In diesen Tagen werden die Heidschnucken geschoren. Warum das ein Knochenjob ist und was aus der Wolle wird.

Es ist noch früh am Morgen. Feuchte Kühle liegt über der Lüneburger Heide. Auch im dämmrigen Schafstall bei Döhle ist die Luft empfindlich kalt. Aber Julian Schulz läuft das Wasser in Strömen vom Körper. Der Mann schwitzt, damit Tiere nicht schwitzen müssen. Seit fast zwei Stunden schon schert der gelernte Schäfer Schnucken. Mit dem elektrischen Haarschneider schält er ihnen Bahn für Bahn das graue zottelige Haar vom Leib. Es dauert etwa drei Minuten bis das Vlies, wie der Schafspelz genannt wird, auf dem Boden liegt. Die Schnucke, nun optisch wesentlich schlanker und im doppelten Sinne erleichtert, läuft blökend zur Herde zurück. Schulz packt das nächste Tier an den Hörnern und fixiert es zwischen seinen Beinen.

Schafsschur verlangt präzise Arbeit

Der Spross einer Heide-Schäfer-Dynastie arbeitet rasch, aber sorgfältig und hochkonzentriert. Es gilt, die für die Schnucke unangenehme und furchteinflößende Prozedur möglichst kurz zu halten. Gleichzeitig müssen Verletzungen der Haut unbedingt vermieden werden. Denn Schnitte wären nicht nur schmerzhaft für das Tier, sondern auch potenziell gefährlich. Fliegen könnten an der Wunde fressen, Maden sich im Fleisch entwickeln.

Der Beruf ist in Deutschland selten geworden

Schafe scheren ist nicht Teil der Schäferlehre, sondern erfordert eine eigene Ausbildung. Die wenigen, die das Handwerk heute noch verstehen, reisen von Herde zu Herde. Schulz ist zwar gebürtiger Suderburger, betreut aber inzwischen für einen bayerischen Betrieb 1000 Rhönschafe. Einmal im Jahr, Anfang Juni, kommt er für ein paar Tage in seine alte Heimat, um mit vier weiteren Scherern die sechs Schnuckenherden des Vereins Naturschutzpark Lüneburger Heide (VNP) zu „frisieren“.

2000 Schnucken müssen ihre Wolle loswerden

Vor Beginn sommerlicher Hitze gilt es, die rund 2000 Schnucken des VNP von ihrem wärmenden Mantel und damit gleichzeitig von Parasiten wie Milben, Haarlingen und Schafsläusen zu befreien, die sich im dichten Haarkleid eingenistet haben. Auch wenn die Schafe sie nicht mögen, ist die Schur ein unverzichtbares Stück Tierschutz.

Philomena Wissel liebt Tiere und Natur. Die Berlinerin hat ihr Germanistik-Studium abgebrochen, um in der Lüneburger Heide den Beruf der Schäferin zu erlernen.
Philomena Wissel liebt Tiere und Natur. Die Berlinerin hat ihr Germanistik-Studium abgebrochen, um in der Lüneburger Heide den Beruf der Schäferin zu erlernen. © Martina Berliner | martina berliner

Für die Menschen ist sie Knochenarbeit, die vollen Körpereinsatz verlangt. Julian Schulz hat trotzdem Spaß daran. Gleichzeitig möchte sich der junge Familienvater etwas dazu verdienen. 2,50 Euro pro Schnucke zahlt der VNP. Die 1,2 bis 1,5 Kilogramm Wolle, die bei jeder Rasur anfallen, erbringen nicht mal die Hälfte des Preises. „Wenn wir die Wolle regional verkaufen können, bekommen wir etwa 50 Cent pro Kilo. In schlechten Jahren müssen wir sie für nur 30 Cent an Wollhändler abgeben“, erklärt Barbara Guckes. Die 54-Jährige ist seit vier Jahren Leiterin der Schafhaltung und Beweidungsmanagerin beim VNP.

Die Wolle hat keinen großen Marktwert

Die harte graue Schnuckenwolle ist heute fast wertlos. Mit einem Kilogramm Merinowolle dagegen wird 1,60 Euro erzielt. Warum dann keine Merinos am Wilseder Berg weiden? Weil sie auf den kargen Heideflächen verhungern würden, wie alle anderen Schafsrassen auch. Allein die genügsamen Schnucken, die ihren Namen tragen sollen, weil sie an Blättern und Stengeln von Bäumen, Gräsern und Kräutern aller Art „schnökern“, kommen mit der schmalen Kost aus.

Natürlich werden sie nicht wegen der Wolle gehalten. Eher schon wegen ihres Fleisches. Vor allen aber sind sie vierbeinige Landschaftspfleger. Mit unablässigem Knabbern sorgen die Schnucken dafür, dass Erika und Glockenheide nicht von anderen Pflanzen überwuchert und verdrängt werden. Ohne sie hätte der Wald die Lüneburger Heide längst zurück erobert. Es klingt absurd, ist aber Tatsache: Der Naturschutzpark muss ständig vor der Natur geschützt werden. Für die Erhaltung der Kulturlandschaft sind Schnucken somit alternativlos.

Drei Tonnen Wolle ergibt die jährliche Schur

Aber wäre es nicht besser, eine weniger dickfellige Variante zu züchten? Schließlich gibt es auch Schafsrassen, die nicht geschoren werden müssen. „Das hielte ich für einen Schritt in die falsche Richtung. Die Wolle ist und bleibt ein wertvoller Rohstoff“, sagt Barbara Guckes. Schließlich hätten Heidebauern Jahrhunderte gezielter Auslese gebraucht, um Tiere mit möglichst viel Wolle heran zu ziehen.

Alljährlich fallen in der Lüneburger Heide bei der Schur etwa drei Tonnen Schnuckenwolle an. Einen Teil verkauft der VNP traditionell ans Filzwerk Soltau. Dort wird seit 170 Jahren Wolle industriell zu Filz verarbeitet. Die Palette der Produkte, die aus Filz hergestellt werden, ist breit. Sie reicht von Teppichen über Sitzauflagen, Hüte, Filzpantoffeln bis zu Taschen und Notebookhüllen.

Auch als Dämmstoff ist die Wolle geeignet

Gesäubert und zu einem Vlies verfilzt lässt sich Wolle auch als biologischer Wärme- und Schall-Dämmstoff in Form von Matten, Stopfwolle und Platten nutzen. Allerdings ist der Marktanteil eher klein, weil es günstigere Alternativen gibt. Auch muss die Wolle während der Verarbeitung mit Borsalz behandelt werden, um die Resistenz gegenüber Schädlingen zu erhöhen. „Das schreckt ökologisch orientierte Bauherren ab“, weiß Jürgen Adam aus Hermannsburg. In seinem Betrieb in der Südheide verwertet er jährlich 30 bis 40 Tonnen Heidschnuckenwolle, indem er sie häckselt, mit Melasse mischt und daraus „Schnuckidu“ herstellt. Das ist ein ökologischer Langzeitdünger in Form von Pellets, der sich durch hohen Stickstoffgehalt auszeichnet. Dadurch ist schon mit geringen Mengen große Wirkung zu erzielen. „Unser Dünger versorgt die Pflanzen mit allen wichtigen Nährstoffen und Mikroelementen. Dabei belasten Öko-Dünger die Umwelt möglichst wenig und hinterlassen deutlich weniger Rückstände“, sagt Jürgen Adam.