Neuenfelde. Serie: Claus-Carsten Quast hat sein Leben in Neuenfelde verbracht und ist begeistert von seiner Heimat.
Das Alte Land und der Name Quast scheinen untrennbar mit einander verbunden. Allein im Neuenfelder Telefonbuch finden sich mehr als zwei Dutzend Einträge. „Die Quasts leben seit Jahrhunderten hier, aber genau genommen sind wir alle Migranten“, sagt Claus-Carsten Quast. „Es waren ja Holländer, die die Dörfer Hasselwerder und Nincop gegründet haben. Daraus wurde später Neuenfelde. Der Ort war früher viel bedeutender als heute und ziemlich wohlhabend. Es gab und gibt viele Selbstständige: Obstbauern, Handwerker, Händler“, sagt der 59-Jährige.
Er selbst betreibt in zweiter Generation die örtliche Drogerie am Arp-Schnitger-Stieg 47. In der Wohnung über dem Laden ist er aufgewachsen. Vor seiner Geburt sei das Haus ein Lagerschuppen für Meerrettich gewesen, erzählt Quast. Der Export der scharfen Gewürz- und Gemüsepflanze hätte früher viel Geld eingebracht. Er zeigt auf die reich verzierte denkmalgeschützte Fassade des Nachbarhauses, die noch vom Wohlstand des einstigen Meerrettich- Händlers Wilhelm Rademacher zeugt. „Als der Boom vorbei war, weil immer weniger Bauern ihr Land für den Anbau hergeben wollten, weil Meerrettich den Boden stark auslaugt, stand die Scheune leer. Mein Vater richtete darin den Laden ein.“
Farben, zunächst noch aus Rohstoffen selbst gemischt, gehörten in den Anfangsjahren zu den begehrtesten Waren. Das Angebot reichte von Kalkfarbe für Knechtskammern über Lackfarben für Küchen bis zu Tapeten für gute Stuben. Heute ist das Angebot vielfältiger. Mit 25.000 Artikeln deckt die Drogerie einen großen Teil des täglichen Bedarfs. „Drogen“ gehören auch zum Sortiment. Rund 70 große Glashäfen mit getrockneten Kräutern für Tee und Aufgüsse stehen im Regal. Claus-Carsten Quast bezieht Kamille, Johanniskraut und andere Heilpflanzen im Handel. Als Junge musste er die Kräuter noch in der Feldmark sammeln: „Das war mühsam.“
Trotzdem erinnert er sich an eine herrliche Kindheit. „Die Schule lag nur hundert Meter entfernt, ich hatte jede Menge Spielkameraden. Wir übten Weitspringen über Gräben, badeten im Sommer in der Alten Süderelbe, im Winter liefen wir dort Schlittschuh.“ Claus-Carsten Quast ist ein Naturbursche geblieben. In der Freizeit ist er am liebsten im Paddelboot auf Elbe und Este unterwegs. „Das ist für mich wie Urlaub. Im Sommer gehe ich nach Ladenschluss mal eben für zwei, drei Stunden aufs Wasser.“
Man kennt sich in Neuenfelde. Die Gemeinde, die seit 1937 zu Hamburg gehört, ist der am dünnsten besiedelte Stadtteil. Das läge nicht etwa daran, dass nur wenige Menschen dort wohnen wollten, meint Quast. Sondern daran, dass es Baugenehmigungen nur für privilegierte Grundbesitzer gäbe. „Viele, die gern bleiben wollten, konnten nicht, weil es keinen Wohnraum für sie gab. Das war schon früher so und hat sich nicht geändert. Deshalb ist Neuenfelde nicht gewachsen, während das einstige Kuhdorf Neu Wulmstorf binnen weniger Jahrzehnte zur Stadt geworden ist. Ich weiß nicht, welches politische Ziel dahinter steckt.“
Auch, dass die zahlreichen Häuser, die die Stadt einst im Umfeld der Startbahn des Airbus-Werks erwarb, um Klagen gegen die Verlängerung zu verhindern, bis heute leer stehen, begreift er nicht. „Mindestens einige davon könnte man doch für Asylbewerber nutzen.“ Er habe den Flüchtlingsbeauftragten darauf angesprochen. Passiert sei nichts. Stattdessen werden im Februar 400 heimatvertriebene Syrer in Wohncontainern untergebracht.
Der Ort hat bereits Erfahrung mit der Zuwanderung von Fremden. In den Wirtschaftswunder-Jahren hatte die traditionsreiche Sietas-Werft viele türkische Gastarbeiter eingestellt. Bald zogen die Familien nach. Neuenfelde gehört zu den Stadtteilen mit dem höchsten Migranten-Anteil. Etwa ein Viertel der Bevölkerung hat türkische Wurzeln. Es gab in Neuenfelde Viertel, die „Klein Istanbul“ und „Klein Ankara“ genannt wurden. Dennoch: Das Zusammenleben klappt.
„Vier der besten Freunde meines Sohnes sind Türken. Eine kinderlose Neuenfelderin hat zwei türkische Jungs adoptiert. Ich finde, Neuenfelde ist ein Beispiel gelungener Integration. Das liegt auch an unseren beiden hervorragenden Kindergärten und der guten Gemeinde- und Vereinsarbeit.“
Kaum zu glauben, aber wahr: Der kleine Ort zählt rund 50 gut vernetzte Vereine und Institutionen. Es gibt plattdeutsche Theateraufführungen, Musikabende und Erntefeste mit großem Umzug, teilweise in Tracht. „Mir gefällt, dass Neuenfelde einen großen Teil seiner Authentizität behalten hat. Und dass man nicht nur über, sonder auch miteinander spricht und fürsorglich auf einander achtet“, sagt Claus-Carsten Quast, der selbst im Kirchenvorstand aktiv ist.
Die Neuenfelder Kirche mit dem wertvollen Instrument des berühmten Orgelbaumeisters Arp-Schnitger und die Konzertabende sind Attraktionen, die viele Tagesbesucher anziehen. Urlauber dagegen kommen kaum nach Neuenfelde, obwohl der Ort noch etliche schöne Bauernhäuser aufzuweisen hat. Etwa den Obsthof „Puurten Quast“, benannt nach der prächtigen Pforte, niederdeutsch Puurte. Im Strohdachhaus mit der aufwändig dekorierten Fassade an der Nincoper Straße ist Claus-Carstens Großvater aufgewachsen. Heute ist in dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude ein Café untergebracht. „Neuenfelde hat noch tolle Gasthöfe und urige Kneipen, auch das trägt zur Lebensqualität bei“, sagt der Drogist.
Obwohl es kaum Tourismus gibt, ist die Zimmervermietung in Neuenfelde ein einträgliches Neben-Geschäft vieler Bauern. Die Räume werden von vielen Hamburger Arbeitnehmern genutzt, die von weit außerhalb kommen. Oft aus Osteuropa, wie Quast weiß. Die Mieten in Neuenfelde sind vergleichsweise günstig, die Verkehrsanbindung zur Hamburger City, nach Buxtehude oder Stade mit Nahverkehrsmitteln gut: „Man kann mit dem Bus durch den Elbtunnel nach Altona, zur S-Bahn Neugraben oder zum Fähranleger Finkenwerder fahren. Das ist billig und vor allem stressfrei.“
Stressfrei ist auch Claus-Carsten Quasts Verhältnis zum Flugverkehr. „Ich finde nicht, dass der Fluglärm eine Belastung darstellt. Das ist doch schließlich nur ein verhältnismäßig selten frequentierter Werksflughafen.“ Und von den Arbeitsplätzen profitierten auch etliche Neuenfelder.