Neuenfelde. Jährlich dürfen drei Grundschulklassen aus Süderelbe die Apfelschule auf dem Öko-Obsthof Quast Neuenfelde durchlaufen – und durchfahren.
Das Erste, was die Zweitklässler der Grundschule An der Haake beim Betreten des Obsthofes Quast entdecken, ist der Apfelexpress. Die kleine rote Kubota-Zugmaschine mit den vier großen Holzstiegen auf Rädern im Schlepptau wirkt wie ein Magnet auf die Jungen und Mädchen. Staunend haben sie den Minizug in Windeseile umringt. Und wären wohl gleich eingestiegen, hätte Iris Freyer der Inbesitznahme nicht bestimmt Einhalt geboten. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, das gilt natürlich auch in der Apfelschule.
Aktuell stehen 70.000 Apfelbäume auf dem Öko-Obsthof Quast
Seit vielen Jahren lädt Öko-Obstbauer Heinrich Quast Schulklassen auf seinen Hof im Alten Land ein. Dort stehen Apfelbäume, so weit das Auge reicht. Aktuell sind es 70.000, vornehmlich der Sorten Elstar, Jonagold, Jonagored und Holsteiner Cox. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese unmittelbare Naturerfahrung vor allem bei den Stadtkindern sehr gut ankommt. Hier können sie hautnah erleben, wie Äpfel wachsen. Und sie erhalten die Möglichkeit, ihren eigenen Apfelsaft zu produzieren“, sagt Quast.
Das Konzept kommt an. Zwar wirken die Schüler der 2 A beim Einführungsgespräch vor einer Leichtbauhalle angesichts eines großen grünen Traktors und des drolligen Hofhunds nicht 100-prozentig fokussiert. Dennoch vermag Iris Freyer, eine gelernte Landwirtin, einige Fakten über des Deutschen liebstes Obst zu vermitteln. So erfahren die Schüler auch, warum sie in regelmäßigen Abständen immer wieder Schüsse hören können. Und dass da nicht etwa Bauern Jagd auf Wildschweine machen, sondern eine Knallmaschine die Kirschen vor allzu naschhaften Vögeln bewahrt.
Mit dem Apfelexpress geht es durch endlos lange Apfelbaumreihen
Nicht zu halten sind die Zweitklässler aber, als sie endlich den Apfelexpress besteigen dürfen. Mit ihm geht es durch die schier endlos langen Reihen von Apfelbäumen. Unterwegs zeigt Iris Freyer „verschlafene“ weiße und pinkfarbene Blüten, die noch an einzelnen Bäumen zu sehen sind. Gemeinsam kommen die Schüler verschiedenen Fruchtständen auf die Spur, passieren zwei gewaltige Windräder und gelangen irgendwann ans andere Ende des Obstreiches von Bauer Quast. Auf den letzten 100 Metern zurück zum Hof kommt es schließlich zu einem packenden Wettlauf mit dem Apfelexpress. Das zumindest eine Gruppe flinker Jungs klar gewinnt.
Zum Abschluss können die Neuwiedenthaler Kinder noch ihren eigenen Apfelsaft pressen. Auf großen Holzstiegen werden die Äpfel erst geviertelt, dann gehäckselt und schließlich mit einer großen, gelben Handpresse entsaftet. Jeder darf mal den hölzernen Knebel kreisen lassen. Als der gelbe Nektar endlich fließt, sind Stolz und Freude groß. „Schmeckt total lecker“, schwärmt Lena und leckt sich genüsslich die Lippen. Und Tuncay findet, dass sich die Mühe doch wirklich gelohnt habe.
„Wir hatten das Thema Apfel schon mal in der ersten Klasse, doch das hier ist etwas ganz anderes. Ich denke, durch den praktischen Bezug wird viel mehr hängen bleiben“, sagt Lehrerin Magdalena Strohschein. Ihr Kollege Christian Trilk ist überzeugt, dass sich die Kinder noch lange an diesen Tag erinnern werden: „Auch deshalb, weil sie mal rausgekommen sind aus ihrem Kiez, etwas anderes gesehen und erlebt haben als in ihrem Alltag.“
Projekt wurde 2014 mit Harburger Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet
Pro Jahr bekommen drei Klassen die Gelegenheit, Teil dieses Projekts zu werden. Ende vergangenen Jahres ist es mit dem Harburger Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden ist. Warum im Supermarkt Äpfel aus Neuseeland, Australien oder Tirol kaufen, wenn sie gleich um die Ecke massenhaft wachsen? Das sagten sich 2009 Frauen des Stadtteilmarketings Neuwiedenthal, eines Zusammenschlusses von elf Wohnungsunternehmen und Baugenossenschaften. Gemeinsam fördern sie seit 2003 kulturelle und soziale Aktivitäten im Stadtteil.
Kinder spielen dabei eine besondere Rolle. In vielen Klassen liegt der Migrantenanteil inzwischen deutlich über 60 Prozent. Und auch der Anteil an bildungsfernen Elternhäusern ist beträchtlich. „In unserem Projekt Apfelschule lernen die Schüler auch viel über gesunde Ernährung und die Vorzüge ihres unmittelbaren Umfelds“, so Franziska Wellner .
Am 9. Oktober werden die drei Klassen noch einmal nach Neuenfelde zurückkehren. Beim großen Apfelfest dürfen die Schüler dann erneut frischen Apfelsaft herstellen und erhalten zum Abschluss ihr Apfeldiplom.