Hamburg. Gebetshaus in Harburg gilt als Anlaufstelle von Islamisten. Beweise beschlagnahmt. „Lies!“-Kampagne verboten.

Drei Mannschaftswagen und Zivilfahrzeuge der Polizei fahren vor, dann geht es ganz schnell. Innerhalb einer halben Minute hechten Polizisten aus den Fahrzeugen und riegeln drei Eingänge zur Taqwa-Moschee in Wilstorf ab. Beamte in Zivil stülpen sich Plastikschützlinge über die Füße – offenbar aus Rücksicht auf die religiösen Sitten des Islam – und gehen hinein. Sie treffen nur einen Mann im Kaftan an. Der überraschte Muslim mit Gebetskappe wird ins Freie geführt.

Zwei Stunden später verlassen die Beamten die Moschee. Das sichtbare Ergebnis der Razzia: Rund zehn Pappkartons und Tüten mit Dokumenten und ein Computer werden von der Polizei beschlagnahmt. Bundesweit laufen zeitgleich an fast 200 Standorten ähnliche Aktionen, nachdem der Bundesinnenminister die islamistische Organisation „Die wahre Religion“ verboten hat. Festnahmen gibt es nach ersten Angaben nicht. Aber die Beamten hoffen auf wertvolle Beweise.

Die Taqwa-Moschee am Krummholzberg liegt unscheinbar zwischen Versicherungsbüros und Wohnungen. „Ich wusste gar nicht, dass da eine Moschee ist“, sagt eine Nachbarin. Für die Behörden gilt die Moschee dagegen als zentrale Anlaufstelle der islamistischen Szene. Das war bis Anfang August 2010 die Al-Kuds-Moschee am Steindamm in St. Georg gewesen, in der auch die Terrorpiloten um Mohammed Atta verkehrten, bevor sie die Anschläge vom 11. September 2001 verübten. Im Verfassungsschutzbericht 2012 wurde die Taqwa-Moschee erstmals als neuer Treffpunkt der Fanatiker genannt.

Für eine Schließung der Moschee gab es bislang zu wenig belastbares Material gegen den Trägerverein „Die Gemeinschaft des Olivenzweigs e. V.“ – das könnte sich durch die Razzia nun möglicherweise ändern. Zunächst durfte die Moschee am Dienstagvormittag aber wieder öffnen. Auch das Verbot von „Lies!“ gilt als enorm wichtiger Schritt, um ein weiteres Wachstum der salafistischen Szene zu verhindern.

Opposition lobte das Verbot

„Das heutige Verbot ist Rückenwind für unsere harte Hamburger Linie gegen gewaltorientierte extremistische Fanatiker“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD). Für den Hamburger Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß ist die Aktion auch deshalb ein „Erfolg“, weil die Hamburger Behörden wesentliche Erkenntnisse für das bundesweite Verbot von „Die wahre Religion“ geliefert hätten. Ebenso wie die Taqwa-Moschee galten Koranstände als häufige Stationen für junge Rekruten vor der Ausreise in den Dschihad.

Bislang reisten nach den Erkenntnissen 72 Menschen aus Hamburg zum Kampf in den Irak und nach Syrien – etwa ein Drittel soll dort umgekommen sein, ein Drittel ist nach Deutschland zurückgekehrt und in aller Regel weiter in der Szene aktiv. Der Verfassungsschutz-Chef Voß kündigte an, dass der Kampf gegen Salafisten und Islamisten ein Schwerpunkt in der Arbeit der Sicherheitsbehörden bleiben werde.

Die Opposition der Hamburgischen Bürgerschaft lobte den Großeinsatz und das Verbot am Dienstag. „Das ist eine knallharte Botschaft für null Toleranz gegen Terroristen und ihre Unterstützer. Auch ein anderes Signal ist wichtig. Die Szene soll wissen, dass wir sie kennen, im Blick haben und konsequent gegen sie vorgehen“, sagt Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Hamburger Rathaus.

Salafistische Szene in Hamburg wächst seit Jahren

Die FDP-Innenexpertin Anna von Treuenfels-Frowein sieht sich in ihrer alten Forderung nach einem Verbot des Vereins bestätigt. „Religiöse Extremisten haben in Hamburg und in ganz Deutschland keinen Platz“, erklärt die Liberale. Die Chefin der Linksfraktion, Cansu Özdemir, stimmt zu: Das Verbot der „Lies!“-Kampagne sei ein lange fälliger, wichtiger Schritt gewesen.

Im Hamburger Sicherheitsapparat und im Bezirk Mitte hatten insbesondere die Koranstände von „Lies!“ große Sorgen ausgelöst. Das Netzwerk der Organisation „Die wahre Religion“ konnte über Jahre angemeldete Koranverteilungen mitten in der Innenstadt durchführen, meist an der Mönckebergstraße. Der heutige Innensenator Andy Grote (SPD) hatte noch in seiner Zeit als Bezirksamtsleiter nach einer Handhabe gesucht, um die Aktionen unterbinden zu können.

Die salafistische Szene in Hamburg wächst seit Jahren, derzeit werden ihr 670 Menschen zugerechnet, etwas 320 von ihnen gelten als Befürworter des gewaltsamen Dschihad. Im Mai gelang es jedoch erstmals, einen Koranstand mit dem Verweis auf dschihadistische Verbindungen des Anmelders zu verbieten. Innensenator Grote führte dies auch auf eine verbesserte Aufklärung des Verfassungsschutzes zurück.