Hamburg. 80 junge Sängerinnen und Sänger aus Hamburg reisen um die Welt, singen vor Prominenten und Politikern – seit 20 Jahren.
Und dann hält es auch den damaligen Bundespräsidenten nicht mehr auf dem Stuhl. Als die Sänger von Gospel Train im Oktober 2013 vor 1800 Gästen beim Festakt „150 Jahre Deutsches Rotes Kreuz“ in der Stuttgarter Liederhalle die letzten Takte von Bill Withers’ „Lean on Me“ in den Saal schmettern, springt Joachim Gauck auf und swingt mit. Gepackt von der Lebensfreude dieser jungen Menschen aus Hamburg, die auf der Bühne stehen und singen, als gäbe es kein Morgen. Jedem Chormitglied schüttelt Gauck danach persönlich die Hand.
Es ist einer dieser besonderen Momente, die für Gospel-Train-Chef Peter Schuldt und die Chorsänger unvergessen bleiben werden. Momente, die wieder präsent werden in diesen Wochen, in denen sich Schuldt und die Sänger auf die großen Jubiläumskonzerte vorbereiten. Gospel Train feiert seinen 20. Geburtstag und eine Erfolgsgeschichte, wie sie kaum ein zweiter Chor in Deutschland erzählen kann.
Gospel Train: Keine Profis, sondern Schüler
Dabei handelt es sich in dieser Gemeinschaft aus Sängern nicht um Profis, sondern um einen Schulchor, dessen Dependance eine Stadtteilschule in Harburg ist. 80 junge Menschen gehören zu diesem Chor. Schüler von der siebten Klasse bis zum Abitur, die die Goethe-Schule Harburg besuchen oder dort ihren Abschluss bereits gemacht haben. Singen ist ihr Hobby. Mehr nicht. Und nicht weniger.
Morgens drücken die Mädchen und Jungs die Schulbank. Aber abends werden sie zu Stars auf der Bühne, umjubelt und gefeiert. Sie singen im Kanzleramt, vor dem Bundespräsidenten, vor 16.000 Zuschauern in der Barclaycard-Arena. Für Konzerte reisen sie nach Wismar, Stuttgart und Salzburg, Lettland, Dubai und Shanghai. Einer der Höhepunkte war das Charity-Event „Tribute to Bambi – Hilfe für Kinder in Not“, bei dem die Schüler 2015 vor hochkarätiger Prominenz wie Schauspieler Til Schweiger, Fußballstar Thomas Helmer und Moderator Johannes B. Kerner performten.
Vom Schulchor zum Kulturbotschafter
„Ein Megachor ist gegründet“, schrieb das Hamburger Abendblatt im Jahr 1999. Ein Satz, der wie eine Prophezeiung anmutet. Denn tatsächlich ist es Peter Schuldt innerhalb von zwei Jahrzehnten gelungen, aus einem ganz normalen Chor von Mittelstufenschülern ein Ensemble zu formen, das unter dem Namen Gospel Train zu einem der namhaftesten Kulturbotschafter Hamburgs geworden ist. Sechs CDs haben die Sänger inzwischen aufgenommen, einen Film gedreht.
Der ChorDas Repertoire des Chors umfasst mehr als 100 Titel aus den Bereichen Gospel, Pop, Soul, Musical und Klassik. Das ermöglicht es ihm, Konzerte zu verschiedenen Anlässen selbst zu gestalten oder durch Gastauftritte zu bereichern. Zur Galabesetzung für große Auftritte gehören 40 bis 60 Sänger. Bezeichnend für die Qualität des Ensembles ist, dass zu ihm etliche Akteure gehören, die gar keine Schüler mehr sind, sondern längst studieren, teilweise sogar in anderen Städten. Gospel Train hat ein ganz eigenes Chorkonzept. Solistische Beiträge stehen gleichberechtigt reinen Chorpassagen gegenüber und fügen sich so zu einem ganz eigenen Hörerlebnis. Neben den reinen eigens für den Chor arrangierten Chorsätzen wird Wert auf eine exzellente Ausbildung von Solisten gelegt, die in Extraproben gefördert werden. Bei großen Konzerten arbeitet der Chor mit namhaften Profimusikern zusammen wie Drummer Sönke Reich, Crutch-Gitarrist Benny Baumann oder Gitarrist Christoph Oeding. |
Für den Durchbruch sorgte eines der Chormitglieder: Millane Fernandez. Die Schülerin wurde 2001 bei einem Casting-Wettbewerb zur Nachfolgerin von „Blümchen“ gewählt und gewann einen Plattenvertrag mit Dieter Bohlen. Ihr Song „Boom Boom“ war 18 Wochen lang in den deutschen Charts. „Der Erfolg von Millane hat natürlich auf Gospel Train abgefärbt“, sagt Peter Schuldt. „Plötzlich kannte uns jeder.“
Chorleiter Peter Schuldt will Persönlichkeiten formen
Zum Erfolg trug nur zwei Jahre später auch die Hamburger Versicherungsgruppe HanseMerkur bei. Das Unternehmen buchte den Harburger Schulchor 2003 für die Verleihung des „HanseMerkur Preises für Kinderschutz“. „In den folgenden Jahren hat der Chor die Veranstaltung immer wieder zu ganz besonderen Erlebnissen gemacht“, sagt Heinz-Gerhard Wilkens, Leiter der Unternehmenskommunikation. Daraus entstand die Förderung von bislang vier CDs. „Gospel Train ist für uns Jugendförderung im besten Sinne, die besonders unterstützenswert ist“, so Wilkens. Es gehe um Wertevermittlung, Hoffnung und Zuversicht: Mut, der aus Freundschaft, Verantwortung, Solidarität, Freiheit, Gruppenerlebnissen und Liebe erwachse.
