Harburg. Neue Serie über erfolgreiche Migranten: Zum Start Xhelil Musa,der mittlerweile schon ein Harburger Urgestein ist

Den 15. März bezeichnet Xhelil Musa als seinen zweiten Geburtstag. So wird er auch gefeiert, seit 1970. Es war das Jahr, in dem der Kosovo-Albaner nach Deutschland kam. Seitdem sind 45 Jahre vergangen. Die ihm in stillen Momenten noch immer wie ein langer, schöner Traum vorkommen. Weil er in dieser Zeit eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte geschrieben hat, die noch längst nicht zu Ende ist.

Das Leben ist hart und entbehrungsreich in dem kleinen Dorf zwischen Pristina und der mazedonischen Grenze, wo Xhelil Musa als ältestes von elf Kindern einer bettelarmen Familie aufwächst. Das kleine Haus, in dem sie wohnt, bietet kaum Platz für alle. Es gibt weder Strom noch fließend Wasser, kein Radio und keinen Fernseher. „Wir hatten nicht einmal Schuhe“, erinnert sich Xhelil. Das erste Paar hat er sich selbst geschnitzt, aus Holz.

Er schaffte den Abschluss, fand aber keine Arbeit

Um die Familie zu ernähren, zieht der 15-Jährige mit dem Vater als Landarbeiter durch die Gegend. Sie müssen sich für wenig Geld verdingen und schlafen mit bis zu 60 anderen Tagelöhnern in zugigen Unterkünften nahe den zu beackernden Feldern. Irgendwann darf Xhelil Dreher lernen. Er schafft auch einen Abschluss, doch Arbeit findet er nicht.

Bis im März 1970 die Gastarbeiterwerber aus Deutschland in seine Gegend kommen. „Das war ein echter Glücksfall, denn damit begann für mich ein neues Leben“, sagt Xhelil Musa. Ehe er sich versieht, ist er in München, gemeinsam mit 5000 anderen Gastarbeitern vom Balkan. Doch in der bayerischen Metropole gibt es keinen passenden Job für ihn. Also geht es weiter, in eine Stuttgarter Papierfabrik. Dort gibt es zwar eine Drehmaschine, aber eben auch nur Arbeit für einen Dreher. Nach drei Monaten landet der 20-Jährige schließlich in Harburg, an einer Drehbank bei Krupp. Seine Odyssee ist anscheinend beendet.

Motiviert, engagiert, flink

Endlich richtig was zu tun. Dass im Akkord gearbeitet wird, macht Xhelil und den anderen Gastarbeitern nichts aus. Sie sind hochmotiviert, engagiert – und flink. Nach Ansicht einiger deutscher Kollegen zu flink. Es gibt böses Blut. Und den Vorwurf, sie würden mit ihrem Tempo die Normen verderben. Nach drei Jahren hat Musa genug: „Den ganzen Tag allein vor einer Maschine zu stehen, war eh nicht mein Ding. Ich habe lieber mit Menschen zu tun.“

Er kündigt und wird Busfahrer bei der Hochbahn. Nebenbei fährt er auch noch Taxi. Dann schult er zum technischen Zeichner um und jobbt als Kellner. Musa: „Da haben mich einige Gäste angesprochen und mir gesagt, dass ich das Zeug hätte, ein eigenes Lokal zu führen. Von allein wäre ich vermutlich nie auf diese Idee gekommen.“

Eröffnung des eigenen Lokals

1983 eröffnet er sein erstes eigenes Restaurant, den „Adria-Grill“ am Schwarzenberg. „Einer meiner ersten Gäste sagte schon beim Betreten des Lokals, dass er mir kein halbes Jahr gibt. Das war nicht gerade ermutigend.“ Doch der skeptische Gast sollte sich irren. Mit seiner Bemerkung hat er den Ehrgeiz Musas nur noch mehr angestachelt. Für den von Beginn an zwei Grundsätze gelten: „Man muss sich als Gastronom persönlich um seine Gäste kümmern, dann fühlen sie sich wohl und kommen wieder. Man empfängt den Gast an der Tür und nimmt ihm dort nicht nur den Mantel, sondern auch die Sorgen ab. Und wenn er geht, gibt man ihm nur den Mantel zurück.“

