Harburg / Landkreis. Um neue Fachkräfte in der Pflege zu gewinnen, locken Kliniken mit Mitarbeiterprämien, Job-Taxi, E-Bike und Kitaplatz
Aufgrund extremer Personalnot in der Pflege müssen Krankenhäuser in Harburg und Harburger Umland vereinzelt Betten sperren. So können die Betten der Intensivstation der Asklepios Klinik Harburg derzeit nicht vollumfänglich betrieben werden. Auch die Elbe Kliniken Stade-Buxtehude bestätigen, dass es in Spitzenzeiten in einzelnen Fällen zur Bettensperrungen kommt. Das Klinikum Lüneburg musste aufgrund fehlenden Personals im vergangenen Jahr ihre Bettenzahl auf der Intensivstation von 27 auf 24 Betten reduzieren. Aktuell werden dort 26 Betten betrieben. Und auch in der Helios Mariahilf Klinik kommt vor, dass die Stationen an Tagen erhöhten Krankenstandes nur eingeschränkt aufnahmefähig sind und kurzweilig die Bettenkapazität reduzieren.
Die Arbeitsagentur Lüneburg-Uelzen meldet 2295 freie Stellen
Der Personalnotstand in der Pflege erreicht auch in Harburg und Umland eine neue Dimension. Die Zahl der offenen Stellen für examinierte Fachkräfte in der Gesundheits- und Krankenpflege ist hoch. Allein im vergangenen Jahr waren durchschnittlich jeden Monat 2295 freie Stellen bei der Arbeitsagentur Lüneburg-Uelzen gemeldet, die für den Landkreis Harburg zuständig ist. Das sind fast doppelt so viele Stellen wie noch vor fünf Jahren. Hinzu kommt, dass sich die Vakanzzeit bis zur Neubesetzung einer Stelle deutlich erhöht hat. Durchschnittlich dauerte es im vergangenen Jahr 186 Tage, bis eine Fachkraftstelle besetzt werden konnte. Im Jahr zuvor waren es 113 Tage. In den Berufshauptgruppen „Medizinische Gesundheitsberufe“, dazu zählen auch die Kranken- und Gesundheitspfleger und Ärzte, lag die Vakanzzeit bei 331 Tagen (Vorjahr: 219 Tage). Bei „Nichtmedizinischen Gesundheitsberufen“, dazu zählen auch die Altenpfleger, betrug sie 296 Tage (Vorjahr: 136 Tage)
Arbeitsbedingungen und Bezahlung müssen besser werden
„Dass es einen großen Mangel an ausgebildeten Pflegekräften gibt, ist ein bundesweites Problem“, sagt Siegfried Ristau, Geschäftsführer der Elbe Kliniken. „Hier bedarf es seitens der Gesundheitspolitik eine allumfassende Reform mit schnellen konkreten Lösungen. Der Beruf der Pflegekraft muss durch bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung an Ansehen und Wertigkeit gewinnen. Durch die älter und kränker werdenden Menschen wird es künftig einer noch größeren Anzahl an Pflegekräften bedürfen.“ Wie angespannt die Situation in Bereichen wie der Intensivmedizin, Inneren Medizin, Chirurgie oder Geriatrie bereits jetzt schon ist, bestätigen die Mitarbeiter. „Es der pure Stress“, sagt Pflegeschülerin Theresa Beyer-Groschke. „Wenn wir von Kollegen hören, dass sie auf der Station 40 Patienten, davon 25 in Vollpflege mit drei Pflegekräften und einer Auszubildenden versorgen müssen, ist das Wahnsinn.“ Es sei doch kein Wunder, dass dort kaum einer arbeiten möchte. Die Auszubildende, die aktuell bei Helios lernt, sieht die Politik in der Pflicht. Die Leistungen in der Pflege müssen anders bezahlt werden. Nur so kann mehr Personal eingestellt werden.“
Engpässe werden durch Leihkräfte ausgeglichen
Um wenigstens die Versorgung sicherzustellen, gibt es von Seiten der Kliniken zahlreiche Bemühungen. „Wir haben ein effizientes Ausfallmanagement, so dass meist auch kurzfristige Engpässe geschlossen werden können“, sagt Daniel Hajduk, Sprecher des Klinikkonzerns Elbe Kliniken und OsteMed. „Durch unsere Konzerngröße gehören wir zu den überdurchschnittlich großen Häusern in Deutschland. Damit haben wir innerhalb unserer großen Einheiten die Möglichkeiten, Engpässe besser zu kompensieren. Darüber hinaus kommen auch ausgebildete Pflegekräfte auf Leihbasis zum Einsatz. Trotz dieser Anstrengungen kommt es zu einer stark erhöhten Arbeitsbelastung der Mitarbeiter, was auf Dauer nicht akzeptabel ist.“ Die Asklepios Klinik Harburg reagiert mit dem „Ergänzungsteam Pflege“, in dem derzeit 50 Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten, auf kurzfristig erhöhtes Arbeitsvolumen oder Personalausfälle aufgrund von Krankheit. Die Kliniken Buchholz und Winsen setzen im Notfall auch Zeitarbeitskräfte ein.
