Hamburg. Südlich der Elbe ist die Verkehrspolitik Hauptthema. CDU und SPD buhlen um Gunst der Grünen als Partner.

Wer wissen will, was den Harburgerinnen und Harburgern unter den Nägeln brennt, muss nur mal versuchen, hier morgens zur Arbeit zu kommen – gleichgültig ob über die Elbe „nach Hamburg“, wie die Harburger sagen, oder im Bezirk selbst. Die S-Bahn ist technisch an ihren Kapazitätsgrenzen, die Bahnhöfe sehen katastrophal aus, der Busbahnhof ist so ausgelastet, dass der Nahverkehr in der Kernregion sich derzeit nicht weiter ausbauen lässt, und die Straßen sind häufig verstopft.

Das liegt zum einen daran, dass die Stadt Hamburg ohne wirkliche Rücksprache mit dem Bezirk zahlreiche große Straßensanierungen gleichzeitig durchführen lässt, zum anderen aber auch am Rückstau von Bauprojekten, die den Einwohnern anderer Bezirke zugutekommen, wie dem A-7-Deckel oder der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße. Alle Parteien haben die Verkehrsprobleme des Bezirks prominent auf ihrer jeweiligen Agenda.

Große Koalition zerbrach an Personalfrage

Der Bezirk Harburg unterteilt sich in die Regionen Harburg (Wahlkreise 1 bis 5) und Süderelbe (6 bis 8). Obwohl Harburg – das alte Stadtgebiet und die umliegenden Vorstadtquartiere – doppelt so viele Einwohner hat wie Süderelbe – Hausbruch, Neugraben, Fischbek sowie die Dritte Meile des Alten Landes –, gelingt es der kleineren Region oft, zumindest eine gleichwertige, wenn nicht gar bevorzugte Behandlung durchzusetzen. Dass die größten Neubaupotenziale derzeit in Süderelbe liegen, hilft dabei ebenso wie die Tatsache, dass Süderelbe einige dominante Politikerpersönlichkeiten hat, nicht zuletzt die graue Eminenz der CDU, Ralf-Dieter Fischer.

Der Bezirk befindet sich im Wandel. Die ehemalige Industriestadt Harburg entwickelt sich immer mehr zum Technologiestandort einerseits und zum Wohnstadtteil anderseits. Die Industrie ist grundsätzlich noch da, beschäftigt aber längst nicht mehr so viele Menschen wie noch vor zwei Jahrzehnten und bestimmt daher auch weniger das soziale und kulturelle Leben.

Harburger fühlen sich ausgeschlossen

Die verbliebenen Industriearbeiter verdienen gut genug, um ins Umland ziehen zu können. Wer von den ehemaligen Bewohnern geblieben ist, bleibt in den alten Arbeiterquartieren im Zentrum Harburgs oder wird bereits weiter an den Rand in Richtung Süderelbe gedrängt. Das Lebensgefühl der Harburger ist davon geprägt, nicht richtig zu Hamburg zu gehören. Einige, weil sie es gar nicht wollen, die meisten aber, weil sie sich auch 82 Jahre nach dem Anschluss immer noch ausgeschlossen fühlen.

Harburg ist traditionell eine Hochburg der SPD. Für eine stabile Mehrheit der Sozialdemokraten hat das in diesem Jahrtausend aber nicht immer ausgereicht. Zweimal befand sich die SPD in der Opposition zu einem schwarz-grünen Bündnis, vier Jahre lang koalierte sie gar selbst mit der CDU. Diese Harburger GroKo wurde von den kleineren Parteien oft als lähmend empfunden, weswegen die Linken und die Grünen der SPD schon die Unterstützung für die Wiederwahl von Bezirksamtsleiter Thomas Völsch versprachen, wenn sie nur die CDU verließe. Alles kam anders: Thomas Völsch wurde mit den Stimmen der CDU wiedergewählt. Kurz darauf meldete sich eine besiegt geglaubte Erkrankung zurück – und Völsch verstarb.

