Hamburg. Stella Jürgensen kuratiert und moderiert im Goldbekhaus die neue Reihe „Jüdische Klangspuren“ - ein Herzensprojekt.
Es ist fast genau ein Jahr her, da lasen Stella Jürgensen und Jürgen Krenz von der Stiftung „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ und von deren geplantem Festjahr 2021. Normalerweise liest Stella Jürgensen Nachrichten – für die „Tagesschau“.
Seit 20 Jahren gehört die Hamburgerin zum Sprecherteam, früher auch vor der Kamera, jetzt liest sie für gewöhnlich aus dem Hintergrund die Texte der Einspielfilme. Krenz ist seit Jahren verantwortlich für Musik und Konzerte im Goldbekhaus.
Unterricht beim früheren Schauspielhaus-Intendanten Niels-Peter Rudolph
Und weil Jürgensen nicht nur ausgebildete Sprecherin ist – einst nahm sie Unterricht beim früheren Schauspielhaus-Intendanten Niels-Peter Rudolph –, sondern als Sängerin mit ihrer Gruppe Stella’s Morgenstern öfter im Winterhuder Stadtteilkulturzentrum gastierte, hat sich zwischen ihr und Krenz ein Vertrauensverhältnis entwickelt.
Hinzu kommt: Mit ihrer bis zu fünfköpfigen Formation hat sich Stella Jürgensen auf jiddische und hebräische Lieder spezialisiert, auch hebräische Literatur ist ihr Metier.
Auftakt mit Psychoanalytikerin Lasker-Wallfisch
Und so entschieden beide, sich trotz eines aufwendigen Antragsverfahrens an dem Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zu beteiligen. Nachdem die Jury der Stiftung in Köln den Antrag positiv beschieden hatte, mussten noch die Kultur-Staatsministerin Monika Grütters (CDU) und das Innenministerium in Berlin zustimmen. „Das hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert“, sagt Stella Jürgensen heute.
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Glücklicherweise hatten sie und Krenz parallel für eine erste geplante Veranstaltung im Februar mit Maya Lasker-Wallfisch beim Bezirksamt Hamburg-Nord einen Antrag auf Förderung gestellt – für sie „die Rettung“. Psychoanalytikerin Lasker-Wallfisch, Tochter der KZ-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch (95) aus dem sogenannten Mädchenorchester von Auschwitz, wurde bewusst als Erste zu den „Jüdischen Klangspuren“ eingeladen.
„Damit deutlich wird, welche Trauma benannt und behandelt werden müssen, damit jüdisches Leben wieder selbstverständlich in Deutschland möglich werden kann“, sagt Stella Jürgensen.
Am 17. April kommt das Ensemble Waks - Yiddish Voices
Wie im Februar soll die erste reguläre Veranstaltung der jetzt sechsteiligen Reihe am Sonnabend (17.4.) als kostenloser Livestream realisiert werden. Die Einnahmen aus den Ticketverkäufen fehlen auch diesmal, wenn das Ensemble Waks – Yiddish Voices gastiert. Ungewöhnlich: Sängerin und Historikerin Inge Mandos hat sich auf die Spuren von vergessenen Stimmen begeben, die auf Wachswalzen festgehalten wurden.
„Mit Waks – Yiddish Voices verfolgt Mandos einen Ansatz, den es in jiddischer Musik so noch nicht gegeben hat: Waks hat behutsame Arrangements gefunden, um diese jiddischen Stimmen wieder lebendig werden zu lassen und mit ihnen gemeinsam auch zu singen“, erläutert Stella Jürgensen. Außer der Musik gibt es in diesem Erzählkonzert Fotos und Filmausschnitte.
Jürgensen hat das gesamte Programm kuratiert
Jürgensen hat das gesamte Programm kuratiert und moderiert vor den acht aufgebauten Livestream-Kameras in der Bühne zum Hof – auch wenn sie eigentlich wie bereits bei der „Tagesschau“ nicht mehr vor der Kamera agieren wollte.
Die Reihe soll dazu einladen, jüdisches Leben hierzulande besser kennenzulernen. Die Kriterien für die ausgewählten Künstler und Gesprächspartnerinnen benennt Jürgensen klar: „Es war mir wichtig, dass alle beteiligten Künstler in Deutschland leben.
