Hamburg. Polizei durchsuchte unter anderem Moschee in Wilstorf und Objekte in Eidelstedt und Dulsberg. Koran-Verteilaktion künftig verboten.
Bei einer Razzia sind heute Morgen die Taqwa-Moschee in Harburg und einige weitere Gebäude in Hamburg durchsucht worden. Die Aktion von Bereitschaftspolizei und Kriminalbeamten richtete sich gegen mutmaßliche Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Dabei geht es auch um das "Lies!"-Netzwerk, das in Fußgängerzonen den Koran verteilt hatte. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) teilte in Berlin mit, dass er die dahinter stehende Vereinigung "Die wahre Religion" verboten und aufgelöst habe.
Die jetzt durchsuchte Moschee an der Anzengruberstraße im Stadtteil Wilstorf haben Salafisten eingerichtet, die als Nachfolger der berüchtigten Al-Kuds-Moschee (später Taiba-Moschee) vom Steindamm gilt. Dort beteten die Terrorpiloten vom 11. September 2001, und dort sollen sie auch radikalisiert worden sein. Die Moschee wird geführt von der Gemeinschaft des Olivenbaumzweigs e.V.
60 Einsatzkräfte in Hamburg
Die Beamten beschlagnahmten rund zehn Kartons mit Unterlagen und einen Computer. Betroffen von den Aktionen waren ferner zwei Wohnungen im Stadtteil Eidelstedt und eine in Dulsberg. Es sei niemand festgenommen worden, sagte ein Polizeisprecher. Insgesamt waren in der Hansestadt nach Angaben von Innensenator Andy Grote (SPD) mehr als 60 Beamte im Einsatz.
Die Durchsuchungen in der Hansestadt waren Teil einer Großrazzia in zehn Bundesländern, die am frühen Dienstagmorgen um 6.30 Uhr startete. Hunderte Polizisten durchsuchten dabei offenbar mehr als 200 Wohnungen und Büros von Organisatoren und Anhängern der radikal-salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“, die hinter umstrittenen Koran-Verteilaktionen in deutschen Städten steht.
Vereinigung wird verboten
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) teilte mit, dass er die Vereinigung «Die wahre Religion» verboten und aufgelöst habe. Die Organisation, auch aktiv unter dem Namen «Stiftung Lies», bringe dschihadistische Islamisten zusammen unter dem Vorwand, für den Islam zu werben, verbreite Hassbotschaften und radikalisiere damit Jugendliche, sagte der Innenminister.
„Die heutige Aktion ist ein wirkungsvoller Schlag gegen die dschihadistische Szene und ein Zeichen für unsere wehrhafte, abwehrbereite Demokratie“, sagte Hamburgs Innensenator Andy Grote. „Das heutige Verbot ist Rückenwind für unsere harte Hamburger Linie gegen gewaltorientierte extremistische Fanatiker, die eine Gesellschaftsordnung errichten wollen, die mit unserer freiheitlichen Grundordnung nicht das Geringste zu tun hat".
"Großer Erfolg"
Seit Mai 2016 wurden in Hamburg nach Angaben des Senats mehr als 30 Anträge für salafistische Info-Stände abgelehnt; den Einzelanmeldern konnten mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in Form von Behördenzeugnissen dschihadistische Bezüge in einer Qualität nachgewiesen werden, die das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte in die Lage versetzte, die Genehmigung zu versagen. Seitdem gab es in Hamburg keine Salafisten-Stände mehr.