Harburger Besonderheit

Im Streit um seine Nachfolge zerbrach die Große Koalition dann doch. Die CDU hatte der SPD-Wunschkandidatin Sophie Fredenhagen die Unterstützung verweigert und wollte eine eigene Kandidatin durchsetzen. Die SPD wollte sich vom kleineren Koalitionspartner nicht vorführen lassen. Im Sommer 2018 kündigte der SPD-Kreisvorsitzende Frank Richter die Koalition. Seitdem werden Entscheidungen in der Bezirksversammlung mit wechselnden Mehrheiten getroffen, und es wird mehr und konstruktiver debattiert. Ob diese Art der Mehrheitsfindung auch in der nächsten Legislaturperiode fortgeführt wird, ist allerdings nicht sicher: Sowohl die SPD als auch die CDU buhlten in den vergangenen Wochen mehr oder weniger offen um die Gunst der Grünen.

In der derzeitigen Bezirksversammlung sind sieben Parteien vertreten. Eine Harburger Besonderheit dabei ist die Fraktion der „Neuen Liberalen“ (NL). Als „Retortenfraktion“ von je zwei abtrünnigen Abgeordneten der Grünen und der SPD gegründet, engagierten sich die NL überwiegend in Fragen der Verkehrsberuhigung und der Bürgerbeteiligung. Als Partei werden ihnen bei der Wahl kaum Chancen eingeräumt. Möglich ist allerdings, dass das Engagement der Kandidaten Isabel Wiest oder Kay Wolkau diesen zu genügend Persönlichkeitsstimmen für ein Mandat verhilft.

Stärkste Fraktion in der Bezirksversammlung dürfte die SPD bleiben. Ob die Grünen es schaffen, die CDU zu überflügeln, und mit wie viel Mandaten das geschehen könnte, ist die spannendere Frage der bevorstehenden Wahl zur Bezirksversammlung.

SPD

Frank Richter

Wer 54-jährige Rechtsanwalt ist in Harburg groß geworden und dem Bezirk treu geblieben. Frank Richter ist Vater eines fünfjährigen Sohnes. Auch außerhalb der Kommunalpolitik ist Frank Richter ehrenamtlich engagiert. Schon als 16-Jähriger wurde er Jugendbetreuer beim Bostelbeker Sportverein, später Jugendtrainer und 14 Jahre lang Vorsitzender des Bostelbeker SV. Richter ist Präsidiumsmitglied im Hamburger Fußballverband und Vorsitzender des Verbands-Lehrausschusses.

Für die nächste Legislaturperiode findet Frank Richter es wichtig, den Wohnungsbau weiter voranzutreiben. „Wir haben schon eine Menge auf den Weg gebracht“, sagt er, „aber darauf können wir uns nicht ausruhen. Wir müssen kreativ sein, wenn es um neue Potenziale geht – Baulücken finden und schließen, aufstocken sowie Wohnungsbau dort ermöglichen, wo die Bebauungspläne jetzt noch Gewerbe vorsehen.“

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Dazu zählt auch die Entwicklung der beiden Ortszentren in Harburg und Neugraben. „Hier muss Belebung erfolgen“, sagt Richter, „Es müssen mehr Menschen in der Innenstadt wohnen.“ Harburg braucht auch gute Mobilitätskonzepte, sagt Richter: „Die Busse müssen näher an die Menschen, die Bahnen müssen besser werden, und wir brauchen neue Verbindungen, wie die U 4 oder eine zweite Elbquerung der S-Bahn.“

