Harburg. Künstlerpaar Daniel Kahn und Yeva Lapsker hat sich jiddischer Kultur verschrieben und arbeitet jetzt auf einem schwimmenden Atelier

Er kam 2005 mit 27 Jahren aus den USA als Musiker, Schauspieler und Komponist nach Berlin. Sie immigrierte als Dreijährige mit ihren jüdischen Eltern 1993 aus St. Petersburg nach Deutschland. 2016 lernten sich Daniel Kahn und Yeva Lapsker im jüdischen Museum in Berlin kennen – zwei Jahre später feierten sie dort ihre Hochzeit. Seit März hat das Künstlerpaar, das sich der jiddischen Sprache und Kultur verschrieben hat, seinen Lebensmittelpunkt auf einem Hausboot im Harburger Binnenhafen.

„Als ich für Proben am Thalia Theater vor zwei Jahren einige Wochen mit Yeva in Hamburg war, gefiel uns die Stadt sehr gut“, sagt Daniel Kahn. In Detroit geboren und aufgewachsen, studierte er an der Universität von Michigan Theater, Dramatik, Poesie und Politik und machte sich in verschiedenen US-Städten als Musiker einen Namen, befasste sich als Jude mit jüdischer Kultur, spielte unter anderem Klezmer-Musik. „Ich habe mein jiddisches Engagement immer auch als antifaschistisch gesehen“, sagt Kahn. Die Sprache Jiddisch lernte er erst in Berlin, ebenso Deutsch.

Künstler verlassen in der Bush-Ära die USA

„Ich bin einem guten Musiker-Freund gefolgt, der 2005 nach Berlin gezogen war. In den USA war 2004 George W. Bush gerade wiedergewählt worden, der Irak-Krieg beschäftigte die Menschen. Viele Künstler wollten das Land verlassen, und Berlin war ein beliebtes Ziel“, sagt Kahn.

In Berlin gründeten Daniel Kahn und Yeva Lapsker eine Familie; Söhnchen Leon kam im Dezember 2019 zur Welt und krempelte das Leben der beiden Eltern um. Wenige Monate später veränderte Corona das Leben ein zweites Mal: Live-Auftritte, Workshops, Regie- und Übersetzungsarbeiten stoppten von einem Tag auf den anderen – und das anderthalb Jahre lang. In dieser Zeit suchten die beiden eine neue Bleibe in Berlin. Vergeblich.

Eine Freundin lockte sie nach Hamburg, wo sie eine kleine Wohnung haben. Am liebsten wollten sie jedoch auf einem Hausboot arbeiten. Im Internet entdeckten sie ein passendes Schiff, das im Harburger Binnenhafen lag. „Der Binnenhafen hat uns gleich verzaubert“, sagt Kahn. „Als wir nach einer langen Fahrt aus Berlin hier ankamen, sind wir in die Fischhalle gegangen, um etwas zu essen.“ So lernte das Paar eher aus Versehen das kleine maritime Veranstaltungszentrum kennen, in dem der vielseitige Musiker Kahn bereits ein Konzert gegeben hat.

Daniel Kahn gab am 25. Juni ein Freiluftkonzert an der Fischhalle Harburg.
Daniel Kahn gab am 25. Juni ein Freiluftkonzert an der Fischhalle Harburg. © Sabine Dreismann | Sabine Dreismann

Die beiden sind jüdische Atheisten

„Wir sind hier richtig glücklich“, sagt Yeva Lapsker. Sie arbeitet vor allem als Tänzerin und Übersetzerin und hat sich ebenfalls der jiddischen Sprache und Kultur verschrieben. Mit Religiosität habe das wenig zu tun, betonen beide: „Wir sind jüdische Atheisten“, sagen sie. Die jüdische Kultur liegt ihnen dagegen am Herzen, und dazu gehört Jiddisch, die jüdische Alltagssprache, die überall auf der Welt gesprochen wird. Kommende Woche fahren sie zum Festival „Yiddish Summer“ nach Weimar und geben einen Workshop zu Kinderliedern. Auf dem Tisch liegen verschiedene Versionen des Struwwelpeter.

Das Paar kaufte sich ein umgebautes DDR-Arbeitsboot

„Wenn wir unterwegs sind, freuen wir uns, nach Hamburg zu kommen, sagt Kahn. Auf dem umgebauten alten Arbeitsboot aus der DDR fühlt sich das Paar wohl, obwohl es keine Bootserfahrung hat. „Wir müssen unbedingt Seemannsknoten lernen“, sagt Yeva Lapsker. „In St. Petersburg habe ich das Wasser und Schiffe lieben gelernt und wollte immer in eine maritime Stadt ziehen, mit Wasser und Häfen.“ Im größten Raum des schwimmenden Ateliers, Studios und Wohnzimmers steht ein Klavier, daneben mehrere Gitarren. Hier bereitet das Paar jetzt wieder Konzerte und Workshops vor. Und Yeva einen Tango-Kursus in der Fischhalle. Beide hoffen, dass nicht die nächste Pandemie-Welle den gerade aufkeimenden Kulturspross im Herbst wieder zertritt.

Immerhin können sie Corona auch etwas Gutes abgewinnen: „In der Pandemie-Zeit ist das Interesse an jiddischer Kultur und Sprache explodiert“, sagt Kahn. „Die Leute hatten plötzlich Freiräume, um Dinge zu tun, die sie schon längst mal anpacken wollten.“