Neu Wulmstorf/Rosengarten/Buchholz/Tostedt. Die vielen Ehrenamtlichen sind in der Flüchtlingshilfe unverzichtbar. Doch wer hilft ihnen, wenn sie überlastet sind?

Als Angela Hartlage, 53, vor einigen Monaten entschied, Flüchtlingenin Tötensen Deutsch beizubringen, war nicht absehbar, was alles auf sie zukommt. Dass sie es auch mit Analphabeten zu tun hat. Dass sie sich mit den Sorgen junger Männer um ihre Familien auseinander setzen muss. Dass sie es ist, die Ratschläge erteilt, wenn ein junger Asylsuchender operiert werden muss. „Wenn man mit den Flüchtlingen regelmäßig arbeitet, entsteht automatisch eine Vertrauensbasis. Da ist klar, dass sie uns um Hilfe bitten“, sagt Angela Hartlage, die das ehrenamtliche Engagementneben ihren Beruf als Erzieherin leistet. Sie ist nicht nur Deutschlehrerin, sie ist auch Beraterin und Betreuerin der Flüchtlinge in vielen Lebenssituationen.

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Neues Zuhause für drei Flüchtlinge in Lüneburger Internat

Die syrische Familie mit dem 20-jährigen Abdel (l-r), dem 48-jährigen Vater Abdel und dem 10-jährigen Ahmed üben zusammen mit der Internatsmitarbeiterin und Dolmetscherin Rana Raslan-Alaoui am Deutsch
Die syrische Familie mit dem 20-jährigen Abdel (l-r), dem 48-jährigen Vater Abdel und dem 10-jährigen Ahmed üben zusammen mit der Internatsmitarbeiterin und Dolmetscherin Rana Raslan-Alaoui am Deutsch © dpa | Philipp Schulze
Die Schüler Gülara (l-r), Michelle, Tobias und der Abdel aus Syrien lernen in Dahlem auf dem Gelände des Internatsgymnasium Marienau zusammen Deutsch
Die Schüler Gülara (l-r), Michelle, Tobias und der Abdel aus Syrien lernen in Dahlem auf dem Gelände des Internatsgymnasium Marienau zusammen Deutsch © dpa | Philipp Schulze
Der 10-jährige Ahmed aus Syrien posiert in Dahlem (Niedersachsen) auf dem Gelände des Internatsgymnasium Marienau
Der 10-jährige Ahmed aus Syrien posiert in Dahlem (Niedersachsen) auf dem Gelände des Internatsgymnasium Marienau © dpa | Philipp Schulze
An einer Lampe in der Wohnung einer Flüchtlingsfamilie klebt ein Zettel mit der Aufschrift „die Lampe“ und der Übersetzung auf Arabisch Drei Flüchtlinge einer Familie aus Syrien hat das Internatsgymnasium im Landkreis Lüneburg aufgenommen
An einer Lampe in der Wohnung einer Flüchtlingsfamilie klebt ein Zettel mit der Aufschrift „die Lampe“ und der Übersetzung auf Arabisch Drei Flüchtlinge einer Familie aus Syrien hat das Internatsgymnasium im Landkreis Lüneburg aufgenommen © dpa | Philipp Schulze
Die Schulleiterin Heike Elz vom Internatsgymnasium Marienau in Dahlem (Niedersachsen). Die Schüler und das Kollegium hatten sich unter dem Motto „Wir wollen selbst aktiv werden“ dafür eingesetzt
Die Schulleiterin Heike Elz vom Internatsgymnasium Marienau in Dahlem (Niedersachsen). Die Schüler und das Kollegium hatten sich unter dem Motto „Wir wollen selbst aktiv werden“ dafür eingesetzt © dpa | Philipp Schulze
Die syrische Familie mit dem 20-jährigen Abdel (l-r), dem 10-jährige Ahmed und dem 48-jährigen Vater Abdel auf dem Gelände des Internatsgymnasium Marienau
Die syrische Familie mit dem 20-jährigen Abdel (l-r), dem 10-jährige Ahmed und dem 48-jährigen Vater Abdel auf dem Gelände des Internatsgymnasium Marienau © dpa | Philipp Schulze
Die syrische Familie beim Spaziergang auf dem Internatsgelände
Die syrische Familie beim Spaziergang auf dem Internatsgelände © dpa | Philipp Schulze
Der 10-jährige Ahmed aus Syrien probt in Dahlem mit Schülern des Internatsgymnasium Marienau für ein Theaterstück
Der 10-jährige Ahmed aus Syrien probt in Dahlem mit Schülern des Internatsgymnasium Marienau für ein Theaterstück © dpa | Philipp Schulze
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in der Flüchtlingsarbeit geworden. Ohne sie geht nichts mehr. Das heißt aber auch: Ausgerechnet das Erlernen der Sprache – der Schlüssel zur Integration – hängt am Engagement der Ehrenamtlichen. Das Buchholzer Bündnis für Flüchtlinge fordert daher seit langem eine flächendeckende Sprachförderung für jeden Flüchtling, damit die Asylsuchenden die deutsche Sprache in den Monaten lernen, in denen sie zum Nichtstun verdammt sind. „Das Angebot sollte es direkt nach der Ankunft der Flüchtlinge geben“, sagt Ute Schui-Eberhart, ehemalige Flüchtlingsbeauftragte und jetzige Koordinatorin des Buchholzer Bündnisses für Flüchtlinge.

