Harburg. Hamburger Vereine leiden unter den Corona-Folgen – allerdings unterschiedlich stark. Größere trifft es härter, als die Kleinen.
Vom Tablet tönt Klaviermusik. Ein halbes Dutzend kleiner Mädchen und ein Junge heben die Arme, strecken sich durch und machen sich groß. „Sehr schön!“, ruft Balletttrainerin Sarwenaz Baziyar-Dizabadi. „Und gleich den Stern“ Einige Mütter gucken zu. Sie gehören zu den „Probekindern“, die sich noch nicht fest fürs Kleinkinderballetttraining bei der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft (HNT) entschieden haben. Bei den anderen ist Mamabesuch verpönt. Spiegel und Ballettstangen sucht man vergeblich.
Die Kinder tanzen unter einem Zeltdach auf der Dachterrasse der Tennisumkleiden. Unten werden schon wieder Bälle hin und her gedroschen. Hinter den Tennisplätzen trainieren einige Fußballer auf dem Kleinfeld. Der Sportbetrieb erwacht dank niedriger Inzidenzen zumindest im Freien wieder zum Leben, wenn auch noch unter Einschränkungen. Die Sportvereine sind froh, dass es wieder losgehen kann. Unter dem Strich hat ihnen der Corona-Lockdown nicht gutgetan, berichtet HNT-Geschäftsführer Mark Schütter.
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Sportvereine im Bezirk Harburg
Er und sein Kollege vom Harburger Turnerbund (HTB) Torsten Schlage sind die Sprecher der Arbeitsgemeinschaft (Arge) der Sportvereine im Bezirk Harburg. „Bei vielen Vereinen hat der Lockdown dazu geführt, dass Mitglieder austraten und Einnahmen wegbrachen“, sagt Schütter. Schütter und Schlage hatten dem Sportausschuss der Bezirksversammlung Bericht erstattet, wie es den Vereinen geht.
Dazu hatten sie einen Fragebogen entworfen und an die Mitgliedsvereine abgeschickt. Mit 20 von 70 war der Rücklauf überschaubar, aber die Sprecher glauben, dass er repräsentativ ist. „Die Verein konnten ihre Einschätzung der Lage nach der langen Corona-Phase mit den strengen Einschränkungen in Schulnoten abgeben“, so Schütter. Da zeigte sich ein sehr differenziertes Bild: Während einige wenige Vereine gut durch die Zeit gekommen sind und die Lage tatsächlich mit der Note 1 bewerten, liegt der Schnitt bei 3. Ein Verein hat sogar die Note 5 vergeben.
Kleinere Vereine erleben mehr Solidarität der Mitglieder
Dabei lässt sich eine Tendenz erkennen: Die kleinen, familiären, ehrenamtlich geführten Vereine hatten weniger unter Mitglieder- und Beitragsschwund zu leiden, wie die großen. „Vor allem dann, wenn es sich um Ein-Sparten-Vereine handelt“, sagt Schütter. „Dort funktioniert das Prinzip des Vereines als solidarische Gemeinschaft noch besser als bei den Großen.“
Er muss es wissen. Denn Schütter lenkt die Geschicke des größten Sportvereins im Hamburger Süden. 4440 Mitglieder hat die HNT aktuell. Vor einem Jahr waren es noch 5500. „Das liegt vor allem daran, dass wir viele Sportangebote haben, die von den Aktiven wie Dienstleistungen wahrgenommen werden“, sagt Schütter. „Und wenn der Gegenwert nicht geliefert wird, fragen sie sich, warum sie noch Beiträge zahlen sollen.“
Bei der HNT umfasst das vor allem das große Kursangebot, das auch immer nur mit einer auf die Kursdauer befristeten Mitgliedschaft verbunden ist und es umfasst das vereinseigene Fitnessstudio „FitHus“, das allein vor Corona 1500 Mitglieder an den Verein band. „Weil viele kommerzielle Fitnessstudios ihren Mitgliedern das Aussetzen der Mitgliedschaft angeboten haben, haben wir ein ähnliches Modell angeboten“, erklärt Schütter. „Nicht die Aussetzung der Mitgliedschaft, aber der Beiträge.“ Ein Viertel der FitHus-Nutzer trat trotzdem aus. Ein anderes Viertel zahlte weiter die vollen Beiträge. Die Hälfte setzte mit den Zahlungen aus und wird erst jetzt, nach der Wiedereröffnung der Studios, wieder zur Kasse gebeten.
Den finanziellen Schaden durch Corona schätzt Schütter auf 250.000 Euro. „Das ist sehr viel. Im Schnitt haben die Vereine, die überhaupt Verluste angaben, 10.000 Euro verloren“, sagt er. Das liegt zum einen daran, dass die HNT sich in den vergangenen Jahren professionalisiert hat und mittlerweile 20 Hauptamtliche vom Geschäftsführer bis zum Azubi beschäftigt. Es liegt aber auch daran, dass die Einnahmeverluste über die Mitgliedsbeiträge hinausgehen: So fielen beispielsweise Tennisplatzmieten weg.
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Davon kann auch Torsten Schlage vom HTB ein leidvolles Lied singen: „Unsere neu gebaute Tennishalle war eine Woche lang in Betrieb, als der Lockdown verkündet wurde. Ich musste zwei Quartale an Einnahmen abschreiben. Unser Tanz- und Veranstaltungssaal und unsere Gastronomie lagen ebenfalls brach. Kleine Vereine, die so etwas nicht haben, haben damit keine Probleme.“
Ende 2020 gab es für die Vereine noch Hilfen von der Stadt. „Die kamen auch schnell und unbürokratisch“, berichtet Schlage. „Jetzt soll es eine Unterstützung für die Neuanwerbung von Mitgliedern geben, aber die ist so gedeckelt, dass in Hamburg 20.000 Neueintritte bezuschusst werden. Das gleicht die Verluste nicht aus.“ Um ein breiteres Angebot unterbreiten zu können, bewarb sich die HNT für ein Hamburger Modellprojekt und bekam den Zuschlag.
HNT gilt als Hamburger Modellverein für Lockerungen
An der HNT und anderen Vereinen soll erprobt werden, unter welchen Sicherheitskonzepten Innensport trotz Corona möglich ist. „Allerdings holen die Lockerungen vieles von dem was wir mit Kindern und im FitHus planten, gerade ein“, sagt Schütter. „Was noch wirklich spannend wird, ist die Judo-Gruppe. Denn Judoka dürfen, außer bei uns, auch im nächsten Lockerungsschritt noch nicht wieder auf die Matte.“
Währenddessen sitzen die „Kleinen Ballettratten“ nun im Kreis: Durchatmen und Dehnübungen. Durchatmen würden auch die Vereine gerne.