„Wer einmal im Chor gesungen und erlebt hat, wie seine Stimme mit der von anderen verschmilzt und welch tolles gemeinsames Erlebnis das ist, der will einfach weitermachen“, sagt Peter Schuldt, der nicht nur Titel eigenhändig komponiert, sondern auch sämtliche Songs für den Chor arrangiert. „Mein Anliegen ist es, aus den Menschen, die Teil von Gospel Train sind, Persönlichkeiten zu formen, sie bereit zu machen, ihren eigenen Weg zu gehen. Durchs Singen lernt man so viel: Sich zu konzentrieren, in der Gemeinschaft aufzugehen, man schließt Freundschaften.“ Das sei besonders wichtig für die Schüler, die nicht aus Bildungshaushalten kommen. Für viele sei das Singen ihr Anker. Es helfe ihnen, selbstbewusst auf der Bühne und im Leben zu stehen. „Durch den Chor erfahren sie, wie stark der Einzelne in der Gemeinschaft ist, sie erleben Anerkennung und Zuwendung.“
Gospel Train: Eine Wahlfamilie aus 14 Nationen
Erfahrungen, die prägen und dazu beitragen, dass junge Menschen ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln. Menschen, die hinschauen, mitfühlen und sich für den sozialen Zusammenhalt engagieren. „Der Chor ist für uns wie eine Familie“, sagt Solistin Laura Ogbama. „Hier wird jeder so angenommen, wie er ist, und in seinen Stärken gefördert. Wir verstehen uns super, vertrauen einander und unterstützen uns.“ Eine Wahlfamilie, deren Mitglieder aus 14 Nationen kommen. Damit sorgt der Hamburger Schulchor neben seiner musikalischen Leistung für Integration an einer Schule, in der 80 Prozent der Schüler eine Einwanderungsgeschichte haben.
„Der Gospel Train repräsentiert in vorbildlicher Weise das, was für die Bildung junger Menschen entscheidend ist“, schreibt Schulsenator Ties Rabe (SPD) im Vorwort der Chronik, die Peter Schuldt zum 20-jährigen Bestehen des Chors verfasst hat. „Es geht um das Über-sich-Hinauswachsen in dem Wissen, dass ohne die Mitspielerinnen und Mitspieler das eigene Können wertlos ist. Es geht um die Gewissheit, dass Applaus und Anerkennung nur mit Disziplin, Anstrengungen und viel investierter Zeit zu erreichen sind.“ Es gehe aber auch um das Sich-zu-Hause-Fühlen in einer starken Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Ziel.
Für viele gute Zwecke trat der Gospel Train bereits auf
Wenn Gospel Train auftritt, dann fast immer für einen guten Zweck wie beispielsweise beim Empfang zu Ehren der US-Nationalmannschaft, bei der „World Childhood Foundation“ von Königin Silvia von Schweden oder bei der Lions Clubs International Convention in der O2 World. Die Schüler singen für Obdachlose und Kranke und für jene, die sich dafür einsetzen, dass es den Betroffenen besser geht. Sie geben Benefizkonzerte für Herz As, zugunsten der Knochenkrebsforschung und Transplant Kids und stehen im Dezember bei der Obdachlosen-Weihnachtsfeier „Mehr als eine warme Mahlzeit“ auf der Bühne der Fischauktionshalle.
