Harburg. Projekt soll Alternative zur aktuellen Abfallwirtschaft entwickeln, insbesondere für Lebensmittelabfälle.
Das Institut für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz der Technischen Universität Hamburg (TUHH) ist Teil eines internationalen Projekts, das einen nachhaltigen Kreislauf für Bioabfälle erarbeitet. „Wir wollen eine Alternative zur aktuellen Abfallwirtschaft entwickeln, insbesondere für Lebensmittelabfälle“, sagt Steffen Walk von der TUHH.
Insgesamt sind 14 Forschungsinstitute und Unternehmen aus ganz Europa beteiligt. Die Europäische Union finanziert die Forschung mit 7,7 Millionen Euro über ihr Forschungs- und Innovationsprogramm.
In der Nähe von Lyon setzen die Forscher ihre Ideen bereits in einem Pilotprojekt um. Dabei bringen Restaurants und Hotels ihre Abfälle zu einer stadtnahen Farm. Eine kleine Anlage gewinnt anschließend Biogas aus dem Müll. Die dabei entstehenden Gärungsreste werden auf den Feldern der Farm als Dünger verwendet. Die Pilotanlage kann so jährlich etwa 50 Tonnen an Lebensmittelabfällen verarbeiten.
Zweites Projekt in Italien ist bereits in Planung
Auch ein zweites Projekt in Italien ist bereits in Planung. Dort soll gleich ein ganzes Dorf mit 6000 Einwohnern an die Anlage angeschlossen werden. „Im Idealfall hätten wir dort einen vollständig geschlossenen Kreislauf“, sagt Walk. „Im Umkreis sind Farmen, die mit dem Dünger beliefert werden können.“ Momentan müssten die Abfälle über 90 Kilometer zur zentralen Abfallanlage gebracht werden. Die italienische Anlage soll deutlich größer werden als ihre Schwester in Lyon und bis zu 200 Tonnen pro Jahr verarbeiten können.
Die Forscher der TUHH beschäftigen sich innerhalb des internationalen Projekts mit neuen Konzepten für die Sammlung und den Transport der Lebensmittel. Sie experimentieren unter anderem mit elektrischen Fahrzeugen und kleineren Abfall-Behältern. So sollen auch Haushalte eingebunden werden können, die momentan noch durchs Raster fallen. „Gerade in Hamburg haben wir ja das Problem, dass nur 67 Prozent der Haushalte überhaupt an den Bioabfall angeschlossen werden können”, sagt Steffen Walk.
Problem ist häufig die Anonymität
Man habe auch bereits Tests in mehrgeschossigen Wohnhäusern durchgeführt. Dort sei das Problem häufig die Anonymität, die oft dazu führe, dass kein Bewohner echte Verantwortung für die Mülltrennung übernehme. Die Lösung der Wissenschaftler: Jede Wohnung bekommt einen eigenen Behälter, der mehrmals wöchentlich abgeholt wird.
Das Konzept soll in Zukunft auf den gesamten Prozess von der Sammlung bis zur Abgabe in der Abfallanlage erweitert werden. Für den Transport haben die Wissenschaftler eine umweltschonende Alternative: „Wir möchten gerne testen, wie die Abfallsammlung mit einem Lastenfahrrad mit großem Sammelbehälter durchgeführt werden kann“, erzählt Steffen Walk. Der Müllsammler könne bei Problemen zugleich als Ansprechpartner für die Bürger dienen. Laut Walk geht es um eine attraktivere und greifbarere Gestaltung der Müllsammlung. Diese solle die Akzeptanz der Anwohner erhöhen und schließlich auch zu besseren Ergebnissen in der Mülltrennung führen.
Die Dezentralität des Konzepts ist nach Ansicht der Wissenschaftler entscheidend für den Erfolg. Man wolle den Kreislauf für die Bürger sichtbar machen. So steige die Akzeptanz für die lästige Mülltrennung, erläutert Walk. Gleichzeitig ergeben sich aus den vielen kleinen Abfallanlagen auch direkte Vorteile: So sinken mit den kürzeren Transportwegen die Emissionen und der Verkehr nimmt ab.
Konzept setzt auf Dezentralisierung
Welche Auswirkungen das dezentrale Kreislaufkonzept genau auf die Umwelt hat, müssen die Wissenschaftler allerdings noch analysieren. Hierfür werde es zum Ende des Projekts im kommenden Jahr eine Veröffentlichung geben.
In der konkreten Umsetzung des Konzepts ist Steffen Walk realistisch: „Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass alle Städte bald auf dezentrale Lösungen setzen.“ Allerdings sieht er große Potenziale für die dezentralen Abfallanlagen als Ergänzung zu bestehenden, zentralen Riesen-Anlagen. Diese seien immer für eine bestimmte Abfallmenge ausgelegt. Steige diese, müsse die entsprechende Anlage teuer erweitert werden. Die kleinen Anlagen wären da eine günstige Alternative.
Insbesondere in wachsenden Städten gebe es also durchaus Nachfrage nach kostengünstigen und nachhaltigen Abfallkonzepten. Für die Entscheidungsträger wollen die Wissenschaftler deshalb zusätzlich eine Software entwickeln, die Auskunft gibt über die ökologischen Potenziale einer Umstellung. Das soll Städte und Entsorgungsunternehmen motivieren und ihnen Argumente für die Durchsetzung an die Hand geben. In Hamburg sieht Walk beispielsweise im neuen Quartier Jenfelder Au Potenziale. Dort werde bereits das Abwasser dezentral behandelt. Eine Erweiterung auf Bioabfälle sei denkbar.
In Deutschland entstehen jährlich etwa zwölf Millionen Tonnen an Lebensmittelabfällen. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft entsteht gut die Hälfte des Mülls in den Privathaushalten. Die andere Hälfte teilen sich die Produktion und Verarbeitung, der Handel sowie die Gastronomie. Jede Bürgerin und jeder Bürger wirft demnach durchschnittlich 75 Kilogramm Lebensmittel in den Müll.
Es gibt verschiedene Initiativen zur Reduktion der Abfallmengen. So startete die Bundesregierung die Initiative „Zu gut für die Tonne“, bei der man Verbraucher, aber auch Produzenten und Händler zu einem bewussteren Umgang erziehen möchte. Auch private Initiativen wie die Internetplattform Foodsharing.de engagieren sich gegen Lebensmittelverschwendung.