Harburg/Neuwiedenthal. Jede vierte Frau in Deutschland wird vom Partner geschlagen, gedemütigt oder bedroht. „StoP“ ist vor Ort unterwegs, um zu helfen.

Wenn Lotta Herbst und Sally Mc Donnell durch ihren Bezirk laufen, könnten sie an jedem Klingelschild Stop machen. Sie könnten einen ihrer Flyer in den Briefkasten stecken und hoffen, dass sich die Frauen melden. Weil jede vierte von ihnen zu den vielen Betroffenen gehört, die in der Partnerschaft Gewalt erleben. Hinter jeder vierten Haustür in Deutschland wird geschlagen und missbraucht, gedroht, gedemütigt und erniedrigt.

Laut der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2017 insgesamt 138.893 Personen erfasst, die Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden. Knapp 113.965 Opfer waren weiblich. Allein in Hamburg haben mehr als 5500 Frauen ihre Partner 2017 deswegen angezeigt. Und die Dunkelziffer ist hoch. Denn die meisten Betroffenen schweigen aus Scham und Angst.

Hier setzt das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ an. Fünfmal gibt es das Projekt bereits in der Hansestadt. Ein Standort ist der Bezirk Harburg. Das Projekt, 2010 gestartet und seit 2017 auch im Bezirk Harburg angesiedelt, will Tabus brechen. „Wir ermutigen dazu, Partnergewalt nicht zu verschweigen oder zu dulden“, sagt Sozialarbeiterin Lotta Herbst, die den Standort Harburg leitet. „Unser Augenmerk liegt dabei nicht unmittelbar auf den Betroffenen, sondern auf den Nachbarn. Sie erfahren bei uns, was sie tun können, um Frauen in Not zu helfen. Wir möchten, dass das Thema Partnergewalt keine Privatsache mehr ist.“

Menschen in der Umgebung der Opfer sind gefordert

Die Idee setzt direkt vor Ort an, dort, wo Gewalt stattfinden. Weil Betroffene oft nicht in der Lage sind, selbst etwas zu tun, sind die Menschen drumherum gefordert. „StoP“ fordert daher die Nachbarn auf, Verantwortung für ihre unmittelbare Umgebung zu übernehmen. „Es geht darum, dass möglichst viele Bewohner in Harburg wissen, dass es Menschen gibt, die sich dagegen einsetzen“, sagt Sally Mc Donnell. Die Sozialpädagogin ist für das Projekt vorwiegend in Neuwiedenthal und Neugraben unterwegs. „Bei uns lernen gerade diejenigen, die nur unmittelbar betroffen sind, hinzuschauen und zu handeln. Denn Gewalt ist keine Privatsache.“

Damit möglichst viele von dem Projekt erfahren und neue Ehrenamtliche gewonnen werden können, bauen die Sozialpädagogin Sally Mc Donnell und Sozialarbeiterin Lotta Herbst regelmäßig ihre Infostände auf, reden mit Nachbarn über das Projekt. Darüber hinaus veranstalten sie Treffen und Frühstücksgespräche in ihren Räumen in der Elternschule Feuervogel im Phoenixviertel sowie in der Elternschule Süderelbe am Rehrstieg. Es gibt gemeinsame Tanzabende für Frauen und Infonachmittage im Nachbarschaftscafé AHOI im Striepenweg.

Vertrauen zueinander ist das Wichtigste

Diese Begegnungen sind für alle Beteiligten wichtig. Für die Projektleiterinnen, um Vertrauen zu ihren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen aufzubauen. Und für die Ehrenamtlichen selbst, denn oft geht es darum, Geschichten zu verarbeiten, die man unterwegs gehört hat. Es sind Geschichten von körperlicher und sexueller Gewalt, von psychisch-verbalen Angriffen, von Kontrolle und Dominanz durch den Partner. Die Übergriffe reichen von wütendem Wegschubsen und Ohrfeigen bis hin zum Schlagen mit Gegenständen, Verprügeln und Gewaltanwendungen mit Waffen.

„Partnerschaftsgewalt gibt es in allen sozialen Schichten“, sagt Sally Mc Donnell. „Frauen werden keineswegs nur in sozialen Brennpunkten von ihrem männlichen Partner geschlagen, vergewaltigt, beschimpft oder gedemütigt. Auch Frauen in mittleren und hohen Bildungsschichten werden Opfer von Gewalt.“

Wie die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ ermittelt hat, hat jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren im Laufe ihres Lebens schon einmal Gewalt durch den eigenen Partner erlebt. Und dieser Befund gilt nicht nur für Deutschland.

„Zu den Risikofaktoren gehören neben Trennung oder Trennungsabsicht auch Gewalterfahrungen in der Kindheit und Jugend“, sagt Lotta Herbst. „Wir motivieren die Nachbarschaft, zu handeln. Mischt euch ein, klingelt, werdet aktiv. Man denkt immer, es kriegt keiner mit, aber das ist nicht der Fall. Gerade im Phoenixviertel und auch in den Hochhaussiedlungen in Neuwiedenthal sind die Gebäude hellhörig, die Nachbarschaft kriegt alles mit.“

Keine Frau muss sich alleingelassen fühlen

Das Problem: Die meisten sind unsicher, wissen nicht, was sie tun sollen. „Hier setzen wir an“, sagt Sally Mc Donnell. „Wir sagen den Menschen, was sie tun können, zum Beispiel in einer akuten Situation nebenan klopfen und nach einem Liter Milch fragen, die Polizei rufen, das Gespräch suchen und der Betroffenen einen Infoflyer über ,StoP’ geben.“ In dem Flyer gibt es Tipps, wie sich von Partnergewalt betroffene Frauen verhalten können, einen Plan für die Notfalltasche, Informationen über das Gewaltschutzgesetz sowie Kontakte zu Beratungsstellen und sicheren Zufluchtsorten.

Auch wenn Lotta Herbst und Sally Mc Donnell im Grunde nur die Netzwerker in Sachen Partnergewalt im Bezirk sind, so stehen aber auch sie im Notfall jeder betroffenen Frau zur Seite. „Wenn sich jemand direkt an uns wendet, stehen wir bereit“, sagt Lotta Herbst. „Wir wissen, was zu tun ist, und wir lassen die Frauen nicht allein.“

Hilfe

Das Projekt StoP gibt es in den Hamburger Stadtteilen Steilshoop, Horner Geest, Osdorfer Born, Neuwiedenthal und im Phoenixviertel.

Jeden Donnerstag (außer in den Schulferien) sind alle Frauen in der Nachbarschaft von 10 bis 12 Uhr in die Elternschule Harburg, Maretstraße 50, eingeladen, sich mit dem Thema gewaltfreie Partnerschaft zu beschäftigen.

Schnelle Hilfe finden von Gewalt betroffene Frauen beim Hilfetelefon unter 08000 116 016.

Beratung im Harburger Raum gibt es außerdem im biff Harburg, Neue Straße 59, Tel. 040/77 76 02 und beim Weißen Ring Hamburg (Süderelbe), Tel. 04105/67 66 50.

Der Verein Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V. ist unter Tel. 040/25 55 66 erreichbar.

Die Frauenhäuser in Hamburg sind eine Zufluchtsstätte für alle Frauen. Die zentrale Notaufnahme ist unter Tel. 040/800 04 10 00 erreichbar.