenwald Europas. Ungefähr seit der Jahrtausendwende ändert sich das. In Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern werden wieder mehr solche Biotope in den einst begradigten Flüssen geschaffen. Vom Hochwasserschutz her sind sie ein Streitfall: Die eine Meinung ist, dass kürzere Deichlinien besser zu unterhalten und zu verteidigen sein. Die andere ist, dass die Vorlandvegetation als Wellenbrecher den Deich bei Sturmflut eher schützt und dass jede zusätzliche Wasserfläche der Sturmflut ein wenig Höhe nimmt.
Machbarkeitsstudie sah noch andere Varianten der Verlegung vor
In einer Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2016 werden verschiedene Varianten der Deichrückverlegung entwickelt. „Aber konzentriert wird sich derzeit nur auf die, die die größte Verkehrs- und Umweltbelastung für die Nachbarschaft ergibt“, sagt Claudia Plöchinger. „Wir werden übergangen.“
Eine Vorfestlegung gebe es nicht, betont Pinzke. Noch sei nicht einmal entschieden, ob die Stadt die Deichrückverlegung angeht. Wenn, dann könne ein Planfeststellungsverfahren 2023 beginnen. Bei diesem könnten die Anwohner sich einbringen. Allerdings gebe es auch im Vorfeld schon Bürgerbeteiligung. Die habe im Juni mit der ersten Zusammenkunft eines runden Tisches begonnen.