Sinstorf. Clown, Akrobat oder Seiltänzer: Beim Zirkusprojekt an der Schule Scheeßeler Kehre gewinnen Schüler Selbstvertrauen und Wertschätzung.

Dilara dreht sich. Langsam wird sie im Ringtrapez unter das Chapiteau gezogen. In 300 Kehlen stockt der Atem, während Dilara langsam rotierend kopfüber in die Menge blickt. 600 Hände klatschen. Dilara wird wieder in die Manege abgesenkt. Sie genießt ihren Applaus. Den hat sie nicht jeden Tag, denn Dilara ist keine Artistin, sondern besucht „hauptberuflich“ die vierte Klasse der Grundschule Scheeßeler Kehre.

Dort herrscht kurz vor den Ferien in der Projektwoche großer Zirkus. Schulleiterin Helga Kedenburg hat sich deshalb professionelle Hilfe geholt: Artistenfamilie Hein ist mit dem Mitmachzirkus „Blubber“ nach Sinstorf gekommen, um den Schülern Kunststücke beizubringen und ihnen zu zeigen, wie man diese richtig präsentiert.

Jedes Kind kommt zu seinem großen Auftritt

Alle gut 330 Schülerinnen und Schüler, von der Vorschule bis zur vierten Klasse, machten mit. Damit so viele Kinder in eine Show passen, wurden sie in drei Vorstellungen aufgeteilt. So kam jedes Kind zu seinem eigenen großen Auftritt als Jongleur, Akrobat, Seiltänzer, Ringartist, Clown, Schwertzauberpirat, Hundedompteursassistent oder Schwarzlichtmagier.

Jede einzelne Artistikdisziplin im Mitmachzirkus „Blubber“ hat einen spezialisierten Trainer oder Trainerin. Alle sind selbst Artisten. „Wir haben den Mitmachzirkus vor zehn Jahren als zweites Standbein gegründet, aber mittlerweile ist er eine eigene Firma“, sagt Gabriele Hein, Matriarchin des Familienunternehmens, das hinter dem Mitmachzirkus steht. Die Heins sind eine Zirkusdynastie, die in sechster Generation in der Manege steht und die siebte schon langsam heranführt. Die Familie ist tief in die Zirkuswelt hinein verzweigt. Gabriele Heins Neffen sind im vergangenen Jahr mit einem silbernen Bären vom internationalen Nachwuchs-Zirkusfestival in Monte Carlo nach Hause gekommen. Damit sind sie quasi Juniorartistenvizeweltmeister, denn die Bären von Monte Carlo sind die weltweit höchsten Auszeichnungen der Branche. „Wir haben das Prinzip Mitmachzirkus nicht erfunden und wir wollten es damals auch nur mal ausprobieren, aber wir haben festgestellt, dass es seinen eigenen Reiz hat, mit Schulkindern zu arbeiten“, sagt Gabriele Hein. „Kinder im Publikum sind heutzutage immer schwerer zu begeistern und bei der Stange zu halten. Aber wenn sie selbst mitmachen, ist das ganz anders. Das macht Spaß!“

„Ich bin jedes Mal begeistert, wie viel positive Auswirkungen das Zirkustraining auf das Schulleben und auf die einzelnen Kinder hat“

Dennoch wollen die Heins das richtige Zirkusleben nicht missen. Wenn sie heute in Sinstorf abbauen, gehen sie mit ihrem anderen Zirkus „Malford“ auf Sommertournee durch Brandenburg.

An die Scheeßeler Kehre kehren sie frühestens in drei oder vier Jahren zurück. Die Grundschule plant die Zirkusprojektwochen so, dass jedes Kind einmal in seiner Schullaufbahn an einem Zirkusprojekt teilgenommen hat. Dies ist bereits das zweite Mal, dass so eine Projektwoche stattgefunden hat.

„Ich bin jedes Mal begeistert, wie viel positive Auswirkungen das Zirkustraining auf das Schulleben und auf die einzelnen Kinder hat“, sagt Schulleiterin Helga Kedenburg. „Bei den Vorstellungen jetzt habe ich bei jeder Nummer erlebt, wie gut die Kinder aufeinander geachtet und sich oft auch gegenseitig geholfen haben. Und ich habe gesehen, wie Kinder, die in der Klasse eher durch geringe Aufmerksamkeit auffallen, hier ganz konzentriert bei der Sache waren und auch in sich ruhten. So gewinnen sie nicht nur Selbstvertrauen, sondern erfahren auch mehr Wertschätzung in der Gruppe. Nach dem letzten Zirkusprojekt vor drei Jahren konnten wir beobachten, wie sich diese Effekte noch auf die folgenden Schuljahre ausgewirkt haben.“

Zweimal dreht sich das Ringtrapez noch. Dann bremst Trainerin Laureen Hein das Gerät sanft ab. Dilara setzt sich auf und streckt ein Bein nach unten. Der Ring wird noch etwas abgesenkt, dann kann Dilara absteigen. Tusch. Applaus. Verbeugung Abgang. Diesen Moment nimmt sie mit.