Bislang ist der Landkreis Harburg weit von einem solchen flächendeckenden Sprachangebot entfernt. Zwar hat der Kreis in Zusammenarbeit mit der Kreisvolkshochschule Willkommenskurse aufgesetzt und investiert dafür 70.000 Euro pro Jahr. Doch damit können gerade mal zwei Kurse pro Gemeinde finanziert werden. „Das reicht nicht aus“, räumt Johannes Freudewald, Pressesprecher des Landkreises Harburg, ein. Immer lauter verlangten daher die Ehrenamtlichen in den vergangenen Wochen nach einer Erhöhung des Budgets, um das Kursangebot auszuweiten.

Ob das trotz der angespannten Finanzlage des Landkreises möglich ist, sollten die Haushaltsplanberatungen klären. Doch jetzt kann der Landkreis offenbar mit Hilfe von Landeszuschüssen mehr Sprachkurse anbieten. Zwar hat der Kreis noch keine offizielle Zusage erhalten, aber die Verwaltung rechnet damit, dass das Land Niedersachsen den beantragten Zuschuss von 178.000 Euro bewilligt. In 200 Stunden könnten sich dann die Asylsuchenden mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut machen. Mit dem Geld könnte der Kreis 21 Sprachkurse à 20 Personen anbieten.

Eine weitere Lücke hat sich in den vergangenen Monaten in der Flüchtlingsarbeit aufgetan: die fehlende Begleitung Ehrenamtlicher. Immer wieder werden die freiwilligen Helfer mit dem Leid, den Folgen der Flucht, den Sorgen der Männer um ihre Frauen und Kinder in der Heimat konfrontiert. Wie gehen sie damit um? Und halten sie das aus? Die Flüchtlingskoordinatorin Schui-Eberhart ist skeptisch. „Wir brauchen eine Weiterbildung für Ehrenamtliche in der interkulturellen Kompetenz, eine Einführung für jeden, der sich ehrenamtlich engagieren will, damit er weiß, mit welchen Menschen er es zu tun hat und mit welchen Problemen die Flüchtlinge nach Deutschland kommen“, sagt sie.

Auch so etwas gibt es nur in Ansätzen. Das Diakonische Werk bietet zwar in Zusammenarbeit mit der Arbeiterwohlfahrt seit September 2014 Kurse für Ehrenamtliche, die im Landkreis Harburg in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, an, aber das deckt bei weitem nicht den Bedarf. Insgesamt gab es bislang 16 Veranstaltungen im Landkreis, an denen 400 Ehrenamtliche teilgenommen haben (siehe Informationskasten). Zu wenig angesichts der hohen Zahl der freiwilligen Helfer. Allein das Bündnis für Flüchtlinge in Buchholz hat auf dem Stadtfest auf einen Schlag 50 neue Ehrenamtliche gewonnen. Lobenswerter Einsatz, der aber auch begleitet werden muss. „Manche Helfer sind emotional überfordert vom Elend, das sie erleben“, sagt Schui-Eberhart.