Auf diese Weise übernimmt und entwickelt Xhelil Musa insgesamt elf verschiedene Lokale und Hotels, unter anderem in Neugraben, Fleestedt, Sieversen, Neukloster, Ebsdorf und Hollenstedt. Sobald sie laufen, übergibt er sie. Bevorzugt an nahe Verwandte, darunter drei Brüder und drei Schwestern, sowie ehemalige Verwandte. „Ich brauchte immer eine neue Herausforderung, sonst ist das Leben nicht mehr spannend“, erklärt er seinen nimmer müden Unternehmergeist. Mit dem er über die Jahre mehr als 60 Arbeitsplätze schaffte.

Kennenlernen beim Vogelschießen

Den nötigen Rückhalt fand er dabei stets bei Ehefrau Silvia. Sie ist Deutsche mit einem österreichischen Vater und hat ihn beim Vogelschießen auf dem Schwarzenberg kennengelernt. Für Xhelil Musa ist diese Beziehung der beredte Beweis dafür, dass Glaube und Nationalstolz keine unüberwindlichen Hindernisse für eine dauerhafte Verständigung darstellen: „Ich bin Muslim, sie Christin, ich Albaner, sie Deutsche, ich 1,62 Meter groß, sie 1,75. Mehr Gegensätze gehen doch gar nicht. Und trotzdem sind wir seit mehr als 40 Jahren glücklich verheiratet.“

Investitionen von mehr als 1,5 Millionen Euro

Sein vorerst letztes Projekt ist das Hotel „Musa’s Grüne Tanne“ an der Bremer Straße 307. Mehr als 1,5 Millionen Euro hat Xhelil Musa in die 1905 erbaute Immobilie an der ältesten, noch erhaltenen Straße Harburgs investiert. Seit dem jüngsten Umbau gibt es 33 Zimmer und ein Restaurant mit 70 Plätzen. „Mehr sollten es auch nicht sein, weil man sonst den persönlichen Kontakt zu den Gästen verliert“, sagt Sami Musa, 30, der die Führung des Hauses Anfang des Jahres von seinem Vater übernahm.

Längst hat es sich einen Namen gemacht, über die Grenzen des Bezirks hinaus. Die Liste prominenter Gäste ist lang. Hamburgs Kultmimin Inge Meysel war ebenso da wie HSV-Kicker Marcell Janssen und Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe. Sogar Albaniens Regierungschef Berisha schaute vorbei. Es gibt Tage, da geben sich Harburgs Spitzenpolitiker fraktionsübergreifend die Klinke in die Hand. So wie bei der großen Feier im März dieses Jahres, bei der Xhelil Musa den 45. Jahrestag seiner Ankunft in Harburg mit jeder Menge Prominenz feierte, darunter Skender Gjakaliu, Botschafter der Republik Kosovo.

Talentscout für das albanische Nationalteam

Auch wenn Xhelil Musa das operative Geschäft der „Grünen Tanne“ inzwischen abgegeben hat, über Langeweile klagt er nicht. So sichtet er für die albanische Fußball-Nationalmannschaft weiter Talente und agiert als deren Spielerberater. Gleich mehrfach logierten Albaniens Elitekicker vor wichtigen Spielen im Hotel der Familie. Und natürlich unterstützte er Sohn Sami auch bei der Neugründung des FC Musa, der jetzt wieder mit einem Herrenteam in der Kreisklasse vertreten ist.

Xhelil Musa hat nie vergessen, woher er kommt. Das bezeichnet er als wesentlichen Teil seines Antriebs. Der ihn letztlich dahin gebracht hat, wo er heute ist. „Dafür, dass mein erster Gastarbeitervertrag nur auf ein Jahr befristet war, bin ich schon ziemlich lange in Deutschland“, sagt der 65-Jährige. Für den der Kosovo noch immer Heimat ist. Der sich in Harburg aber längst zu Hause fühlt. (Lutz Kastendieck)