CDU

Ralf-Dieter Fischer

Der älteste und erfahrenste Spitzenkandidat der Harburger Parteien wird in diesen Tagen 71 Jahre alt. Fischer ist Kunstliebhaber und Vater zweier erwachsener Töchter. Der Rechtsanwalt lebt seit seiner Jugend in Neugraben. Von 1982 bis 1997 war Fischer Bürgerschaftsabgeordneter. Seit 2001 ist er Kreisvorsitzender der CDU, seit 2004 in der Bezirksversammlung als Fraktionsvorsitzender. Fischer schmiedete zwei schwarz-grüne sowie eine rot-schwarze Koalition und war von 2011 bis 2014 ein sehr wahrnehmbarer Oppositionsführer. Kein Wunder, dass mancher ihn für den „heimlichen Bürgermeister von Harburg“ hielt. Dieser Nimbus litt etwas, als im Sommer die Große Koalition in Harburg zerbrach.

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Die Verkehrspolitik sieht Fischer als wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre an. „Alle Verkehrsteilnehmer müssen zu ihrem Recht kommen“, sagt er. „Dazu muss vor allem der Schienenverkehr in der gesamten Metropolregion ausgebaut werden.“ Beim Wohnungsbau möchte Fischer eher bremsen: „Harburg hält Grünflächen für ganz Hamburg vor und kann deshalb nicht so viele Wohnungen bauen wie andere Bezirke“, sagt er. Den Sportstättenbau möchte Fischers CDU fördern: „Es gibt Kompetenzchaos“, sagt er. „Die Innenbehörde, die Schulbehörde und der Bezirk planen alle parallel. Das muss besser werden.“

Grüne

Britta Hermann

Die 56-jährige Erzieherin leitet eine Kindertagesstätte. Sie selbst hat drei Kinder, alle sind mittlerweile erwachsen. Im Bezirk Harburg lebt sie seit 30 Jahren, seit 15 Jahren in Heimfeld. Ausgleich findet Britta Hermann beim Yoga und bei der Musik. Sie spielt Cello. Seit der Bezirkswahl 2014 ist Britta Hermann Fraktionsvorsitzende.

Wichtig für die nächsten fünf Jahre findet Britta Hermann es, Wohnungsbau und Ökologie unter einen Hut zu bringen. Im Bezirkswahlprogramm der Grünen wird unter anderem intensive Dach- und Fassadenbegrünung gefordert. „Wir brauchen eine nachhaltige grüne Stadtentwicklung“, sagt Hermann.

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Ebenso dringend brauche der Bezirk die Verkehrswende. Neue Schienenverbindungen, wie die Verlängerung der U 4 bis Harburg und eine Elbtunnel-S-Bahn stehen deshalb im grünen Forderungskatalog. „Außerdem muss der Straßenraum gerechter verteilt werden. Fußgänger, Busse und Fahrradfahrer müssen einen größeren Anteil halten.“ Als dritten wichtigen Punkt sieht Hermann die Entwicklung der TUHH und des Technologiestandorts Harburg. „Wir müssen die Verknüpfung von Wissenschaft und Gesellschaft voranbringen“, sagt sie, „und wir müssen aufpassen, dass die TUHH nicht erfolgreiche Institute nach Hamburg abgeben muss.“

Linke

Jörn Lohmann

Spitzenkandidat der Linken ist Jörn Lohmann. Der 58-Jährige ist Fachwirt im Sozial- und Gesundheitswesen. Lohmann ist in Harburg geboren und aufgewachsen. „Wie die meisten bin ich zwischendurch mal aus Harburg weggezogen, und wie die meisten bin ich zurückgekehrt“, sagt er. Lohmann ist Vater einer Tochter. Wenn das Leben ihm Zeit lässt, liest er gerne und widmet sich dem Gaming am Computer. Außerdem muss er noch täglich einen Hund bewegen. Seit 2014 ist Lohmann Mitglied der Bezirksversammlung. 2015 übernahm er den Fraktionsvorsitz von Sabine Boed­dinghaus.