Ähnliche Erfahrungen hat Pastor Gerald Meier, der stark in der Flüchtlingsarbeit in Tostedt involviert ist, gemacht. Das Thema Überforderung begleitete das Tostedter Flüchtlingsnetzwerk von Anfang an. „Sie entsteht dann, wenn sich die Ehrenamtlichen zu sehr auf das Schicksal der Flüchtlinge einlassen und merken, dass sie an der grundsätzlichen Situation der unsicheren Zukunft nichts ändern können“, sagt Meier. „Je mehr Anteil man nimmt, desto höher die Gefahr der eigenen Überforderung. Man kann sich nicht wirklich distanzieren.“ Mit Neueinsteigern stehen die Koordinatoren in Tostedt deshalb regelmäßig in Kontakt, um Überlastungen vorzubeugen. Jede Woche treffen sich die Freiwilligen außerdem in einem offenen Kreis zum Austausch – eine Möglichkeit, Frust loszuwerden, sich auszuweinen.

Die erfahrenen Ehrenamtlichen und Koordinatoren sind das Rückgrat der Freiwilligen, die in der Flüchtlingsarbeit Neuland betreten. Kaum einer weiß das besser als Dirk Westermann, Zugführer vom Wasserrettungszug der DLRG im Landkreis Harburg, der seit 1985 in der Katastrophenhilfe tätig ist. Er ist in Großschadenslagen zuhause. Bereits zweimal wurden Westermann und seine rund 50 Kameraden des DLRG-Wasserrettungszugs aus Buchholz, Elbmarsch, Neu Wulmstorf, Seevetal, Tostedt und Winsen für Einsätze im Flüchtlingscamp Oerbke in der Lüneburger Heide alarmiert, um Transport- und Logistikaufgaben zu übernehmen, um Zeltheizungen aufzubauen sowie in der Essens- und Kleidungsausgabe zu unterstützen.

Zu Westermanns Aufgaben zählte auch, die hunderte privaten Freiwilligen, mit denen die DLRG-Mitglieder Hand in Hand arbeiteten, zu steuern. „An einem Tag drängten 600 Flüchtlinge in die Kleiderausgabe. Bei so vielen Menschen kommt es auf eine gute Koordination an und vor allem darauf, Ruhe zu bewahren“, sagt Westermann. Und manchmal gehört auch dazu, die Freiwilligen in ihrer Hilfseuphorie zu bremsen. Einige wollten den Flüchtlingen als Shoppinghilfe zur Seite stehen, sie bei der Auswahl der Kleidung von Stand zu Stand begleiten. „Das kann man bei so einer großen Zahl an Flüchtlingen nicht leisten“, weiß Westermann.

Trotz der Herausforderungen, Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten, mit denen die Ehrenamtlichen zu kämpfen haben, trotz anhaltend steigenden Flüchtlingszahlen, reißt das Engagement nicht ab. „Wir bekommen immer wieder Anfragen von hilfsbereiten Tostedtern“, sagt Pastor Gerald Meier. Er bewertet die Flüchtlingshilfe nach wie vor positiv. Ähnliches ist aus der Gemeinde Rosengarten zu hören. Keiner der mehr als 30 Helfer ist abgesprungen.

Auch Angela Hartlage denkt nicht daran, den Deutschunterricht aufzugeben. Die größte Bestätigung für sie und die anderen Kollegen in der Sprachförderung sind die Fortschritte der Flüchtlinge. „Bei vielen hat es Klick gemacht. Sie merken, dass sie hier nur dann weiterkommen, wenn sie Deutsch lernen“, sagt Angela Hartlage. Einige der Asylbewerber in Tötensen beherrschen die Sprache inzwischen so gut, dass sie Praktikumsplätze im Handwerk und in der Gastronomie ergattern konnten. Den schönsten Beweis für die erfolgreiche Arbeit aber lieferte Mohammad Jaffari aus Iran: Ein langgezogenes „Mooooiin“ zur Begrüßung.