Harburg . Zahlreiche Harburger Mehrfamilienhäuser könnten ein zusätzliches Geschoss erhalten und so neuen Wohnraum bieten.

Der Ansatz, bestehende Gebäude um ein Stockwerk zu erhöhen, könnte dringend benötigten Wohnraum schaffen. Die Harburger Bezirksverwaltung und -politik setzen auf Hauseigentümer, die – etwa im Rahmen einer ohnehin geplanten Dachsanierung – in den „abgehobenen“ Wohnungsbau investieren. Diese finden dafür deutlich verbesserte Rahmenbedingungen.

Im Herbst 2017 hatte Oliver Dalladas in seiner Masterarbeit an der HafenCity Universität (HCU) ein theoretisches Potenzial zur Aufstockung von Hamburger Wohngebäuden errechnet. Für den Bezirk Harburg ermittelte er anhand des Liegenschaftskatasters bis zu 4400 zusätzliche Wohnungen.

Dabei rechnete Dalladas mit nur einem weiteren Stockwerk je Gebäude und betrachtete nur Mehrfamilienhäuser (mindestens neun Meter hohe Gebäude). Der Geomatiker berücksichtigte in seiner Arbeit die neuen Abstandsregelungen, die eine dichtere Bebauung zulassen. Allerdings sollten die Gebäude nicht höher als 22 Meter werden, damit die Feuerwehr bei Rettungs- und Löscharbeiten das Dach gut erreichen kann.

Das Bezirksamt hat die Masterarbeit aufgegriffen und sich einige Gebäude angesehen, die Dalladas als aufstockungsfähig gekennzeichnet hatte. Darüber berichtete Kornelia Ott vom Amt für Stadt- und Landschaftsplanung des Bezirks kürzlich dem Stadtplanungsausschuss. Dabei teilte Ott die Wohnhäuser in vier Kategorien ein: Gebäude an Hauptstraßen, Gründerzeitquartiere, Zeilenbauten, die frühestens in den 1950er Jahren errichtet wurden, und sonstige Gebäude an der Peripherie des Bezirks.

Ideal ist es, wenn ohnehin am Dach gebaut werden soll

Schnell wurde klar, dass nur ein Teil des theoretischen Potenzials gehoben werden kann: An den Hauptstraßen ist mit Lärmproblemen zu rechnen, bei den Gründerzeitbauten fürchten die Bezirksplaner ums Stadtbild, und die Nachkriegsbauten seien oftmals bereits saniert und modernisiert, so Ott – Aufstockungen sind meist erst dann wirtschaftlich, wenn sie im Rahmen von energetischen oder sonstigen Modernisierungen realisiert werden. Immerhin: Wenn alles gut läuft, könnten wohl zumindest einige hundert Wohnungen auf den derzeitigen Harburger Dächern gebaut werden.

„Alles entscheidend ist das Interesse der Eigentümer“, sagt Amtsleiter Hans Christian Lied dem Abendblatt. Er würde sich wünschen, dass auf diese Weise weitere Wohnungen gebaut werden. „Wir können zwar nicht bei jedem einzelnen Hauseigentümer an die Tür klopfen und ihn fragen, ob er aufstocken mag. Aber in Wohnsiedlungen, in denen wir großes Potenzial sehen, würden wir aktiv werden. Wir kommen eher mit größeren Eigentümern wie der Saga oder den Baugenossenschaften ins Gespräch.“

In der Harburger Innenstadt und in Bereichen, die sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen sind, könnten in den Bebauungsplänen Aufstockungen ausdrücklich zugelassen werden, so Lied. Allerdings sei in der Harburger City „die Geschossigkeit häufig schon ausgereizt“. Derzeit werde ein Rahmenplan für die Innenstadt-Entwicklung erarbeitet, der höhere Gebäude vorsehe.

Allerdings stoße diese sogenannte Nachverdichtung oft auf Widerstand der Bewohner, gibt Harburgs oberster Stadtplaner zu Bedenken. Lied: „Gerade wenn Hauseigentümer selbst das Gebäude bewohnen, spielt zum Beispiel die Angst vor zusätzlichem Schatten eine Rolle.“ Ein weiteres Hemmnis sei das in Harburg noch relativ günstige Mietniveau. „Generell steigen die Baukosten mit der Höhe der Gebäude“.

Aufstockungen bundesweit ein Thema

„In teuren Hamburger Lagen ist Aufstockung absolut wirtschaftlich“, sagte Architekt Bernd Dahlgrün dem Stadtplanungsausschuss. Dahlgrün hatte Dalladas’ Masterarbeit betreut. In anderen Lagen steige die Wirtschaftlichkeit im Zusammenhang mit anderen Baumaßnahmen, etwa zur Wärmedämmung.

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© Thomas Sulzyc

Dahlgrün: „Wenn die Arbeiten parallel laufen, muss nur einmal eine Baustelle eingerichtet werden. Das spart Kosten. So können beide Maßnahmen wirtschaftlich werden.“ Generell kalkuliert er mit Baukosten von 2300 bis 4300 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Würden aber ohnehin Modernisierungskosten anfallen, so betrügen die Zusatzkosten für neue Dachgeschosswohnungen 1900 bis 3600 Euro.

Bundesweit sind Aufstockungen ein Thema. Sie werden inzwischen steuerlich gefördert: Neben der normalen Abschreibung in Höhe von zwei Prozent der Gebäudekosten können die Eigentümer vier Jahre lang jeweils fünf Prozent der Kosten als Sonderabschreibung ansetzen und damit die zu versteuernden Mieterträge mindern.

Auch die novellierte Hamburger Bauordnung erleichtert den „Hoch-Bau“, in dem sie etwa auf den Einbau oder die Erweiterung von Aufzügen verzichtet und als Baumaterial Holz (leicht, gut in Modulen zu bauen) zulässt. „Die Immobilienbesitzer müssen prüfen: Kann ich aufstocken oder nicht?“, rät Architekt Dahlgrün. „Das Haupthindernis ist die Psychologie der Grundeigentümer.“

Was dafür spricht

Die Bauherren ersparen sich die in Hamburg hohen Grundstückskosten. Sie können die vorhandene Haustechnik nutzen, um die neu geschaffenen Wohnungen zu versorgen (Wasser-/Abwasserleitungen, Stromleitungen, Fahrstühle etc.).

Die Stadt profitiert davon, dass neue Wohnungen ohne zusätzlichen Flächenverbrauch entstehen. Es müssen keine zusätzlichen Verkehrswege zu neuen Grundstücken/Siedlungen gebaut werden. Auch sonstige öffentliche Infrastruktur ist vorhanden (Wasser-/Abwasser-, Strom und Datenleitungen). Es sind keine Erdarbeiten nötig, die die Anwohner und den Verkehr oftmals stark belasten. Auch werden Bus- und Bahnlinien durch die Nachverdichtung besser ausgelastet – soweit sie nicht jetzt schon am Kapazitätslimit fahren.