Als wichtigstes Feld der Bezirkspolitik in der nächsten Legislatur sieht er den Wohnungsbau. „Gerade der geförderte Wohnungsbau muss deutlich zulegen“, sagt er. „Wir verlieren unter dem Strich immer noch mehr Sozialwohnungen, die aus der Bindung fallen, als neue dazukommen.“

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Darüber hinaus wünscht sich Lohmann mehr Entscheidungsbefugnisse in den Bezirken. „Hier ist die lokale Kompetenz vorhanden, aber oft wird von den Hamburger Behörden keine Rücksicht darauf genommen.“ Als dritten wichtigen Punkt sieht Lohmann den öffentlichen Nahverkehr. „Vor allem die Verbindungen über die Elbe nach Hamburg müssen besser werden – zuverlässiger und mit mehr Kapazitäten.“

AFD

Mathias Arft

Mathias Arft, Spitzenkandidat der AfD, ist in der Bezirksversammlung bislang kaum in Erscheinung getreten. Das liegt daran, dass er erst vor Kurzem in den Bezirk eingewandert ist. 2014, bei der vergangenen Bezirkswahl, lebte Arft noch in Ottensen. Noch länger wohnte er in Wandsbek. Arft gehörte 2013 zu den Gründungsmitgliedern der Hamburger AfD und gründete 2014 den Altonaer Kreisverband mit. Kommunalpolitisch aktiv ist er im Stadtteilbeirat Neugraben-Fischbek sowie als zubenannter Bürger im Regionalausschuss Süderelbe. Mathias­ Arft lebt in Neugraben-Fischbek. Der 56-jährige Diplomkaufmann ist Angestellter der AfD-Bürgerschaftsfraktion, liest gerne – besonders gern Fontane – und ist musikinteressiert.

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„Die soziale Infrastruktur in den Neubaugebieten muss dringend mit dem Wohnungsbau gleichziehen“, sagt Arft, „beispielsweise fehlt im Fischbeker Heidbrook immer noch der lange versprochene Kindergarten.“ Großen Handlungsbedarf sieht Arft auch beim öffentlichen Nahverkehr: „Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der S-Bahn sind indiskutabel“, sagt er. Als drittes wichtiges Themenfeld sieht Arft „alle Fragen, die sich aus der Migration ergeben“, sagt der Kandidat. „Wir fordern einen Zuzugsstopp für Migranten im Bezirk, damit wir Integration noch leisten können!“

FDP

Viktoria Ehlers

Die 27-jährige Politikwissenschaftlerin aus Marmstorf ist hauptberuflich Referentin des FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Ewald Aukes und jüngste Spitzenkandidatin der Harburger Parteien. Mitglied der FDP ist Viktoria Ehlers seit acht Jahren. Viktoria Ehlers ist verheiratet und hat mit ihrem Mann Nico gemeinsam einen Hund. Außerdem teilen die Ehlers ein Hobby: die Harburger Schützengilde.

Verkehr, Digitalisierung und Wohnungsbau sind die drei Themenfelder, die Viktoria Ehlers in den nächsten Jahren am dringendsten angepackt sehen möchte. „Das Leben ist zu kurz, um im Stau zu stehen“, sagt sie, „wir müssen den Nahverkehr attraktiver machen, aber nicht zulasten der Autofahrer. Die Bürger müssen sich selbst aussuchen können, wie sie sich fortbewegen. Die Park-and-ride-Gebühren müssen wegfallen.“

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Beim Kontakt zwischen Bürger und Behörden möchte die FDP der Digitalisierung mehr Raum geben: „Eine Vielzahl der Behördengänge könnte überflüssig gemacht werden. Bauanträge oder KfZ-Zulassungen können online erledigt werden.“ Im Wohnungsbau glaubt Ehlers, dass der Markt die Bedürfnisse der Bürger besser bedienen kann als der Staat: „Es gibt zu viele Beschränkungen, die Unternehmer davon abhalten, Wohnungen zu bauen.“

Morgen lesen Sie: Was sich im Bezirk Wandsbek tut