Wilhelmsburg. Hipster, wilde Gärtner und Veganer: Was die Nachfrage in Wilhelmsburgs einziger Buchhandlung über die Entwicklung auf den Elbinseln verrät.

Welche neuen Bevölkerungsgruppen haben seit der Internationalen Bauausstellung und der Internationalen Gartenschau vor zwei Jahren den Weg auf die Elbinseln gefunden? Erkenntnisse darüber liefert die veränderte Nachfrage in Wilhelmsburgs einziger Buchhandlung. Offenbar hat der urbane Hipster Wilhelmsburg als Lebensraum entdeckt. Menschen also, die ein aufgeklärtes und modebewusstes Anderssein kultivieren.

Nachfrage nach Anleitungen für das Kochen ohne tierische Zutaten gestiegen

„Wir führen so viele vegane Kochbücher wie noch nie“, sagt Detlef Lüdemann. Der 57-Jährige ist der Inhaber der gleichnamigen Buchhandlung in der Fährstraße. Im Jahr 1982 hat er sein Geschäft eröffnet, die bis heute einzige Buchhandlung auf den Elbinseln. Seit 1988 lebt Detlef Lüdemann, im Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg. Er kennt also die Zeit, als Hamburger nördlich der Elbe noch davor gewarnt haben, in Wilhelmsburg aus der S-Bahn zu steigen.

Die gestiegene Nachfrage nach Anleitungen für das Kochen ohne jegliche tierische Zutaten darf als Indiz gelten, dass Hipster in Wilhelmsburg heimisch geworden sind. Noch eindeutiger ist ein zweiter Hinweis: Uli Hannemanns Neuköllnroman „Hipster wird’s nicht“ verkauft sich gut in Wilhelmsburg. „Ein starker Titel bei uns, obwohl er in Berlin spielt“, sagt Detlef Lüdemann. Die Nachfrage nach diesem Roman drücke die Sehnsucht der Wilhelmsburger aus, einer Gentrifizierung wie im Schanzenviertel oder in Ottensen entgehen zu können. „Nicht Szeneviertel sein zu wollen, ist wichtig in Wilhelmsburg“, sagt der Buchhändler. Gleichzeitig sei aber der Wunsch nach höherer Lebensqualität vorhanden. Der Vergleich zum Schanzenviertel interessiert offenbar in Wilhelmsburg: Der Bildband „Schanze, 1980“ von Thomas Henning ist bei Lüdemann kein Ladenhüter.

Von Kräutern auf dem Balkon bis zu Kleingärten

Sein Angebot an Graphic Novels hat Detlef Lüdemann ausgebaut. Dass illustrierte Romane, anspruchsvolle Comics, mittlerweile gut nachgefragt sind, dürfte auf die vielen Studenten zurückgehen, die in Wilhelmsburg leben. „Wir haben heute Kunden, die uns Tipps geben und uns ermuntern, bestimmte Graphic Novels anzuschaffen“, sagt Detlef Lüdemann.

© Thomas Sulzyc | Thomas Sulzyc

An einem Thema der städtischen Avantgarde kommt auch die Wilhelmsburger Buchhandlung nicht herum: das Gärtnern in der Stadt, von Kräutern auf dem Balkon bis zu Kleingärten. „Es gibt mittlerweile viele junge Leute, die in Wilhelmsburg Schrebergärten gemietet haben“, hat der Buchhändler bemerkt. Früher hätten Arbeiter die Kleingartenkolonien dominiert und dafür gesorgt, dass die Hecken konsequent kurz gehalten wurden. Mittlerweile habe sich eine liberalere Schrebergartenkultur entwickelt. Heute kämen die Vorsitzenden der Gartenvereine nicht selten aus dem Angestelltenmilieu. „Sie dulden eine etwas wildere Form der Gärtnerei.“

Das Interesse am Stadtleben ist gestiegen

Etwa 8000 Titel führt Wilhelmsburgs einzige Buchhandlung. Einen immer größeren Platz nehmen heute die Großstadtkrimis ein. Geschichten über Orte, an denen Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturen aufeinandertreffen, passen gut nach Wilhelmsburg. „Das Interesse am Stadtleben und an der Vielfalt an Kulturen ist auch bei unseren Kunden gewachsen“, sagt Detlef Lüdemann. Vor zehn Jahren noch hätte er auch Dörte Hansens Bestseller „Altes Land“ nicht so gut verkauft. Ein Hinweis für den Buchhändler, dass sich die Leserschaft in Wilhelmsburg verändert hat. In der Geschichte, in der arrogante Städter auf selbstgefällige Ländler treffen, erkennen Neu- und Altwilhelmsburger offenbar viel von sich selbst.

Seit mehr als 30 Jahren erlebt Detlef Lüdemann die Entwicklung Wilhelmsburg hautnah. Was für Menschen werden seiner Meinung nach in die geplanten 4000 Wohnungen ziehen, die in dem Stadtteil entstehen sollen? Und wie werden sie Wilhelmsburg verändern? „Ich befürchte, dass wir ein stinknormaler Stadtteil werden“, sagt der Buchhändler. „Aber ich hoffe, dass so viele energiegeladene Menschen wie in den letzten Jahren hierher ziehen werden.“