Mit Mitarbeiterprämien neue Fachkräften gewinnen
Um neue Fachkräfte zu gewinnen, lassen sich die Kliniken einiges einfallen. So werden Elbe Kliniken-Mitarbeiter über die Aktion „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“ prämiert. Es gibt außerdem Mitarbeiterrabatte in Geschäften der Region, Fahrrad- und E-Bike-Leasing mit Arbeitgeberbeteiligung und ein kostenfreies „Job Taxi“ zum Bahnhof Stade. Am Klinikum Lüneburg gibt es ein monetäres Punktesystem, das belohnt, wenn ein Mitarbeiter aus dem „Frei“ in andere als die vorgeplanten Dienste springt. Die Asklepios Harburg bietet ihren Mitarbeitern als Anreiz nicht nur die Möglichkeit, ihren Dienstplan selber zu schreiben, sondern ihren Nachwuchs auch in der hauseigenen Kita, die von sechs bis 20 Uhr geöffnet hat, unterzubringen. Und im Mariahilf gibt es die Kampagne „Der wichtigste Job der Welt“, bei der Interessierten mit einer 2-Minuten-Bewerbung und einem Rückruf innerhalb von 60 Minuten mit minimalem zeitlichen Aufwand der Einstieg erleichtert werden soll. Dennoch werde es immer schwieriger, neue Kollegen für die Pflege zu gewinnen“, sagt Felix Kreutzmann, kommissarischer Pflegedirektor bei Helios Mariahilf. „Es gibt einfach zu wenig ausgebildete Gesundheits- und Krankenpfleger.“
Extrem wichtig: Nachwuchs aus dem eigenen Haus
Wichtiges Standbein der Personalpolitik ist außerdem die Ausbildung von Kräften im eigenen Haus. „Aktuell sind über 110 Azubis bei uns beschäftigt“, sagt Stephanie Pohl, Sprecherin von Asklepios Harburg. Wir bieten unseren Azubis im Anschluss an das Examen eine Übernahmegarantie, führen rechtzeitig Gespräche, welche Bereiche für die jungen Kollegen in Frage kommen und entwickeln einen gemeinsamen Karriere-Fahrplan.“ Die Kliniken Buchholz und Winsen haben für die Ausbildung eine eigene Gesundheitsfachschule gegründet und mit der Eröffnung des neuen Schulgebäudes im Buchholzer Gewerbegebiet ein attraktives Lernumfeld für den Nachwuchs geschaffen. Die Zahl der Ausbildungsplätze hat sich in diesem Jahr von 90 auf 100 erhöht. „Die gute Qualität unserer Ausbildung hat sich herumgesprochen“, sagt Kliniksprecherin Nanette Franke. „Für den Besuch der Schule gibt es lange Wartelisten.“ Um die jungen Kollegen langfristig zu halten, setze man vor allem auf ein gutes Arbeitsklima.
Pflegeschülerin Patricia Graupner kann das bestätigen. Sie hat sich nach dem Bachelorstudium Sport und Biologie für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin beworben. „Hier habe ich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen“, sagt sie. „Das motiviert mich.“ Die 24-Jährige möchte nach der Ausbildung gern als Intensivschwester arbeiten, dann Pflegepädagogik studieren und anschließend Pflegeschüler unterrichten. „Ich glaube, dass man aufgrund der körperlichen Belastung nicht ewig in der Pflege arbeiten kann“, sagt sie. Ein Beispiel dafür, dass dies durchaus möglich ist, ist Bernadette Czech. Sie ist 59 Jahre alt, Krankenschwester und seit 35 Jahren bei Mariahilf in der Krankenpflege beschäftigt. „Ich habe den Beruf nie als belastend empfunden. Aber er ist stressiger geworden“, sagt sie. „Früher habe ich Menschen beim Sterben begleiten können. Für dieses Stück Menschlichkeit ist heute keine Zeit mehr.“