Der Hamburger Verfassungsschutz-Chef sieht die Razzien als wichtigen Schritt. „Wir haben die Beobachtung des Islamismus und insbesondere des Dschihadismus seit Sommer 2014 operativ und personell verstärkt" sagte Voß. "Die Erkenntnisse, die wir daraus gewonnen haben, trugen mit zum heutigen Verbot von DWR bei. Insofern sind die heutigen Maßnahmen für uns als Verfassungsschutz ein großer Erfolg. Die Beobachtung und Bekämpfung des Salafismus und Dschihadismus wird auch künftig ein Schwerpunkt unserer Arbeit bleiben.“
"Fälliger Schritt"
Auch Cansu Özdemir, Vorsitzende der Fraktion "Die Linke" in der Hamburgischen Bürgerschaft, äußert sich zum Verbot des salafistischen Missionierungsnetzwerks „Die wahre Religion“ und der Kampagne „Lies!“: Das Verbot ist ein "lange fälliger, wichtiger Schritt im Kampf gegen Dschihadismus und Salafismus", sagte Özdemir. Die Vereinigung, ihre Untergruppierungen und ihre Anhängerschaft agierten antidemokratisch und trügen Verantwortung für die Radikalisierung von Jugendlichen, erklärt die Politikerin. Özdemir kritisiert allerdings, dass der Senat die Finanzierung seiner Aktivitäten gegen Dschihadismus und Salafismus bis heute vor der Bürgerschaft nicht offenlegt: „Der Senat darf sich nach den Razzien jetzt nicht zurücklehnen, er muss sich auch weiterhin massiv um Prävention kümmern. Vier Millionen Euro hat er hier für 2017/2018 veranschlagt. Aber wofür wird das Geld eigentlich ausgegeben? Das weiß bis heute niemand. Schon um gegebenenfalls weitere Maßnahmen oder Mittel beantragen zu können, brauchen wir hier endlich Transparenz.“
Keine Maßregelung des islamischen Glaubens
Zustimmung zum Verbot kommt auch von Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der Grünen Bürgerschaftsfraktion: „Die Vorwürfe gegen den DWR wiegen schwer und werden auch durch die Erkenntnisse der Hamburger Sicherheitsbehörden erhärtet. Der DWR wird als Rekrutierungsorganisation für den bewaffneten Jihad verboten, der die verfassungsmäßige Ordnung und die Völkerverständigung aktiv bekämpft. Das halte ich für gerechtfertigt und geboten". Es gehe dabei nicht um eine Einschränkung oder Maßregelung des islamischen Glaubens, sondern um die Bekämpfung einer Organisation, die im Namen der Religion gegen die Verfassung kämpfe.
Durchsuchungen vor allem in Hessen und NRW
Schwerpunkte der Polizeieinsätze waren am Morgen Hessen mit knapp 65 Durchsuchungen – darunter allein 15 in Frankfurt am Main – sowie Nordrhein-Westfalen und Bayern mit jeweils fast 35 Polizeiaktionen.
In Niedersachsen durchsuchten die Beamten mehr als 20 Liegenschaften, im Bereich der Polizeidirektion Hannover, zwei Durchsuchungen im Bereich der Polizeidirektion Oldenburg und eine im Bereich Osnabrück. In Schleswig-Holstein wurden an vier Orten Razzien durchgeführt. „Durchsucht wurde in Lübeck, Neumünster, Pinneberg und Wahlstedt (Kreis Segeberg)“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Außerdem stellten die Beamten eine Verbotsverfügung zu. „Festnahmen gab es dabei nicht.“ An dem Einsatz waren im Norden etwa 30 Beamte beteiligt.
140 Jugendliche ausgereist
De Maizière zufolge sind bereits 140 Jugendliche, die im Kontakt mit der Organisation standen, nach Syrien oder den Irak ausgereist – vermutlich für den Kampf an der Seite islamistischer Terroristen. Um das Verbot der Vereinigung umzusetzen, wurden den Angaben zufolge am Morgen rund 190 Objekte in zehn Bundesländern durchsucht.
Die Organisation habe einige hundert Mitglieder, erklärte der Bundesinnenminister. Das Verbot ziele nicht auf die Werbung für den islamischen Glauben generell, betonte der CDU-Politiker. "Muslimisches Leben hat einen festen und gesicherten Platz in Deutschland", sagte er. Bei dem Verbot handele es sich auch um einen Angriff auf die Religionsfreiheit. Der sei aber berechtigt, da die Religion nur als Vorwand genutzt werde. In Wahrheit gehe es um eine extremistische Ideologie, sagte de Maizière. Die Vereinigung habe in Veranstaltungen und Videos zum Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland aufgerufen.