Agathenburg. Weil das Gelände kurz vor Stade nur schwer zugänglich ist, werden die gerodeten Stämme nicht mit dem Lkw abtransportiert.

Können Bäume fliegen? Und wie! Die Deutsche Bahn hat am Donnerstag damit begonnen, an der Strecke Hamburg-Stade im Bereich Dollern und Agathenburg (Landkreis Stade) zahlreiche Bäume fällen oder zumindest stark zurückzuschneiden zu lassen. Der Vegetationsschnitt war dringend notwendig geworden, um die Sicherheit auf der hoch frequentierten Bahntrasse wiederherzustellen.

Sperrungen durch umgestürzte Bäume

In der Vergangenheit hatte es bei Dollern und in Agathenburg immer wieder Sperrungen durch umgestürzte Bäume gegeben: Oberleitungen wurden zerstört, die Gleise blockiert – zum Leidwesen von Fahrgästen, Anwohnern und der Bahn. Auf der Strecke fahren nicht nur Regionalzüge, sondern auch die S-Bahn.

Der Helikopter transportiert einen Baumstamm ab.
Der Helikopter transportiert einen Baumstamm ab. © HA | Jörg Riefenstahl

Weil die maroden Bäume in Dollern auf 200 Meter Länge an einer schwer zugänglichen Böschung und noch dazu unmittelbar am Wohngebiet stehen, blieb der Bahn gar nichts anderes übrig, als jeden Baum einzeln oder in Teilen mit dem Helikopter auszufliegen. Damit das reibungslos klappt, hat die Deutsche Bahn das Unternehmen Wucher aus Österreich engagiert – hochkarätige Spezialisten aus den Alpen, die sich mit dieser besonderen Form des Baumschnitts und des luftigen Abtransports bestens auskennen.

Helikopter transportiert gefällte Bäume ab

Tag der Deutschen Einheit, 11 Uhr. Schon von Weitem ist das Rotorengeräusch über Dollern zu hören. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern steht am Bahnübergang der Ortschaft und schaut aus sicherer Entfernung in den stahlblauen Himmel. „Da, da, guck mal“, sagt ein kleiner Junge aufgeregt zu seinem Vater, als der Hubschrauber auftaucht. Scheinbar mühelos hievt er eine mächtige Baumkrone am Stahlseil hoch in die Luft über den Gleiskörper.

Schon ist der Heli über den Wipfeln verschwunden und lädt die grüne Fracht wenige Sekunden später auf einer Feldmark ab, wo Arbeiter mit Helmen und in Warnwesten durch das Dickicht wuseln, um die Bäume in einen riesigen Häcksler zu verfrachten. Schnell sind von der Baumkrone nur noch Späne übrig.

Derweil lenkt der Pilot das Ende des Stahlseils punktgenau auf den nächsten Baum zu und nimmt ihn mühelos an den Haken. Höchste Konzentration ist erforderlich, alles läuft Hand in Hand. Auf der Böschung sind Arbeiter mit Motorsägen unterwegs und machen die Holzteile für den Abflug passend. Im Minutentakt schweben die bis zu 20 Meter hohe Baumstämme und wildes Geäst über ihre Köpfe und Oberleitungen hinweg zum nahen Sammelplatz. Nach 40 Minuten ist Pause. Dann muss der Heli auftanken.

Bahn hat bereits Ende September mit Vorarbeiten begonnen

„Mit einem Telekran hätten wir das hier nicht hinbekommen, der ist mit seinen 150 Tonnen in diesem Gelände viel zu schwer“, sagt Forstingenieur Tim Gädcke, Bezirksleiter der DB Netze in Hamburg, der das Projekt vor Ort begleitet. Die Vorarbeiten für den Hubschraubereinsatz haben Ende September mit ersten Baumschnittmaßnahmen begonnen. Die Aktion ist mit der Gemeinde, der Unteren Naturschutzbehörde und auch den Anwohnern abgestimmt. „Die Bäume, die wir fällen, sind abgängig. Es sind vor allem Eschen, die von Pilz befallen sind. Sie könnten beim nächsten Sturm auf die Gleise fallen“, sagt der Forstwirt.

 Einsatzleiter Kurt Pieber (l.) mit Tim Gädcke von der Bahn.
Einsatzleiter Kurt Pieber (l.) mit Tim Gädcke von der Bahn. © HA | Jörg Riefenstahl

Bäume, die als Habitat für seltene Vögel dienen – etwa für den Specht – werden nur so weit gekappt, dass sie keine Gefahr für den Bahnbetrieb darstellen. „Die Böschungen werden wieder begrünt, damit Bienen und andere Insekten sich hier wieder ansiedeln und wohlfühlen können. Heimisches Buschwerk wird auf dem Hang angepflanzt, das allerdings nicht mehr so hoch emporwächst, wie die Bäume hier“, sagt der Forstingenieur der Bahn, für den Natur und Umweltschutz hohen Stellenwert genießen, wie er betont.

Rund 50 Leute sind bei dem Einsatz dabei

Rund 50 Leute – darunter 15 Mitarbeiter des Forstbetriebs Konrad aus Asendorf, der für die Deutsche Bahn tätig ist – haben auch am heutigen Freitag am Hang von Dollern und am nahe gelegenen, 400 Meter langen Geesthang mit Baumarbeiten noch Einiges zu tun. Am Geesthang mit bis zu 70 Prozent Gefälle neigen sich die Baumkronen der bis zu 30 Meter hohen Buchen bereits gefährlich nah in Richtung Oberleitung. Die nicht mehr standfesten Bäume werden zunächst entastet und anschließend gefällt, wobei sie von Seilwinden in Richtung Hang gezogen werden. Dafür ist der Hubschrauber nicht nötig.

Der Pilot und der Tross der vielen fleißigen Helfer am Boden und im Geäst wird nach Abschluss der Arbeiten in Dollern schon morgen Vormittag nach Agathenburg umsiedeln. Dort wird es in den nächsten zwei Tagen spannend: Die Bäume werden komplett und aufrecht in die Lüfte gehen.