Harburg . Gemeinsam mit der TUHH rüstet sich die Schützengilde für ihr großes Fest vor dem Rathaus. Fast alles ist in diesem Jahr neu.

Der „Eiserne Vogel“ wacht jetzt über dem Gildehaus. Wieder einmal. Seit 1952 markiert das Aufstecken des von Schlossermeister Friedrich Köhrmann geschaffenen und gestifteten Stahlkunstwerks den Beginn des Harburger Vogelschießens. Am vergangenen Montag hat Alexander Schmidt, der seit Jahrzehnten für die Instandhaltung und sichere Verwahrung sorgt, den rund 15 Kilo schweren Greif im Kreise der versammelten Kameraden am Vordach des Gildehauses angebracht. Der Auftakt des 487. Vogelschießens verlief also wie immer. Das war es dann aber auch schon mit dem Althergebrachten. Ab morgen wird vieles anders.

Erstmalig findet das Fest nicht auf dem Schwarzenberg statt

Denn erstmals seit 1819 wird das von der Schützengilde veranstaltete Volksfest nicht auf dem Schwarzenberg stattfinden. Weil der angestammte Festplatz als Flüchtlingsunterkunft dient, wird auf dem Rathausplatz gefeiert. Gildepatron Enno Stöver bedauert das, sieht in der Zwangslage aber auch eine Chance. „Es ist doch schön, wenn wir wieder ein richtiges Stadtfest veranstalten können. Laufkundschaft gibt es am Schwarzenberg ja nicht.“

Tatsächlich hatte die Deputation schon vor ein paar Jahren erwogen, den Festplatz in die City zu verlegen. Der Gildevorstand hoffte, durch eine zentralere Lage wieder mehr Bürger für die mehrtägige Fete zu begeistern und an die goldenen Zeiten anknüpfen zu können, als das Vogelschießen noch als „fünfte Jahreszeit“ galt, die ganz Harburg in kollektiven Freudentaumel versetzte. „Man muss klar sagen: Unser Festplatz war ja im Begriff, auf eine Wurstbude und ein paar Zelte zu schrumpfen. Aber als wir damals über einen Ortswechsel nachdachten, hätten wir das Vorhaben bei den Kameraden nicht durchsetzen können“, erklärt Enno Stöver.

Verlust: Ausfall des Kinderfestes

Der nunmehr alternativlose Schritt belastet vor allem die Organisatoren. „Man muss sich auf unbekanntem Terrain ganz neu orientieren. Wo sind Flucht- und Rettungswege, wo gibt es Wasser- und Strom? Wie passt das Festzelt auf den Platz? Nichts mehr an der ohnehin umfangreichen Arbeit ist Routine. Besonders Ingo Mönke, Rainer Harms und Sven Ritter bin ich für ihr großes Engagement dankbar. Aber auch das Bezirksamt hat gute Unterstützung geleistet“, so Stöver

Der größte Verlust, den die neue Lage mit sich bringt, ist für den dreifachen Vater Stöver der Ausfall des Kinderfestes. In den Vorjahren hatte Gilde-Urgestein Horst Mönke jeweils große Gruppen benachbarter Kitas zum Naschen und Karussell fahren auf den Schwarzenberg eingeladen. „Das war unter diesen Umständen organisatorisch einfach nicht zu stemmen“, bedauert Stöver.

Die Tradition wurde nur leicht abgewandelt

Ansonsten aber mangele es nicht an Tradition, wenn sie auch leicht abgewandelt werden musste, meint er. Wie gewohnt wird am morgigen Donnerstag nach dem Rathausempfang der große Schützenausmarsch stattfinden. Um 11.15 Uhr startet der Festumzug vor dem Rathaus, durchquert die Innenstadt über Krummholzberg, Lüneburger Straße, Herbert-Wehner-Platz, Schlossmühlendamm, Sand und Neue Straße. Anstatt wie bisher in die Schwarzenbergstraße einzubiegen, wird die Runde diesmal über die Knoopstraße und die Museumsachse vollendet werden. Das Spargelessen findet mit mehreren hundert Gästen im Festzelt auf dem Rathausplatz statt. Ehrengast wird diesmal Hamburgs zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank sein. Olaf Scholz ist wegen eines Ministerpräsidenten-Treffens verhindert. „Als Wissenschaftssenatorin ist Frau Fegebank ja auch für die TU Harburg zuständig, das passt doch gut“, sagt Enno Stöver, der sich auf den Besuch der Grünen-Politikerin freut.

