Hausbruch. Sie sind versteckt, verwunschen, unheimlich: Das Abendblatt stellt in einer Serie Lost Places vor. Diesmal in Hausbruch.

Es gibt Ereignisse, Gebäude oder auch technische Bauwerke, die im Laufe der Jahrzehnte völlig in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Irgendwann sind auch ihre letzten Zeugnisse und Reste im Dunkel der Geschichte verschwunden, überwuchert oder verstauben bestenfalls in Archiven. Und es gibt solche Dinge, die dann urplötzlich und zur Überraschung vieler doch wieder höchst aktuell werden: Dazu gehört das Bergwerk Robertshall am Ehestorfer Heuweg in den Harburger Bergen.

Zwar ist der Betrieb seit fast 100 Jahren schon stillgelegt, doch jüngst traten die Folgen buchstäblich offen zu Tage. Bei der Sanierung der Straße brach 2019 ein alter Stollen ein. Auch bei einigen Häusern im Umfeld zeigen sich Risse. Ein Bergwerk in Hausbruch? Das überraschte nach den ersten Meldungen dann doch. Auch die Behörden hatten diesen ehemaligen Abbau von Braunkohle offensichtlich nicht mehr richtig auf dem Schirm.

Faszination für Bergwerke entdeckte Hamburger schon früh

Einer, der aber schon länger vor solchen Folgen gewarnt hatte, ist der gebürtige Hausbrucher Rolf Weiß. Der 49-Jährige hatte bei Spaziergängen im Wald dort schon als kleiner Junge eine Faszination für Bergwerke entwickelt, nachdem er mit Älteren gesprochen hatte, die sich noch daran erinnerten. Bald erkannte Weiß, dass die vielen Vertiefungen im Waldboden keine Bombentrichter aus dem Weltkrieg sind, wie viele erzählten. Sondern es waren Spuren unterirdischer Stolleneinbrüche. Manchmal wurden deshalb auch Wanderwege gesperrt, was ihn nur noch neugieriger machte.

Diese alte Aufnahme zeigt das Bergwerk.
Diese alte Aufnahme zeigt das Bergwerk. © Verein Bergwerk Robertshall | Verein Bergwerk Robertshall

Weiß suchte in Archiven weiter, verbiss sich in das Thema, als er am Gymnasium Neuwiedenthal dazu ein Referat ausarbeiten sollte. „Ein Bergwerk in Hausbruch? Das hielten viele für einen Aprilscherz“, erinnert er sich. Im Laufe der Jahre trug er die Geschichte immer weiter zusammen, hielt Vorträge und machte spezielle Bodenradar-Untersuchungen, die in 3-D-Verfahren tatsächlich offene Stollen zeigten.

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Weiß gründete auch einen Verein, der an das alte Bergwerk erinnert. Man organisierte aus dem Ruhrgebiet eine alte Lore, die seit 2018 am Ehestorfer Heuweg als Denkmal steht. Oberhalb davon gibt es einen „Erinnerungspfad“ mit Schautafeln, die derzeit aber nach Vandalismus-Schäden wieder aufgearbeitet werden und in etwa einer Woche am alten Platz wieder an die Geschichte dieses ungewöhnlichen Bergwerks erinnern sollen.

Letzter Zeuge: Fundamentreste der einstigen Kohlenwäsche.
Letzter Zeuge: Fundamentreste der einstigen Kohlenwäsche. © MARK SANDTEN / FUNKE FOTO SERVICES | Mark Sandten / FUNKE FOTO SERVICES

Begonnen hatte diese Geschichte mit einem Zufall, wie Weiß auf der Internetseite seines Vereins auch beschreibt: 1915 hatte eine Grundstücksbesitzerin das Braunkohlevorkommen entdeckt, als sie eigentlich nach Grundwasser gesucht hatte. Sie war offensichtlich recht clever, sicherte sich flugs beim zuständigen Bergamt Celle Schürfrechte und verkaufte sie kurze Zeit später an die Dortmunder Gebrüder Stern KG.

Inzwischen war der Erste Weltkrieg beendet, die Rohstoffe knapp. Das Bergwerk-Unternehmen schloss einen exklusiven Liefervertrag mit der Harburger Phoenix AG, stellte Bergleute aus dem Harz ein und 1919 begann das Unternehmen in etwa 13 bis 19 Meter Tiefe mit dem Abbau der Braunkohle. Bis zu 120 Mann arbeiteten dort im Drei-Schicht-Betrieb, schreibt Weiß. Die Qualität der Kohle und ihr Brennwert waren aber recht gering. Auch der Transport mit den damaligen Lkw erwies sich als schwerfällig. Ab 1921 wurde deshalb eine Seilbahnförderanlage gebaut.

1922 wurde die Hausbrucher Braunkohleförderung unrentabel

Doch schon 1922 wurde die Hausbrucher Braunkohleförderung unrentabel, weil unter anderem im Saarland wieder bessere Steinkohle gefördert werden konnte. Im September 1922 war das Harburger Bergwerk schon wieder Geschichte und weitgehend abgebaut. Nur einige wenige Bergleute arbeiteten noch eine Weile weiter, um die Stollen wieder zu verfüllen. Doch längst nicht alle konnten in der dafür angesetzten kurzen Zeit zurückgebaut werden. „Das fand nur auf dem Papier statt“, sagt Weiß.

Auf dem Fundament findet sich noch eine Inschrift.
Auf dem Fundament findet sich noch eine Inschrift. © MARK SANDTEN / FUNKE FOTO SERVICES | Mark Sandten / FUNKE FOTO SERVICES

Insgesamt waren die unterirdischen Stollen etwa 25 Kilometer lang, schätzt der Experte. Zudem seien sie offensichtlich viel weitergetrieben worden, als in alten Unterlagen verzeichnet. „Da wurde auch schwarz unter Tage abgebaut. Das war damals so üblich. Die Pläne sind nur Phantasie“, sagt er.

Das musste auch ein Hamburger Tiefbauunternehmen 1928 erfahren, das von den Behörden seinerzeit wegen einiger ungeklärter Stolleneinbrüche den Auftrag zur weiteren Verfüllung bekam. „Mit den Plänen passte da nix zusammen, die haben dann aufgegeben und das Ganze wurde sich selbst überlassen“, berichtet Weiß aufgrund seiner Recherchen. Niemand könne also genau sagen, wo noch unverfüllte Hohlräume liegen und wann und ob sie einstürzen.

Einsturzgefahr: Die Haftungsfrage ist ungeklärt

Auch die Haftungsfrage ist ungeklärt, sagt Weiß. Denn die jüdischen Eigentümer sind in der Nazizeit enteignet worden. Die Geschichte des Bergwerks, vermutet er, ist daher längst noch nicht auserzählt.

Für ihn selbst hat diese Geschichte am Ende aber noch viel mehr bewegt, als er sich als kleiner Junge hätte träumen lassen. Heute ist er Geschäftsführer des Unternehmens Zweithandhaus GmbH und verkauft bundesweit ganz besondere Immobilien: alte Stellwerke der Bahn zum Beispiel oder auch verlassene Lagerhäuser – und ehemalige Bergwerksstollen.