Harburg. Nach dem Bruch der Großen Koalition gibt es wechselnde Mehrheiten. Anträge fast jeder Partei haben die Chance, angenommen zu werden.
Auch unabhängig von der Frage der Bezirksamtsleitung werden die nächsten acht Monate der Bezirksversammlung spannender, als die vergangenen vier Jahre. Nach dem Bruch der Großen Koalition steuert die Bezirksversammlung auf ein Entscheidungsfindungssystem mit wechselnden Mehrheiten zu. Damit ist kein Antrag und keine Initiative mehr Selbstgänger, genau wie kaum ein Antrag noch zum Scheitern verurteilt ist.
Während der Koalition stand eigentlich 13 Tage vor der eigentlichen Sitzung der Bezirksversammlung fest, was beschlossen wird. Am Tag nach der Hauptausschusssitzung stellten vormittags die SPD und mittags die CDU ihre Anträge der Presse vor. Diese Anträge wurden sicher angenommen, denn die Koalitionspartner liehen sich gegenseitig die Stimmen. Anträge der kleineren Parteien hatten hingegen selten eine Chance, sofern sie nicht schon unauffällig im Hauptausschuss durchgewinkt wurden. Die Frage war lediglich, ob sie im Plenum niedergestimmt oder im Fachausschuss beerdigt würden.
SPD braucht zwei andere Fraktionen für Mehrheit
Nun wird alles anders: Ohne die 14 Stimmen der CDU braucht die 19-köpfige SPD mindestens zwei andere Fraktionen für eine Mehrheit, die CDU ohne die SPD mindestens drei. Eine der beiden großen Parteien wird für eine Mehrheit immer gebraucht, denn Grüne (5 Mandate), Linke (5), Neue Liberale (3), AfD (3) und FDP (2) kommen zusammen nur auf 18 Stimmen und selbst die wären höchst unwahrscheinlich, denn mit der AfD möchte eigentlich keine andere Partei in Verbindung gebracht werden. Bei einer 51-köpfigen Bezirksversammlung liegt die Mehrheitsgrenze bei 26.
Dabei kann es in einzelnen Fragen zu ungewöhnlichen Bündnissen kommen. „Wir hätten in der Vergangenheit dem einen oder anderen sozialpolitischen Antrag der Linken durchaus zustimmen können“, sagt CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer, „haben das dann aber auf Wunsch unseres Koalitionspartners abgelehnt, weil die SPD leicht abweichende Ideen hatte.“
Trotz Aufkündigung der Koalition werden CDU und SPD wohl immer noch dem einen oder anderen Antrag zu einer mächtigen Mehrheit verhelfen. „Wir haben den Koalitionsvertrag ja noch nicht abgearbeitet“, sagt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Jürgen Heimath. „Und die sachpolitischen Ziele werden ja nicht dadurch schlechter, dass wir keine Koalition mehr haben.“
Je näher der 26. Mai – der Termin der nächsten Bezirksversammlungswahlen – rückt, desto mehr wird allerdings der Wahlkampf die Bezirkspolitik bestimmen, weil nun alle Parteien eine realistische Chance haben, sich zu profilieren. Die Harburger SPD hat sich in den vergangenen 18 Monaten ein Wahlprogramm für die nächste Legislaturperiode erarbeitet, das derzeit den letzten Feinschliff erhält. Spätestens, wenn es beschlossen ist, wird es wohl auch vor der Wahl schon Eingang in die Anträge der SPD finden.
„Es geht darum, die Stadt lebenswert für alle zu machen“, sagt Jürgen Heimath, „An dem Programm haben drei Arbeitsgruppen gefeilt und die Bereiche Soziales, Stadtplanung und Verkehr als Schwerpunkte gehabt.“
Abstimmung zum Wohnungsbau wird spannend
Spannend dürfte die Mehrheitsfindung im Bereich Wohnungsbau werden: Während die CDU den Anteil geförderter Wohnungen in den einzelnen Quartieren stets möglichst gering halten wollte, äußern SPD, Linke und Grüne einmütig, dass sie den Anteil der Sozialwohnungen am Wohnungsneubau erhöhen wollen. Während die Grünen aber auf eine ökologische Stadtentwicklung mit viel Freiraum bestehen, sehen die Linken nur eine Chance: Groß bauen. „Wir müssen sicherlich dichter und höher bauen“, sagt Fraktionsvorsitzender Jörn Lohmann.
Trotz sich anbahnender Konflikte freuen sich die kleinen Parteien darauf, sich nun mehr einbringen zu können: „Das wird spannend und wird neue Impulse geben“, sagt Jürgen Marek, stellvertretrender Fraktionsvorsitzender der Grünen. „Uns wird es wichtig sein, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Bezirkspolitik zu regeln und die Fahrradnutzung zu erhöhen.“
Die Linken setzen auf mehr Nahverkehr und fordern ein Ende befristeter Anstellungsverträge beim Bezirksamt. „Die Stadt sollte soziale Vorbildfunktion haben“, sagt Jörn Lohmann. Auch bei den Neuen Liberalen herrscht Aufbruchstimmung: „Unser Plan einer U 4, die statt nur in den Hafen bis in den Harburger Süden führt, hat wieder eine Chance, wenigstens debattiert zu werden“, sagt Spitzenkandidat Kay Wolkau.