Harburg. . Wie behindertenfreundlich ist der Stadtteil? Vieles hat sich verbessert, sagt Axel Schnell, Rollstuhlfahrer seit 22 Jahren. Doch manchmal stößt er an Grenzen.
Kurz die Treppen hoch oder runter, mit der S-Bahn in die Stadt, mal eben Geld vom Bankautomaten holen – alles ein Kinderspiel. Eigentlich. Es sei denn, man sitzt im Rollstuhl. So wie rund etwa 1,5 Millionen Menschen in Deutschland. So wie Axel Schnell.
Axel Schnell lebt in Rönneburg. Schon seit 1993 ist der 51-Jährige auf einen Rollstuhl angewiesen. Der Grund dafür ist die Krankheit Muskeldystrophie, eine schwere Muskelerkrankung, die Schnell stark in seinen Bewegungsmöglichkeiten einschränkt.
Ein Leben im Rollstuhl, wie lebt sich das? Wir haben Axel Schnell einen Tag lang durch Harburg begleitet und uns von ihm, dem Experten, zeigen lassen, wie behindertenfreundlich der Stadtteil ist. Oder auch nicht.
Los geht es mit dem Bus Richtung Harburg Bahnhof. Alleine einsteigen kann der ehemalige Bankangestellte nicht. Der Fahrer muss aussteigen und eine Bodenklappe öffnen, damit Schnell mit seinem elektrischen Rollstuhl die Rampe zum Bus hochfahren kann.
Drinnen gibt es einen Knopf für Rollstuhlfahrer. Kurz vor der gewünschten Haltestelle muss er gedrückt werden. Dann weiß der Busfahrer sofort, dass sein Passagier aussteigen will. Das klappt.
Mit der S-Bahn fährt Axel Schnell eher ungern. Und wenn, dann nur mit einer Begleitperson. Warum? „An vielen Stationen, wie in Harburg oder Harburg Rathaus, ist es für uns Rollstuhlfahrer unmöglich, ohne Hilfe in die Bahn zu steigen. Man fühlt sich abhängig.“
Ein Gefühl, das Schnell verständlicherweise nicht sehr schätzt. Doch dass irgendwann die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante durch wie auch immer geartete technische Hilfsmittel schmaler wird, ist eher unwahrscheinlich: Ein altbekanntes Problem. Eher neu auf Schnells Liste der schwer zu erreichenden Orte: Seine Bank. Vor einiger Zeit hat seine Filiale geschlossen. Die neue Anlaufstelle ist nicht barrierefrei. „Trotzdem sind die Mitarbeiter sehr freundlich. Sie machen jeden Service möglich, auch wenn ich nicht in den oberen Teil der Bank gelange“, sagt der Rönneburger.
Die Hamburgische Bauordnung HBauO regelt das „barrierefreie Bauen“ so, dass der Alltag für Menschen mit Behinderung nach Möglichkeit vereinfacht wird. So müssen Gebäude, die öffentlich zugänglich sind, Kultureinrichtungen und Bildungsstätten, Freizeiteinrichtungen sowie Gasthäuser und Toilettenanlagen barrierefrei erreichbar sein und ohne fremde Hilfe genutzt werden können.
Ein gutes Vorbild ist laut Axel Schnell der Speicher am Kaufhauskanal. Das denkmalgeschützte Gebäude das „Kultur für alle“ bietet ist tatsächlich auch für alle erreichbar. Schöne Folge: Auch Rollstuhlfahrer Schnell kommt gerne her, um die Auftritte verschiedenster Künstler zu genießen.
Zusätzlich zu der Hamburgischen Bauordnung gibt es Planungsrichtlinien für Stadtstraßen, die Barrierefreiheit gemäß EU-Norm vorschreiben. In Harburg habe sich in dieser Richtung viel getan, sagt Schnell. Zum Beispiel?
Fast sämtliche Ampelanlagen wurden in den vergangenen Jahren vom Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer mit akustischen Signalen ausgestattet.
Mittel der Bezirksversammlung Harburg in Höhe von circa 174.000 Euro wurden verwendet, um Barrierefreiheit herzustellen. Das Geld wurde zum Beispiel für Bordsteinabsenkungen und den Umbau einer Reihenhauserschließung im Bereich Seestücken von einer Stufenanlage zur Rampe genutzt. Die StadtRad-Stationen werden ebenso wie die Querungshilfen in der Moorstraße im Zuge des Umbaus der Radwege mit „taktilen Elementen“, ausgestattet, die blinden Menschen helfen, sich zurecht zu finden.
Zudem wurden bereits viele neue Behindertenparkplätze geschaffen, unter anderem am Ernst-Bergeest-Weg und Am Centrumshaus. Auch auf Spielplätzen werden Spielgeräte aufgebaut, die von behinderten Kinder genutzt werden können. Bereits vor Jahren hat die Nord-Süd-Verbindung im Stadtpark vom Midsommerland bis zum Frankenberg einen teilgepflasterten Weg für Rollstuhlfahrer erhalten.
Axel Schnell fährt nun nach Heimfeld. Und schaut recht zufrieden. Am Aufzug zur S-Bahn vor der Pauluskirche wurde Kleinpflaster gegen einen ebeneren Plattenbelag ausgetauscht.
In Harburg aus der Bahn ausgestiegen, möchte Axel Schnell hoch zu den Bussen. Mit zwei Fahrstühlen und einem Umweg von einigen Minuten ist der Weg geschafft, doch der Bus ist gerade abgefahren.
„Hier ist ein weiterer Fahrstuhl in Arbeit, denn einen direkten Weg von der S-Bahn nach oben, den gibt es bisher nicht“, bestätigt der Vorstandssprecher der „Behinderten Arbeitsgemeinschaft“ (BAG) Harburg, Andreas Schmelt.
Ende diesen Jahres soll der Bau des Fahrstuhls beendet sein. Zum Glück. Doch: Es gibt auch Fälle, in denen Fahrstühle vorhanden sind, Rollstuhlfahrer aber trotzdem nicht an ihr Ziel kommen. Über einen ärgert sich Schnell besonders.
Vor kurzem ist sein Hautarzt umgezogen. Das Gebäude am Harburger Rathausplatz, in das die Praxis zog, verfügt sogar über einen speziellen Behindertenfahrstuhl. „Doch niemand in der Praxis scheint einen Schlüssel zu haben, um den Fahrstuhl zu bedienen“, sagt Axel Schnell. Der 51 Jährige ist verwirrt. Das Abendblatt hat nachgefragt. Alle zuständigen Ärzte, die eine Aussage dazu machen könnten, seien im Urlaub, heißt es.
Im Haus wird mitgeteilt, dass die Hautarztpraxis sich nicht an den Kosten für den Fahrstuhl habe beteiligen wollen. Schnell und seine ebenfalls auf den Rollstuhl angewiesene Ehefrau sind enttäuscht: „Es macht uns traurig so etwas zu hören. Wir fühlen uns ausgeladen. Nun müssen wir eine neue Praxis suchen.“
„Vieles hat sich verbessert und wir arbeiten hart daran, weitere Verbesserungen anzumahnen. Eine Gleichheit wird aber nie möglich sein“, sagt BAG-Vorstand Schmelt.