Die Begegnungen bei solchen Veranstaltungen lassen auch die Jugendlichen nicht unberührt. „Es gibt Sänger bei uns, die mehr tun wollen, als nur für die Bedürftigen zu singen“, sagt Peter Schuldt. Chiara Innamorato und Laura Ogbama zum Beispiel, die beide als Solistinnen zu Gospel Train gehören. Die beiden ehemaligen Abiturientinnen gehen regelmäßig über die Reeperbahn und verteilen Kaffee, selbst geschmierte Brötchen und warme Kleidung an die Obdachlosen.
Sängerin gewann 25.000 Euro und spendete das Geld
„Was wir ihnen geben, bedeutet den Menschen viel“, sagt Sängerin Chiara. „Und für uns selbst ist es so wenig.“ Auch Gospel-Train-Mitglied Whitney Akowuah hat während ihrer aktiven Chorzeit begonnen, sich sozial zu engagieren. Als sie bei einem Radio-Castingwettbewerb 25.000 Euro gewann, investierte die damalige Schülerin das Geld in den Bau eines Kinderheims in Ghana und spendete darüber hinaus eine kleine Summe für einen guten Zweck in Harburg.
Der ChorleiterPeter Schuldt wird als Sohn eines Obstbauern auf Finkenwerder geboren. Das Geld für seine erste Gitarre verdient er sich heimlich. Doch der Vater überfährt sie aus Versehen mit dem Traktor. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann beginnt er unter Prof. Hermann Rauhe ein Studium an der Musikhochschule Hamburg. Dort singt er im Hochschulchor und entdeckt dabei seine Leidenschaft für den Chorgesang. Mit gerade einmal 20 Jahren übernimmt er auf Finkenwerder die traditionsreiche Liedertafel Harmonie von 1865. 1988 kommt der leidenschaftliche Musiklehrer an die Gesamtschule Harburg, die heute Goethe-Schule Harburg heißt. Dort setzt er schon bald ein eigenes Chorkonzept um, zunächst mit zwei Unterstufenchören. Als viele Schüler auch mit zunehmendem Alter dabeibleiben, erwächst daraus ein stimmgewaltiger Mittelstufenchor, der Vorläufer von Gospel Train. Alle Songs arrangiert der Chorleiter selbst, darunter Welthits wie „Pride (In The Name Of Love)“ von U2, „The World’s Greatest“ von R. Kelly, „Lean On Me“ von Bill Withers und „Rolling In The Deep“ von Adele. |
„Die Schüler lernen bei uns von Anfang an, dass es wichtig und wertvoll ist, zusammenzuhalten und sich für andere einzusetzen“, sagt Peter Schuldt. „Authentisch zu sein und tolerant.“ Im vergangenen Herbst hat Gospel Train seine sechste CD herausgebracht, von deren Verkauf je ein Euro an das Projekt „Mehr als eine warme Mahlzeit“ geht. Peter Schuldt hat sie „Seelenfutter“ genannt, weil er findet, dass dieser Chor genau das ist. „Seelenfutter in verstörenden Zeiten. In Zeiten, in denen es wichtiger denn je ist, Werte wie Achtung, Respekt, Individualismus, Toleranz und Menschlichkeit hochzuhalten.“
Der Chor-Terminkalender für 2020 ist bereits voll
19-mal wurden der Chor und sein Leiter, zu dessen Verdienst auch die Gründung des Chormoduls des Jugendmusikprojekts „The Young ClassX“ gehört, in den vergangenen zehn Jahren für ihr Engagement ausgezeichnet, zuletzt mit dem Bürgerpreis der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. Mit dem Abendblatt holte Gospel Train 2016 mit dem „Song für Harburg“ den Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Kategorie Kultur.
Schuldt, der im September seinen 66. Geburtstag gefeiert hat, will dafür sorgen, dass die Erfolgsgeschichte von Gospel Train weitergeschrieben wird. Der Terminkalender für 2020 ist bereits voll. Eine neue CD in Arbeit. Doch erst mal warten die nächsten Auftritte. Welche Songs die Sänger parat haben müssen? Der Chorleiter zuckt mit den Schultern und grinst. „Ich habe keinen Plan“, sagt er, „Gospel Train ist ein Chor, der immer in Bewegung ist. Was wir singen, entscheide ich jedes Mal spontan.“
Die Jubiläumskonzerte: 15. und 16. November, 19 Uhr, Friedrich-Ebert-Halle, Alter Postweg 30–38 (ausverkauft). Zusatzkonzert: 22. Februar 2020, 19 Uhr, Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz