Harburg. Gospel-Train-Chorleiter befürchtet Sterben der Schulchöre und fordert Lösungen, damit Jugendliche wieder gemeinsam musizieren.
Manchmal fragt sich Chorleiter Peter Schuldt, wie lange die Kinder und Jugendlichen noch durchhalten werden. Wie lange sie bereit sind, zu verzichten. Und wann der Zeitpunkt gekommen sein wird, an dem sie aufhören werden zu singen – und die Schulchöre in Hamburg auseinanderbrechen. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 ist das gemeinsame Singen von Jugendlichen verschiedener Jahrgänge in der Schule verboten. Und wie es aussieht, wird sich auch nach den Sommerferien nichts daran ändern.
„Wenn wir keine Lösungen finden, die gemeinsame Proben ermöglichen, wäre das eine Katastrophe“, sagt Peter Schuldt. „Wir brauchen kreative Ideen, Luftfilter, neue Konzepte, um den Schülerinnen und Schülern das gemeinsame Singen zu ermöglichen.“
Schuldt, Urgestein in der Musikwelt, Mitbegründer des Schul-Musikprojektes „The Young ClassiX“ und Leiter des Jugendchors Gospel Train der Goethe-Schule-Harburg (GSH), befürchtet, dass infolge der Coronaregeln ein für die Jugendlichen wertvolles Bildungsangebot verloren gehen könnte. „Im Chor erfahren sie ein Gemeinschaftserlebnis über alle sozialen und Bildungsgrenzen hinweg, sie erleben Freude und Begeisterung, lernen, selbstbewusst aufzutreten“, so Schuldt.
Seit März 2020 ist der Chor nicht mehr gemeinsam aufgetreten
Der Harburger Schulchor Gospel Train ist dafür bestes Beispiel. Gegründet vor 22 Jahren an der GSH, genießt der Chor inzwischen bundesweit Anerkennung. Gesungen wird unter anderem in Wismar und Lübeck, in der Laeisz- und Friedrich-Ebert-Halle. Rund 80 Sängerinnen und Sänger sind bei Gospel Train aktiv. Für viele von ihnen ist der Chor Lebensinhalt, Kraftquelle, Familie. Das alles ist mit dem Ausbruch der Pandemie weggebrochen.
„Seit März 2020 gab es keinen gemeinsamen Auftritt von Gospel Train mehr“, sagt Peter Schuldt, der alles dafür getan hat, die Jugendlichen über virtuelle Chorproben zusammenzuhalten, um startklar für die Bühne zu sein, sollte es wieder losgehen. Im vergangenen August entwarf er für die großen Jahreskonzerte in der Friedrich-Ebert-Halle einen umfassenden Hygieneplan, trennte den Chor nach Jahrgängen und arbeitete ein neues Beschallungskonzept aus, bei dem jeder Sänger sein eigenes Mikrofon bekommen sollte, um die großen Abstände von 2,50 Metern akustisch zu überbrücken. Der Schulbehörde reichte das nicht. Sie sagte die Konzerte ab.
Junge Menschen haben digitale Wege beschritten
„Die Enttäuschung damals war riesig“, erinnert sich Schuldt. „Aber wir haben weitergemacht – und ich habe begriffen, dass man das Lernen neu denken muss.“ Um den Schülern auf digitalem Wege das Erlernen ihrer Stimmen zu erleichtern, digitalisierte er alle Noten einzeln als Video, bei dem jeder Sänger seine eigene Stimme sieht, sie digital hört und anhand eines Cursors genau mitlesen und mitsingen kann. Regelmäßig schickten die Schüler ihrem Chorleiter zu den Playbacks selbst aufgenommene Videos zu. Und es gab gemeinsame virtuelle Konzerte.
„Jeder hat sich einen Kopfhörer aufgesetzt, ich habe dirigiert und plötzlich war jeder mittendrin“, so Schuldt. Für die Jugendlichen waren die Chorproben das Highlight im Homeschooling. „In vielen Fächern war der digitale Schulunterricht beschwerlich“, sagt Chormitglied Omoefo, der die 11. Klasse besucht. „Aber auf Gospel Train habe ich mich jedesmal gefreut.“ Mitschülerin Marie ergänzt: „Wenn wir geprobt haben, habe ich ganz vergessen, dass ich vor dem Bildschirm sitze. Die Stunden waren ein Highlight.“
20 Schüler dürfen mit Abstand gemeinsam proben
Inzwischen hat die Hamburger Schulbehörde die strengen Regeln für Schulchöre ein wenig gelockert. 20 Schüler dürfen in Präsenz mit 2,50 Metern Abstand gemeinsam proben. Voraussetzung ist, dass alle aus einer Kohorte kommen. Auftritte dürfen nur unter freiem Himmel in Kleinstgruppen mit Abstand und Maske stattfinden. „Wir hoffen, dass wir nach den Sommerferien endlich wieder gemeinsam proben dürfen“, sagt Peter Schuldt. „Lasst uns endlich wieder singen!“
Hamburger Schulbehörde macht wenig Hoffnung
Die Schulbehörde macht indes wenig Hoffnung. „Niemand kann präzise vorhersagen, welche pandemische Lage wir im August haben werden und welche konkreten Regeln dann gelten“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht. „Gerade die Verbreitung von Mutanten und die Wirkung von Reiserückkehrern aus Risikogebieten können eine Rolle spielen, ebenso die Impfquote.“
Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick
- Corona in Hamburg – die aktuelle Lage
- Die Corona-Lage für ganz Deutschland im Newsblog
- Interaktive Corona-Karte – von China bis Hamburg
- Überblick zum Fortschritt der Impfungen in Deutschland
- Interaktiver Klinik-Monitor: Wo noch Intensivbetten frei sind
- Abonnieren Sie hier kostenlos den täglichen Corona-Newsletter
- So wird in Deutschland gegen Corona geimpft
Sehr gerne würde man den Chören eine Perspektive bieten, dies sei allerdings keine Frage, die die Schulbehörde beeinflussen könne. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass SARS-CoV-2 beim Atmen, Sprechen, Schreien, Husten, Singen und Musizieren hauptsächlich über Tröpfchen und Aerosole übertragen wird. Solange in der Gemeinschaftseinrichtung Schule vor allem ungeimpfte Schülerinnen und Schüler zusammenkommen, muss deren Gesundheitsschutz für uns als Schulbehörde erste Priorität haben.“