Hobum-Chef Arnold Mergell spricht nach dem Essen am Herzog-Otto-Stein

Ein ebenfalls prominenter Festredner wird nach dem Essen um 14.30 Uhr am Herzog-Otto-Stein sprechen: Hobum-Chef Arnold Mergell. Der Spross der Harburger Unternehmer-Familie gehört nicht der Gilde an. Es ist durchaus üblich, dass sich auch Zivilisten beim Vogelschießen zu Wort melden. Neu ist, dass der Festakt sich auf diese eine Ansprache an der Museumsachse beschränkt. Auf dem Schwarzenberg gab es stets drei Reden an den Denkmälern für Bissing, Grumbrecht und der Friedenseiche. Der Donnerstagnachmittag verläuft ebenfalls ähnlich wie einst. Schützen und Geschäftsleute treffen einander um Kontakte zu festigen oder Netzwerke neu zu knüpfen, diesmal eben auf dem Rathausplatz. Das Firmenvergleichsschießen wird per Laseranlage im Festzelt stattfinden, bevor der Tag dort mit einer After-Work Party ausklingt.

Am Freitag, 19. Juni, findet zu Ehren der scheidenden Gildemajestät Ulf Schröder mit Trommelwirbel und Fackelschein der Große Zapfenstreich auf dem Rathausplatz statt. Die große Sommerparty für alle Harburger steigt am Sonnabend, 20. Juni. Unter dem Motto „TUHH meets Gilde“ startet um 13 Uhr die in Kooperation von Studenten und Schützen organisierte Fete mit Spielen und Musik. Vertreter der Uni werden eindrucksvoll demonstrieren, was moderne Technik vermag. Die Studenten lassen Roboter zum Fußball-Match antreten und selbstgebaute Luftschiffe aufsteigen.

Damit trotz der räumlichen Trennung von Schießstand und Festplatz auch die Schützen an diesem Fest teilhaben können, wird das eigentliche Vogelschießen - das Zielen auf den Holzadler - diesmal erst eine Woche später stattfinden. Am Sonnabend, 27. Juni, wird ab 10 Uhr im Schießstand auf dem Schwarzenberg der neue Gildekönig ermittelt und um 19.30 Uhr desselben Tages am Kaiserbrunnen proklamiert.

Es kursiert die Sorge, niemand wolle neuer Gilde-König werden

Neu ist nicht nur der vom Volksfest gesonderte Termin. Neu ist auch, dass der Holzvogel binnen eines einzigen Tages in seine Einzelteile zerlegt wird. „Davon verspreche ich mir eine bessere Stimmung im Schießstand“, erklärt Enno Stöver. Soll heißen: Ohne die bisher übliche buchstäblich ernüchternde Unterbrechung vor Beginn des Zielens auf die königsrelevanten Teile erhofft er sich mehr spontane Bewerber auf das höchste Ehrenamt. Denn das ist wegen hohen Zeit- und Kostenaufwands wenig begehrt. Schon seit ein paar Jahren treibt nicht nur den Ersten Patron die Sorge um, es könne sich womöglich niemand finden, der bereit ist, Harburgs älteste Institution zu repräsentieren.

Holzadler muss nicht auf dem Schwarzenberg begraben werden

Die ungeschriebene, aber bisher dennoch ehern geltende Regel, dass Deputierte in den sauren Apfel beißen müssen, falls sich kein anderer Freiwilliger findet, ist kürzlich abgeschafft worden. Weil nämlich die Deputation mit nur fünf offiziellen Mitgliedern mittlerweile so dünn besetzt ist, dass sie keinen Ausfall durch königliche Repräsentationspflichten verkraften könnte – trotz der Unterstützung durch die drei sogenannten Beisitzer. „Wir haben den Kameraden klar gesagt: Wenn einer vom Vorstand König werden soll, dann muss einer von Euch den langen Deputiertenrock anziehen“, sagt Enno Stöver. Das wird wohl niemand tun.

Dennoch ist Stöver als gläubiger Christ zuversichtlich, dass sich „mit Hilfe von oben“ auch diesmal ein Gildekönig findet und der Holzadler nicht auf dem Schwarzenberg begraben werden muss. Das wäre in der Jahrhunderte langen Tradition des Vogelschießens tatsächlich ein Novum, das weniger gut zu verkraften wäre als der Verlust des angestammten Festplatzes. Mediales Interesse am 487. Harburger Vogelschießen ist in jedem Fall garantiert. Ulf Schröder wird in den letzten Stunden seiner Amtszeit als Gildemonarch vom RTL Nord-Filmteam begleitet werden. Der Privatsender möchte die Nähe von Gildehaus und Flüchtlingscamp dokumentieren.