Sehr persönliche Erzählkonzerte
Durch die teils sehr persönlichen Erzählkonzerte werden ihre Lebenswege und unterschiedlichen Biografien deutlich und damit auch, wie vielfältig jüdisches Leben in Deutschland ist.“ Für alle Beteiligten ist das Jüdische und das Jiddische wesentlich für ihre künstlerischen Auseinandersetzung.
Liedermacher Daniel Kahn etwa, jüngst von Berlin nach Hamburg gezogen und am 15. Mai zweiter Gast der Reihe, hat Songs von Bob Dylan und Leonard Cohen („Hallelujah“) bewusst ins Jiddische übertragen. Und das komme ja zu 40 Prozent aus dem Mittelhochdeutschen, so Stella Jürgensen.
Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sie sich mit jüdischer Kultur
Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sie sich mit jüdischer Kultur im Schwerpunkt Musik. Alle eingeladenen Künstler habe sie im Laufe der Jahre persönlich kennen- und schätzen gelernt. „Alle stehen für höchste Qualität in diesem vielfältigen Genre: Originalität, Tiefgründigkeit, musikalisches Können, Geschichtsbewusstsein und Aktualität.“
„Stolpersteine“
- Die Reihe „Literarisch-Musikalische Stolpersteine“ (bis 31.12.) an den Hamburger Kammerspielen fällt auch unter das Motto „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.
- Beginnen soll sie am 16. Mai (11 Uhr) mit Werken von Hans Krása (1899–1944), „Passacaglia und Fuge“, und Ludwig van Beethovens Serenade für Streichtrio D-Dur Op. 8. Natalia Alenitsyna (Violine/Viola), Emanuel Meshvinski (Violine/Viola) und Pjotr Meshvinski (Violoncello) spielen.
- Zusätzlich zum Konzertprogramm lesen Schauspieler ausgewählte Texte, die den Facettenreichtum jüdischer Literatur abbilden. Meshvinski (Musik), Kammerspiele-Leiter Sewan Latchinian und Dramaturgin Sonja Valentin haben das Programm erstellt (unter www.hamburger-kammerspiele.de).
Die vielen traumatischen Spuren, die der Holocaust hinterlassen hat, sollen bei den Erzählkonzerten immer wieder sichtbar werden. „Es lohnt sich, diese Lieder zu entdecken und sich einzuhören. Sie wurden größtenteils in der Ukraine und in Weißrussland vor fast 100 Jahren aufgenommen und erzählen vom beschwerlichen Alltag und Überlebenskampf“, sagt die Kuratorin.
Stella Jürgensen kam über The Klezmatics zur jiddischen Musik
Stella Jürgensen selbst ist über die New Yorker The Klezmatics zur jiddischen Musik gekommen, „eine tolle Band mit exzellenten Musikern, immer politisch.“ Die Gruppe lebe die jiddische Idee einer gerechteren Welt. Außerdem hätten die Klezmatics „wahre Schätze ausgegraben“ und künstlerisch stets besonders verarbeitet.
„Jiddische Musik steht nicht nur bei den Klezmatics für eine bestimmte Lebenshaltung. Mich fasziniert daran auch der transnationale Ansatz: Jiddisch hatte, wie etwa Kurdisch oder Romanes, nie einen eigenen Staat und hat sich immer über Grenzen hinweg definiert“, sagt Stella Jürgensen. „Für mich ein kluges Vorbild angesichts von steigendem Nationalismus.“
Die Musik kann helfen, Vorurteile abzubauen
Die Sängerin und Sprecherin hat selbst viel Zeit in Israel verbracht und lebt mit einem Tel Avivi, wie die Menschen aus Tel Aviv heißen, in Hamburg. Noch im Herbst konnte Jürgensen mit Stella’s Morgenstern eine Mini-Tournee in der Schweiz absolvieren.
Sie singt in bis zu sieben Sprachen. Beim finalen sechsten Abend der „Jüdischen Klangspuren“ am 27. November will sie mit ihrer Band auch auf der Bühne zum Hof singen. Am liebsten vor Publikum und nicht vor nur vor Kameras.
„Diese Reihe gibt mir die Möglichkeit, meine Leidenschaft für jiddische Musik mit anderen zu teilen. Und das kann auch helfen, das eine oder andere antisemitische Vorurteil abzubauen“, lautet ihr Anliegen und ihre Hoffnung.
„Jüdische Klangspuren“ Konzert und Werkstattgespräch mit Waaks - Yiddish Voices, Sa 17.4., 20 Uhr, kostenloser Livestream (Spenden erbeten): www.goldbekhaus.de