Landkreis Harburg. An Kreis- und Landesstraßen werden Bäume mit Larvenbefall des Eichenprozessionsspinners mit Insektengift besprüht. Experte warnt.
Kürzlich an der Landesstraße zwischen Thieshope und Brackel: Am Rande hält ein Pick-up mit Gebläsesprühmaschine auf der Ladefläche, dahinter ein Kleinlaster mit gelbem Warnlicht. Die Männer daneben werfen prüfende Blicke in die Krone der großen Eiche, die ihre Äste über Radweg und Straße spannt. Nach kurzer Beratung schießt die Sprühkanone einen feinen Flüssigkeitsschleier in die Luft. Das Blattwerk ist bis in die Baumspitze eingenebelt.
So, wie hier auf der Landesstraße zwischen Thieshope und Brackel werden derzeit an vielen Orten in der Region die Raupen des Eichenprozessionsspinners bekämpft. Der ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammende Nachtfalter hat sich – möglicherweise als Folge des Klimawandels – in den vergangenen Jahrzehnten auch in Deutschland vielerorts ausgebreitet.
Nicht der Schmetterling, wohl aber seine Larven sind gefürchtet
Nicht der unscheinbare Schmetterling, wohl aber seineLarven sind gefürchtet, weil sie die Bäume kahl fressen und auch Menschen gefährlich werden können. Denn die Raupen sind mit mikroskopisch kleinen Brennhaaren ausgestattet, ähnlich denen der Brennnessel. Allerdings wirkt das „Raupengift“ stärker und nachhaltiger.
Kontakt mit den mit winzigen Widerhaken versehenen Härchen führt häufig zu sogenannter Raupendermatitis: Hautrötungen und Pustelbildung mit heftigem, mehrere Tage andauerndem Juckreiz. Zudem können Reizungen der Atemwege und Augen die Folge sein. In sehr seltenen Fällen können Symptome wie Fieber und Kreislaufreaktionen ausgelöst werden.
72 Mal waren die Larven-Späher fündig geworden
Die befallenen Bäume kompensieren den Kahlfraß durch die Raupen zwar mit Neuaustrieb. Werden sie aber in mehreren aufeinander folgenden Jahren betroffen und leiden sie zudem unter weiteren Stressfaktoren wie Spätfrösten, Trockenheit oder Mehltau, kann ihre Widerstandskraft so stark geschwächt werden, dass sie schließlich absterben. Zumindest ist mehr Totholzbildung zu befürchten – und damit Verkehrsgefährdung an Straßenrändern.
Aus diesen Gründen hatten speziell geschulte Mitarbeiter der Betriebsgemeinschaft Straßendienst schon vor Wochen das Kreisgebiet abgefahren und geprüft, ob und wo Präventivmaßnahmen gegen den Eichenprozessionsspinner nötig sind. Gleich 72 Mal waren sie fündig geworden. Jetzt macht die Fachfirma Enviro pest Control GmbH, ein Schädlingsbekämpfungsspezialist mit Sitzen in Dessau, Hildesheim, Braunschweig und Magdeburg, den Raupen auftragsgemäß den Garaus.
Wirkstoff ist für Pflanzen und Wirbeltiere unschädlich
Versprüht wird das Mittel Foray ES. Dessen Wirkstoff ist ein Bodenbakterium namens Bacillus thuringiensis. Es ist für Pflanzen und Wirbeltiere – und damit Menschen – völlig harmlos. Es wirkt aber giftig auf Schmetterlingsraupen und die Larven weiterer Insektenarten.
Naturschützern macht das vor dem Hintergrund des aktuellen Insektensterbens Sorgen. Gerade Eichen böten Lebensraum für mehrere hundert Schmetterlingsarten und unzählige Spezies anderer Kerbtiere, gibt der Winsener Diplombiologe Dietrich Westphal zu bedenken. „Eichen gehören zu den Spitzenreitern, was Artenvielfalt angeht.“ Das Besprühen von Eichen mit einem Biozid bedeute in jedem Fall Schaden für das Ökosystem. Selbstverständlich sei die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners an Orten erforderlich, an denen sich viele Menschen aufhielten. „Insbesondere in der Nähe von Schulen, Kindergärten oder Freibädern muss man zweifellos eingreifen. Es sollte aber nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen, sondern jeweils im Einzelfall entschieden werden.“ Dass am Rande von Landes- und Kreisstraßen Notwendigkeit zum Einsatz besteht, bezweifelt Westphal.
Es gilt, den Wettlauf mit dem Raupenwachstum zu gewinnen
An der L 215 starten die beiden Fahrzeuge nach wenigen Minuten wieder. Es geht weiter zur nächsten befallenen Eiche an der K 86 zwischen Stelle und Maschen. Eile ist geboten. Damit das Biozid weder abgewaschen noch verweht wird, wird nur bei trockenem, ruhigem Wetter gearbeitet.
Und es gilt, den Wettlauf mit dem Raupenwachstum zu gewinnen. Vor ihrer Verpuppung Ende Juni durchlaufen die Larven mehrere Entwicklungsstadien. Fünf- bis sechsmal ziehen sie sich zur Häutung in Raupennester zurück. Erst nach der dritten Häutung bekommen sie die gefährlichen Brennhaare, je nach Witterung passiert das Anfang bis Ende Mai. Ziel der Schädlingsbekämpfer ist es, die Tiere zu eliminieren, bevor sie ihren toxischen Pelz ausbilden. Denn die Gefahr durch Gifthaare hält lange an. Vor allem in den Raupen-Gespinsten bleiben die Brennhärchen zurück und erhalten ihre fatale Wirkung – oftmals jahrelang.
Insofern könnte das ebenfalls mögliche Absaugen der Nester eine für andere Insekten schonendere und nachhaltigere Alternative zum Gifteinsatz sein. Allerdings ist es auch eine sehr viel aufwendigere.