Harburg. Ärzte und Pflegekräfte der Covid-Stationen und der Corona-Ambulanz waren zuerst an der Reihe. Rund 1500 Impfungen sind geplant.
Für Stephanie Raguse ist es nur ein kleiner, kaum merklicher Piks, aber einer, auf den die Anästhesieschwester schon sehnsüchtig gewartet hatte. Erst, bis ein Impfstoff zugelassen war; dann bis an ihrem Arbeitsplatz mit dem Impfen begonnen werden konnte und schließlich, bis sie an die Reihe kam. Jetzt ist es soweit: Gunther Wiest, Chefarzt der Lungenabteilung am Asklepios-Klinikum Harburg (AKH), verabreicht der Krankenschwester die Covid-Impfung persönlich. Seit Silvester impfen er und einige Kollegen das AKH-Personal. Stephanie Raguse ist bereits der 450. Impfling – und eine der ersten Kandidatinnen, die den neuen Impfstoff der Firma Moderna verabreicht bekommt.
„Ich freue mich, dass ich jetzt dran bin“, sagt Stephanie Raguse, „Zum einen natürlich, damit ich sicher gehen kann, mich bei der Arbeit nicht mit Covid zu infizieren, oder, noch viel schlimmer, die Krankheit unwissentlich hier zu verbreiten. Zum anderen aber auch, weil die Impfung ein wichtiger Schritt ist, um das Leben für alle Menschen wieder zu normalisieren!“
Wiest zieht vorsichtig die Spritze auf. Es sind nur wenige Milliliter, die verabreicht werden müssen und Verschwendung kann sich das Impfteam nicht leisten. Auch das AKH wird nicht gerade mit den Impfstoffen überschüttet. Zirka 100 Impfdosen pro Woche erhält das Krankenhaus derzeit zugeteilt. 2300 Mitarbeiter hat die Klinik.
Ärzte absolvieren den Impfdienst neben der eigentlichen Arbeit
„Wir priorisieren die Impflinge nach Einsatzbereichen“, sagt André Schepanski, Abteilungsleiter Pflege am AKH, „Als erste kamen die dran, die dem größten Infektionsrisiko ausgesetzt sind: Ärzte und Pflegekräfte der Covid-Stationen und der Corona-Ambulanz sowie der zentralen Notaufnahme; Intensiv- und OP-Personal. Die haben wir mit der ersten Impfung jetzt durch. Jetzt kommen nach und nach alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dran, die direkten Patientenkontakt haben. Damit werden wir dann bei 1500 liegen. So viel Impfstoff bekommen wir auf alle Fälle. Schön wäre es für uns als Arbeitgeber natürlich, wenn wir auch die restlichen 800 Klinik-Beschäftigten aus Verwaltung und anderen Tätigkeiten impfen könnten, aber das ist noch nicht ganz sicher.“
Gunther Wiest stellt Stephanie Raguse die üblichen Fragen: Akute, chronische oder Vorerkrankungen? Nein. Schwanger? Auch nicht. „Dann machen Sie mal bitte den Lieblingsarm frei“, sagt Wiest. Es ist der linke.
Seit Dezember ein kleines Impfzentrum aufgebaut
Seit Ende Dezember die erste Impfstofflieferung am AKH einging, hat die Klinik ein kleines internes Impfzentrum aufgebaut. In vier Räumen wird gleichzeitig verabreicht. 50 Impfungen pro Stunde sind möglich. Die Ärzte absolvieren den Impfdienst derzeit neben den Tätigkeiten ihrer eigentlichen Stelle. „Vom Aufgabenzuschnitt her wäre ja eigentlich nur unsere Betriebsärztin zuständig“, sagt André Schepanski, „aber die würde ja alleine nicht hinterherkommen.“
Bislang wurde der Biontech-Impfstoff verabreicht. Der muss, sobald er aufgetaut und angebrochen ist, innerhalb weniger Stunden verbraucht werden.
Deshalb helfen weitere Ärzte mit. Die Wochenlieferung ist so innerhalb kurzer Zeit verimpft. „Wenn ich Impfdienst habe, komme ich eine Stunde früher oder gehe eine Stunde später und kann diesen Dienst so in den Arbeitstag einfügen“, sagt Gunther Wiest, „und weil sich das auf mehrere verteilt, belastet es auch keinen übermäßig. Das erhöht auch die Arbeitsmotivation: Die ersten Impfungen haben wir Silvester verabreicht und das ganze Team hat nicht gezögert, den freien Tag zu opfern.“
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Nahezu das gesamte Personal will sich impfen lassen
Nicht nur bei den Impfenden ist die Motivation groß: „Ich schätze die Impfbereitschaft beim Personal auf nahezu 100 Prozent“, sagt Schepanski. „Gerade diejenigen, die in den vergangenen Monaten mit Corona-Patienten zu tun hatten, sind besonders motiviert“, ergänzt Gunther Wiest. „Aber auch im restlichen Personal gibt es eine große Nachfrage nach Impfungen. Die Kolleginnen und Kollegen warten ungeduldig. Was viele hier nicht nachvollziehen können, ist, warum es ausgerechnet bei den Altenpflegern so viele Impfskeptiker gibt.“
Auch von außerhalb hat Schepanski schon Impf-Anfragen erhalten. „Mich rief schon jemand an und sagte, falls hier jemand seinen Termin versäume, hätte er jemanden, der innerhalb von 10 Minuten erscheinen könne. Es gab auch noch einige ähnliche Anfragen“, sagt er, „aber erstens ist die Impfstoffzuteilung nur für das gefährdete Personal bestimmt und zweitens haben wir hier selbst keine Schwierigkeiten, einen Termin neu zu besetzen. Viele Mitarbeiter wollen schnell dran kommen.“
200 Impfdosen in einer Woche verabreicht
In dieser Woche hat das Team zweimal geimpft: Einmal knapp 100 Dosen Moderna und einen Tag später die ersten 100 Auffrischungsspritzen Biontech für die, die am Silvestertag die ersten Impflinge waren. Der Kühlschrank, in dem die Chargen auftauen, steht an einem geheimen Ort einige Häuser vom improvisierten Impfzentrum entfernt.
Nennenswerte Nebenwirkungen sind dem Team um Gunther Wiest bislang nicht untergekommen. „Es gab einige wenige Male muskelkaterartige Taubheitsgefühle rund um die Einstichstelle, die aber auch schnell wieder vergingen, und einmal eine kurzzeitige Erwärmung und Rötung direkt am Einstich. Auch die war schnell abgeklungen“, sagt Wiest. „Die Injektion selbst ist kaum zu spüren, weil der Impfstoff selbst durch eine kleine, dünne Nadel, wie man sie sonst zur Insulingabe verwendet, verabreicht werden kann.“
Stephanie Raguse hat nicht gezuckt. Gunther Wiest gibt ihr eine kleine Wundauflage, die sie kurz auf den Stich drückt. Schon verheilt. Der OP-Kleidungs-Ärmel rollt wieder herunter. In drei Wochen kommt die Auffrischung.