Hausbruch/Neugraben. Grüne und SPD-Abgeordnete wollen die Erinnerung an das Außenlager Neugraben des Konzentrationslagers Neuengamme wach halten.
Fährt man den Falkenbergsweg hinauf, kommt man angesichts idyllischer Waldstücke und gediegener Eigenheime nicht darauf, dass hier einst Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen unter unmenschlichen Umständen hausen mussten. Das ehemalige Außenlager Neugraben des KZ Neuengamme lag ein wenig abseits der Straße und ist heute im Vorbeifahren kaum noch zu erkennen.
Ein unscheinbares Schild im Neugrabener Heideweg, ein Gedenkstein am Wald-Wanderweg und sechs Stolpersteine an der Stelle, an der die Arbeiterinnen jeden Morgen aus dem Wald kamen, sind alles, was auf das Lager hinweist. Die Baracken sind verschwunden, ihre Fundamente überwuchern. Bezirksabgeordnete von SPD und Grünen wollen das ändern.
Die Fläche soll wieder ins Blickfeld rücken. Eigentlich sollte das Gelände nie aus dem Blick verschwinden. Engagierte Neugrabener hatten sich in den 1980er- Jahren dafür stark gemacht, die verbliebenen Fundamente als Bodendenkmäler zu erhalten. Das Denkmalamt hatte abgelehnt. 1992 gelang es den Engagierten immerhin, das Gelände als Trockenrasenbiotop unter Naturschutz stellen zu lassen. Bäume und Gestrüpp haben damit eigentlich nichts auf der Fläche zu suchen. „Aber niemand kümmert sich darum, dass die Fläche gepflegt wird“, klagt Karl-Heinz Schulz von der Neugrabener SPD, „Wenn nicht etwas unternommen wird, ist bald alles bis zur Unkenntlichkeit zugewachsen!“
Karl-Heinz Schulz besuchte ehemalige Gefangene in Israel
Schulz ist einer derer, die sich für das Gedenken einsetzen. Seit der einstige Leiter des Neugrabener Jugendtreffs 1983 in den Ruhestand ging, beschäftigt er sich mit dem ehemaligen Lager. Schulz suchte Zeitzeugen, spürte ehemalige Gefangene auf, besuchte sie in Israel und Osteuropa und brachte einige dazu, nach Hausbruch zu kommen und zu berichten, was dort früher geschah.
500 jüdische Frauen, die meisten aus Tschechien, bildeten hier das letzte Gefangenenkontingent. Sie waren auf zwei Baracken mit je zehn Schlafräumen verteilt. In jedem dieser 24 Quadratmeter großen Räume schliefen 25 Frauen. Die meiste Zeit verbrachten sie allerdings auf Baustellen. 12 Stunden am Tag schufteten sie und errichteten Behelfsheime für Ausgebombte und Flüchtlinge.
„Von den Wohnbaracken sind nur noch einzelne Fundamentstreifen übrig“, sagt Karl-Heinz Schulz, „denn diese Baracken standen auf keinem soliden Fundament, sondern auf langen Betonstreifen. Solider gebaut waren nur die Baracken für Küche und Latrine sowie die Kommandantur.“
Der Luftschutzbunker war nicht für die Gefangenen bestimmt
Unter dem Lagergelände befand sich auch ein Luftschutzbunker – nicht etwa für die Gefangenen, sondern für die deutschen Anwohner. Die Neugrabener wussten damals von dem Lager. Sie verhielten sich sehr unterschiedlich. „Die Siedlung hier am Falkenbergsweg war neu und die Anwohner bunt zusammengewürfelt. Man kannte sich untereinander noch nicht“, sagt Schulz. „Deshalb trauten sich nur wenige, den Frauen zu helfen. Aber einige schon.“ So wurden in der Nähe der Arbeitsstätten manchmal Lebensmittel für die Frauen hinterlegt und auch die, die zum Milch holen abkommandiert waren, konnten darauf hoffen, dass die etwas zugesteckt bekamen, wenn der Aufseher wegsah. Wurden sie allerdings mit Lebensmitteln erwischt, gab es Prügelstrafe. Das langsame Aushungern der Arbeiterinnen gehörte zum perfiden System der Nazis. Der Lagerkommandant wurde unter anderem deshalb später von den Briten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Die Frauen waren nur ein Dreivierteljahr im „Außenlager Neugraben“, das streng genommen schon in Hausbruch lag. Im Herbst 1944 waren sie gekommen, im Februar 1945 wurden sie erst nach Tiefstack, dann nach Bergen-Belsen verfrachtet. Vor ihnen hatten Kriegsgefangene aus Frankreich, Belgien und Holland, davor internierte Italiener hier Zwangsarbeit leisten müssen.
Eigentlich sollten Bauarbeiter die Baracken bewohnen
Ursprünglich war das Gelände gar nicht als Zwangsarbeitslager gedacht gewesen. Die Nazis hatten es eingerichtet, um Bauarbeiter unterzubringen. Dort, wo jetzt der Elbtunnel den Strom unterquert, sollte seinerzeit eine gigantische Brücke entstehen. Für die Bauarbeiter mit Familien wurde die Falkenbergsiedlung geplant. Die Ledigen sollten günstig in den Baracken wohnen – natürlich nicht so eng, wie später die Zwangsarbeiter. Die Brücke wurde nie gebaut. Nach der Befreiung wohnten hier Ausgebombte und Flüchtlinge. Erst 1976 wurde das letzte Gebäude abgerissen. Die ehemalige Kommandantur war als Kindergarten weitergenutzt worden.
Über Jahrzehnte hat Karl-Heinz Schulz Wissen über das Lager zusammengetragen. Viele Menschen im Stadtteil halfen ihm, unter anderem immer wieder Schüler und Lehrer des Gymnasiums Süderelbe. Einige Neugrabener wollten aber auch, dass die Vergangenheit vergessen bleibt. Mehr als einmal wurde der Gedenkstein zerstört. Seit einiger Zeit ist Ruhe. „Wenn jetzt aber die wenigen noch sichtbaren Reste überwuchert werden, ist bis auf den Stein nichts mehr da, was die Geschichte greifbar macht“, sagt er.
„Gelände verkommt zur inoffiziellen Hunde-Auslauffläche“
Der SPD-Bezirksabgeordnete Sören Schinkel-Schlutt stimmt ihm zu: „Wenn hier nicht in diesem oder im nächsten Jahr etwas geschieht, ist alles zugewuchert“, sagt er. „Das Gelände wird jetzt schon zur inoffiziellen Hunde-Auslauffläche. Und was zum würdevollen Gedenken auch nicht beiträgt, ist, dass ausgerechnet am Latrinenfundament eine Parkbank aufgestellt wurde.“
Die Fraktionen von Grünen und SPD fordern in einem Antrag, dass das Gelände wieder in die Pflegepläne des Bezirksamts aufgenommen wird – nicht nur wegen des Gedenkens: „Die Fischbeker Heide besteht aus vielen unterschiedlichen Biotop-Arten“, sagt Schinkel-Schlutt. „Wenn man sie nicht pflegt, ist bald überall nur noch Wald.“