Harburg. Der emeritierte Michel-Hauptpastor macht sich Gedanken zum Thema „Spenden-Optimierer“ und dem Grundsatz der Barmherzigkeit.
Es gibt inzwischen Tausende von ihnen, die „ Spenden- Optimierer“. In Asien, Afrika und Australien und auch in Deutschland. Zumeist jüngere Leute, akademisch gebildet und sozial hoch engagiert. Sie bezeichnen sich als „effektive Altruisten“ und wollen Nächstenliebe üben, aber das mit größtmöglichem Erfolg. Das verdient Anerkennung und Bewunderung. Ich las mit Erstaunen, dass ein Wirtschaftswissenschaftler monatlich ein Drittel seines Verdienstes spendet, andere sogar die Hälfte.
Alle haben ein Ziel: Sie wollen die größtmögliche Wirkung ihrer Spenden erreichen. Das tun sie, indem sie streng nach empirischen und wissenschaftlichen Regeln Gutes tun. Die entscheidende Frage lautet immer: Wo bewirke ich viel? Was lohnt sich und was lohnt sich nicht? Um das zu erkennen, nutzen die Altruisten Untersuchungen, die die Probleme von Armut und Hunger, Krankheiten und Überbevölkerung streng nach betriebswirtschaftlichen Kriterien analysieren. Und dann Vorschläge machen für effektives Helfen. Mitglieder prüfen ihren finanziellen Einsatz und wägen ab. So spenden sie eher für die Malaria-Bekämpfung, bei der mit durchschnittlich 100 Euro ein weiteres Lebensjahr für die Erkrankten möglich wird, als 5000 Euro für AIDS-Behandlungen, die nötig wären, um dasselbe Ergebnis erzielen.
Es gibt durchaus Kritik an der Methode
Eine junge Studentin sagte, dass sie mit dieser Methode eine Befreiung erlebt habe und nun nicht mehr auf ihr Herz hören müsse. Das lässt mich aufhorchen. Sie hat jetzt konsequent gehandelt und ihr Studium der Literaturwissenschaft aufgegeben, um Mathematik zu studieren. Der große persönliche Einsatz mag den Satz vieler engagierter Weltverbesserer rechtfertigen: „Wir erleben, dass wir selbst glücklicher leben, wenn wir anderen so helfen.“
Und doch gibt es Bedenken. Thomas Gebauer, Sprecher von „Medico International“, beurteilt die Methode der effektiven Altruisten in zweifacher Hinsicht kritisch. Er fragt erstens, ob so die Ursachen von Armut, Hunger und Ungerechtigkeit bekämpft werden. Und behauptet, dass diese einseitige Konzentration auf Effizienz die strukturellen Ursachen nicht verändern.
Wie es anders laufen müsste, macht er an einer Kampagne von seiner Organisation „Medico International“ deutlich. In den 90er Jahren hat er mit anderen eine weltweite Kampagne zum Verbot von Landminen initiiert, die an konkreter Hilfe und außerdem an der Ursachenbekämpfung orientiert war. Die war so erfolgreich, dass ein Völkerrechtsabkommen zum Verbot dieser schrecklichen Waffen erreicht wurde.
Das, wofür „Medico International“ den Friedensnobelpreis 1997 erhalten hat, würden die Altruisten nicht unterstützen, hat Gebauer nach einem Gespräch mit Altruisten berichtet. Der Grund: Die positive Wirkung einer solchen Kampagne ist unsicher, weil sie sich nicht berechnen lässt. Gebauer kritisiert an den effektiven Altruisten zweitens das Effektivitätsdenken und die Konzentration auf betriebswirtschaftliche Methoden. Die Gefahr dabei sei, dass man konkrete Hilfe verweigere, weil sie sich nicht so rechne.
Der Samariter halb ohne Rücksicht auf Effizienz
Auch ich sehe beim Setzen auf Effizienz die Gefahr, dass die Nächstenliebe des barmherzigen Samariters aus dem biblischen Gleichnis auf der Strecke bleibt: Zwei Menschen, der Priester und der Tempeldiener, gehen an dem Mann, der von Räubern halb totgeschlagen wurde, vorüber – der Gottesdienst geht vor. Erst der fremde Ausländer lässt sich von dem Leid, das er sieht, ansprechen. Organisationen wie „Brot für die Welt“, „Welthungerhilfe“ „Ärzte ohne Grenzen“ und andere handeln so wie der Samariter und im Sinne der Nächstenliebe. Darüber hinaus wollen manche auch die Ursachen von Gewalt, Not und Elend angehen und verändern. Sie verfolgen so eine Doppelstrategie. Das tat der barmherzige Samariter so nicht. Er half, weil er mit dem Überfallenen Mitleid hatte.