Eißendorf . Heute, in Teil 6 der Abendblatt-Stadtteil-Serie, stellt uns Bäckermeister Anton Rutterschmidt „sein“ persönliches Eißendorf vor.

Was sein Stadtteil für ihn bedeutet? Anton Rutterschmidt lässt sich seufzend auf den Bistrostuhl fallen, legt die Hände um die Kaffeetasse und richtet den Blick nachdenklich auf die hohe Regalwand mit unzähligen transparenten Tüten. Hier stapelt sich Gebäck in allen Variationen. „Eißendorf“, sagt der Inhaber der Konditorei und Bäckerei Janeke schließlich, „löst in mir ein Gefühl der Wärme aus.“

Rutterschmidts neueste Kreation? Eißendorfer Kirschtorte

Diese Assoziation ist nur zum Teil der molligen Backstube geschuldet, in der er schon seit Morgengrauen gestanden hat, um wie an jedem Tag der Woche Brot und Brötchen zu backen und sündhaft leckere Verführungen aus Frucht und Sahne herzustellen. Seine neueste Kreation heißt „Eißendorfer Kirschtorte“. Der Name ist eine Hommage an Rutterschmidts Heimat, die seit Kindertagen sein Herz wärmt.

„Als ich als kleiner Junge hierher kam, bin ich sehr herzlich aufgenommen worden. Ich hatte sofort viele Freunde“, erinnert sich der 59-Jährige. Die ersten Lebensjahre hatte er in Neuland verbracht. Sein Vater Antal, ein gebürtiger Ungar, dessen Familie es nach dem Zweiten Weltkrieg nach Harburg verschlagen hatte, arbeitete damals im Betonwerk.

Haus der Rutterschmidts wurde 1962 von der Sturmflut zerstört

Als das nahe der heutigen Autobahnabfahrt Harburg gelegene Haus der Rutterschmidts 1962 von der Sturmflut zerstört wurde, nutzte Antal die 6000 Mark Entschädigung für den Erwerb eines Kiosks an der Eißendorfer Straße und zog mit Frau und Kindern genau gegenüber des Ladens ein – in eines der Häuser neben der Bäckerei. Dass er später die Tochter des Konditors heiraten und aus diesem Grund ebenfalls Konditor werden würde, konnte Anton, damals Grundschüler, freilich nicht ahnen.

Dabei kannte er das um sechs Jahre jüngere Nachbarskind durchaus, mochte und beschützte das Mädchen. „Wenn sie zum Obst- und Gemüseladen der Familie Wiechers gegenüber einkaufen ging, habe ich sie immer an die Hand genommen und über die Straße gebracht. Dabei fuhren ja kaum Autos.“ Die Dinge des täglichen Lebens bekam man damals in unmittelbarer Nähe: „Es gab den Milchmann, wo man die Milch noch in Flaschen oder Metallkannen holte und außer Janeke noch drei weitere Bäckereien in der Nähe: Wendt, Hose und Böhm. Und da waren einige Kioske. Die liefen damals in der Regel sehr gut.“

Anton Rutterschmidts Eltern hatten ihren Kiosk von früh um sechs bis abends zehn Uhr geöffnet, auch am Wochenende. Die Mühe zahlte sich aus. „Bereits 1966 hatten sie so viel Geld verdient, dass sie sich ein Haus bauen konnten.“ Sie erwarben ein Grundstück im vergleichsweise wohlhabenden und grünen Süden Eißendorfs, der anders als der von Mietskasernen geprägte Nordteil von Einzelbebauung dominiert ist.

Heute verbringt sein Sohn die Pausen auf dem gleichen Scuhlhof wie er

Keiner seiner damaligen Freunde sei wie er selbst in einem Eigenheim groß geworden, meint Anton Rutterschmidt. „Ich habe meine Jugendjahre sorglos und behütet am Blaumeisenweg verbracht, in einer Nebenstraße des Hainholzweg. Und zwar im Bungalow!“ Ein eingeschossiger Flachdachbau galt damals als der architektonisch „letzte Schrei“ und als Ausdruck von Wohlstand und Moderne.

Als Grundschüler besuchte er die Katholische Schule an der Julius-Ludowieg-Straße. Heute verbringt sein Sohn als Schüler des Niels-Stensen-Gymnasiums die Pausen auf dem gleichen Schulhof. „Übrigens besucht mein Sohn im Rahmen der Profil-Oberstufe auch Kurse an meinem ehemaligen Gymnasium, dem Friedrich-Ebert.“

Als Junge war ihm selbst die Freizeit oft wichtiger als die Schule. Er verbrachte seine Nachmittage und Wochenenden als christlicher Pfadfinder und Ministrant der Marienkirche oder spielte mit Freunden draußen. „Die Winter waren damals noch kalt. Dort, wo heute das Wirtschaftsgymnasium steht, rodelten wir von der Hoppenstedtstraße den steilen Hang hinab ins Göhlbachtal. Oder wir liefen Schlittschuh auf dem Ütschendiekteich.“

