Harburg. Johannes Kahrs (SPD) und Dennis Gladiator (CDU) plädieren im Fall des afghanischen Ehepaares Sadeghi für Einzelfallprüfung.

Das afghanische Ehepaar Fatemeh und Reza Sadeghi hat prominente Unterstützer aus der Bundes- und Landespolitik gefunden. Wie bereits berichtet, droht den in Hamburg-Hamm wohnenden und in Sinstorf arbeitenden Flüchtlingen die Abschiebung. „Die Sadeghis sind doch ein klassisches Beispiel für den Spurwechsel, den die SPD seit geraumer Zeit fordert. Nämlich die Möglichkeit für Asylbewerber, die zwar abgelehnt oder nur geduldet, aber gut integriert sind und einen Arbeitsplatz haben, das Bleiberecht zu ermöglichen“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs dem Abendblatt.

Über SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte er von dem Fall des in seinem Wahlkreis Hamburg-Mitte lebenden Paars gehört. Die Sadeghis waren 2009 mit ihrem Sohn Behzad aus Afghanistan geflohen. 2013 verstarb der Junge siebenjährig nach einer unheilbaren Krebserkrankung und wurde auf dem Friedhof Öjendorf beigesetzt. Ende 2013 erhielten Fatemeh und Reza Sadeghi eine Festanstellung in der McDonald's-Filiale Sinstorf und bezogen im September 2016 eine eigene Wohnung in Hamburg-Hamm.

Kahrs hält Afghanistan nicht für sicheres Herkunftsland

„Ich persönlich halte Afghanistan nicht für ein sicheres Herkunftsland“, sagte Kahrs dem Abendblatt. Aber abgesehen davon verstehe kein Mensch, wenn ein privat wie beruflich bestens eingebundenes Paar, das völlig unabhängig von staatlichen Transferleistungen sei, nach zehn Jahren plötzlich abgeschoben werden soll.

Laut Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, erscheine die schiere Rechtslage in diesem Fall zwar klar. Allerdings müssten besondere Härten auch im Einzelfall geprüft werden. „Es ist für viele Menschen zu recht nicht nachvollziehbar, dass so viele Integrationsverweigerer nicht abgeschoben werden, bei tragischen Einzelfällen aber plötzlich Konsequenz demonstriert wird“, so Gladiator.

Lebhaftes Echo bei Facebook

Auch in den sozialen Medien hat der Fall Fatemeh und Reza Sadeghi ein lebhaftes Echo ausgelöst. Ihre Chefin Frauke Petersen-Hanson, Geschäftsführerin von sechs McDonald's-Filialen im Bezirk und im Landkreis Harburg, hatte den Abendblatt-Bericht vom vergangenen Wochenende über ihren Facebook-Account verbreitet. Inzwischen ist der Beitrag mehr als zigmal geteilt und mehrfach kommentiert worden.

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„Unmenschlichkeit und Kälte machen sich breit in unserer Gesellschaft. Es ist unbegreiflich, Menschen, die voll integriert sind, nach zehn Jahren in ein Kriegsgebiet abzuschieben“, schrieb etwa Manfred R. „Integrierte Steuer- und Sozialversicherungszahler abzuschieben ist doch Blödsinn – abgesehen von dem menschlichen Aspekt“, urteilte Dirk T. Außerdem seien sich doch viele Deutsche mittlerweile zu fein für Dienstleistungsberufe.

Widerrufsverfahren eingeleitet

Das Ehepaar aus Herat im Westen Afghanistans, der zweitgrößten Stadt des Landes, hatte am 5. Januar Post des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhalten. Darin wurde ihnen mitgeteilt, dass aufgrund einer Anfrage der zuständigen Hamburger Ausländerbehörde ein Widerrufsverfahren hinsichtlich ihres Abschiebeverbots eingeleitet worden sei.

„Mir ist mir völlig unverständlich, wie man angesichts der immer wiederkehrenden Nachrichten über tödliche Anschläge in Afghanistan ernsthaft argumentieren kann, die Sicherheitslage in diesem Land habe sich signifikant verbessert“, sagte Frauke Petersen-Hanson.

Ausländerbehörde verweist auf BAMF

Auf Anfrage des Abendblatts erklärte die zuständige Hamburger Ausländerbehörde, sie sei gemäß Paragraf 73 Asylgesetz verpflichtet, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge „regelmäßig nachzufragen“, ob die Voraussetzungen für ein Widerrufsverfahren vorliegen. Insbesondere dann, wenn „sich die politische Lage in den jeweiligen Ländern zwischenzeitlich verändert und ggf. verbessert hat“ und damit die Flüchtlingseigenschaft möglicherweise nicht mehr besteht.

Der Zeitpunkt der Anfrage richte sich zudem nach der zu erwartenden Bearbeitungsdauer beim Bundesamt. Das BAMF sei „hoheitlich für die Prüfung der Rücknahme und des Widerrufes der Flüchtlingseigenschaften zuständig“, während die Ausländerbehörde die Entscheidung dann lediglich umsetze.

Wie bereits berichtet, verfügen die Eheleute Sadeghi über einen Aufenthaltstitel nach Paragraf 25 Absatz 3 Aufenthaltsgesetz, der aktuell bis Mai 2020 gültig ist. „Zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung waren die Voraussetzungen für eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis gegeben“, sagte der zuständige Pressesprecher der Hamburger Behörde für Inneres und Sport, Matthias Krumm.

Widerruf des Aufenthaltstitels jederzeit möglich

Ein Widerruf oder eine nachträgliche Begrenzung des Aufenthaltsrechts nach Paragraf 52 Absatz 1 Nummer 4 und 5 Aufenthaltsgesetz seien unterdessen jederzeit möglich. „Ungenügende Integrationsleistungen spielen dabei keine Rolle“, so Krumm. Sie hätten lediglich Einfluss auf die Dauer der Erteilung des Aufenthaltsrechts.

Julia-Maria Rieckmann, die Rechtsanwältin der Sadeghis, kündigte unterdessen bereits an, den Fall gerichtlich prüfen zu lassen, sollte das Bleiberecht im Widerrufsverfahren verwehrt werden. „Wir werden alle Rechtsmittel ausschöpfen, da vieles für einen Härtefall spricht“, so Rieckmann. Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung spiele die Tatsache, dass das Kind des Ehepaares auf einem Hamburger Friedhof begraben sei. „Diesen Ort der Trauer darf den Eltern nicht genommen werden“, so Rieckmann.

Seit 2016 hat sich die Zahl der Hamburger Abschiebeverfahren mehr als halbiert. Wurden vor drei Jahren noch 3062 von 4071 eingeleiteten Verfahren vollzogen, so führte die Ausländerbehörde im Jahr 2017 noch 1211 von 1988 vorbereiteten Rückführungen durch, im Vorjahr waren es 1076 von 1695.

Ins Herkunftsland abgeschoben wurden vor drei Jahren 641 Asylsuchende, 2017 waren es 418, im Vorjahr 438.

Dublin-Fälle, also die Abschiebung in Drittstaaten, erfolgten 2016 am Ende von 164 Verfahren, 2017 waren es 190 und 2018 noch 154. Freiwillige Ausreisen wurden vor drei Jahren in 2257 Fällen registriert, 2017 in 603 Fällen, im Vorjahr in 538 Fällen.