Nebenverdienste durch Übungsleiter-Lizenz für Kinderturnen

Anton war auch im Verein sportlich aktiv. Als Mitglied des HTB trainiert er Fußball auf dem Sportplatz Jahnhöhe, spielte sogar in der Hamburg-Auswahl. „Als ich 15 war, meinte mein Sportlehrer, ich wäre ein noch besserer Volleyballer. Da wechselte ich die Sportart und später auch den Verein. Mit den Wilhelmsburgern sind wir bis in die zweite Bundesliga aufgestiegen.“

Im Zuge seines Zivildienstes bei einem Sportverein hatte Rutterschmidt zudem eine Übungsleiter-Lizenz für Kinderturnen erworben – und verdiente sich etwas mit Kursen in der Turnhalle an der Baererstraße dazu.

Noch besserer Nebenverdienst bot sich ihm später in der Gaststätte „Eichenhöhe“. Die gehörte nämlich inzwischen seinen Eltern. „Den Kiosk führten dann Verwandte weiter, zuletzt meine Schwester Bärbel. Die hat den Kiosk meiner Eltern schließlich verkauft, um einen anderen Kiosk weiter unten an der Eißendorfer Straße zu übernehmen. Der ist größer und hat eine Lotto- und Toto-Annahmestelle.“

Vom Kioskbesitzer zum Gastronomen

Dass Antal Rutterschmidt Ende der 70er Jahre vom Kioskbesitzer zum Gastronomen aufstieg, hatte er seinem guten Ruf als Kaufmann und dem großen Engagement im Eißendorfer Schützenverein zu verdanken. „Die Schützen hatten dort damals ihr Domizil und als der vorige Besitzer die ‚Eichenhöhe‘ aufgeben wollte, fragte er als erstes meinen Vater, ob er das Lokal nicht weiter führen wolle.“

Natürlich wollte der. Die „Eichenhöhe“ hatte schließlich Potenzial. Allein schon durch ihren Saal, der bezüglich seiner Größe mit dem Spiegelsaal des Heimfelder Hotel „Lindtner“ konkurrieren konnte. Der Raum war an den Wochenenden stets für Feiern gebucht. Auch festliche Bälle wie der der Marinekameradschaft fanden damals in der „Eichenhöhe“ statt.

Aber selbst in der Woche war der Tanzsaal begehrt, und zwar von der damals erst in Entstehung begriffenen Technischen Universität Harburg. „Die hatte noch viel zu wenige Hörsäle. So vermietete mein Vater den Saal werktags für Vorlesungen. Und ich war dafür zuständig, jede Woche die Bestuhlung umzuräumen.“

Beim Schützenfest in der „Eichenhöhe“ hat Anton denn auch nach Jahren Iris wieder getroffen – und sich in sie verliebt. Mit der Entscheidung für die Frau war auch sein Ausbildungsweg vorgezeichnet: Konditorlehre bei seinem Schwiegervater in spé, Studium der Ernährungswissenschaft in Hamburg und – als die Übergabe des 1899 gegründeten Familienbetriebs an die nächste Generation anstand – die Meisterschule für das Bäckerhandwerk.

„Spazierengehen? Ich? Dazu habe ich keine Zeit!“

„Heute ist Janeke wohl in ganz Harburg die einzige Konditorei“, sagt Rutterschmidt. Dass sein Betrieb den Trend zur Industrialisierung des Backhandwerks überlebt hat, erfüllt ihn mit Stolz. Die Kunden kommen auch aus benachbarten Stadtteilen und sogar aus dem Landkreis. Übrigens: Auch wenn die „Eichenhöhe“ längst Geschichte ist und anstelle des einstigen Ausflugslokals ein Altenheim und Wohnblocks stehen – Rutterschmidts geschäftlichen Beziehungen zur TUHH haben sich erhalten. Die Bäckerei Janeke beliefert einzelne Fakultäten und auch den Kindergarten der Harburger Uni mit Backwaren.

Anton Rutterschmidt ist seiner wachsenden Familie wegen mehrfach umgezogen – „seinem“ Stadtteil ist er aber treu geblieben. Er wohnt jetzt am Ehestorfer Weg, ruhig in zweiter Reihe. Bis zum Eißendorfer Forst, dem großen Wald und Naherholungsgebiet mit Wanderwegen und Feuchtbiotopen ist es ein Katzensprung. „Spazierengehen, ich?“ Anton Rutterschmidt schaut verständnislos. „Dazu habe ich keine Zeit.“ Er schiebt die Kaffeetasse beiseite, steht vom Bistrotisch auf und taucht wieder ein in die Wärme seiner Backstube.