Heimfeld. Serie: Bürger über ihren Stadtteil, warum sie es mögen und was sie stört.Heute, in Teil 3, sagt Manfred Meyer: „Ich bin Heimfelder, weil...“

Manfred Meyer hat schon die halbe Welt bereist. In seinem Keller hängt eine Erdkarte, gespickt mit Nadeln, die zeigen, wo er überall gewesen ist. Er kennt die Traum-Strände der Karibik. Er hat den Norden und den Süden des schwarzen Kontinents besucht. Den Zauber der Südsee gespürt und das blinkende Lichtermeer von Las Vegas auf sich wirken lassen. Jede Menge herrlicher Landschaften und aufregender Städte hat der 75-Jährige gesehen. Und trotzdem immer gewusst, wo er leben und sterben möchte. In Heimfeld, in der Meyerstraße.

Die ist natürlich nicht nach ihm benannt, sondern nach H.C. Meyer jun., dem Inhaber der gleichnamigen Fabrik für Rattan, Stock und Stuhlrohr. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der den Familienbetrieb von Hamburg nach Harburg verleg, weil südlich der Elbe die Zollverhältnisse besser waren und vermutlich auch die Löhne niedriger. Die Fabrik von „Stockmeyer“ existiert nicht mehr, wohl aber die Villa, die zum Krankenhaus Mariahilf wurde und bis heute Teil der Helios-Klinik ist. Das Anwesen des Großindustriellen heißt heute „Meyers Park“ und das Wohngebiet, das ab 1890 auf einem Teil der Ländereien der Fabrikantenfamilie entstand, bildet das Herz Heimfelds, die Meyerstraße das Rückgrat des Meyer-Viertels.

Manfred Meyer lebt zwischen Thörlstraße und Lohmannsweg. In diesem Teil gibt es weder Kopfsteinpflaster noch Häuser im Stil der Kaiserzeit, wie im älteren Teil zum Alten Postweg hin. Meyers Haus wurde kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erbaut. Er selbst lebt dort seit 1962. Er schätzt die Ruhe in der Einbahnstraße, das friedliche Zusammenleben mit den Anwohnern. Mit seinem Nachbarn Uwe Meyer ist er seit Jahrzehnten eng befreundet.

Gute Nachbarschaft ist für Wolfgang Meyer sehr wichtig, wegen seines besonderen Hobbys. Er züchtet nämlich Brieftauben. Derzeit bevölkern etwa 60 Tiere den Schlag im Garten. Wenn die Jungen geschlüpft sind, werden es mindestens 100 sein. Züchter wie „Tauben-Meyer“ haben in Wohngebieten wie Heimfeld Seltenheitswert. Und er hat Glück: Niemand stört sich am leisen Gurren oder an weißen Klecksen. Allerdings sorgt Meyer auch dafür, dass die Vögel nicht dann ein- und ausfliegen, wenn die Nachbarn auf ihren Terrassen sitzen.

Seit mehr als sechs Jahrzehnten widmet er die ersten und letzten Stunden eines jeden Tages seinen Tieren. Schon als Neunjähriger bekam er weiße Strasser von Großvater Heinrich Meyer geschenkt. Den ersten Taubenschlag baute der Junge im Hof des elterlichen Milch- und Feinkostgeschäfts, das sich damals in einem Behelfsbau an der Hermannstraße befand. Die lag in der Nähe des Centrumshauses und ist im Zuge des S-Bahn-Baus verschwunden. Das Haus seiner Kindheit gibt es noch, allerdings wurde die Straße umbenannt: Helmsweg heißt die ehemalige Gartenstraße heute

Manfreds Weg zur Schule Benningsenstraße führte über die Hexentreppe. Am Wochenende ging es nicht nach oben, sondern an die Elbe. Dann schipperte er vom Dampfschiffsweg mit dem Raddampfer zum Fischmarkt, wo er seine Jungtauben für 50 Pfennige pro Stück verkaufte, um für ein Vielfaches neue schöne Tiere zu erwerben.

Als Mittzwanziger wechselte der gelernte Einzelhandels-Kaufmann sogar den Beruf, um sonnabends Zeit für seine von Wettflügen zurückkehrenden Lieblinge zu haben. Er verließ das Geschäft seiner Eltern, das sich inzwischen im neuen familieneigenen Geschäftshaus an der Ecke Neue Straße/Schwarzenbergstraße befand, um fortan anstatt Lebensmitteln Versicherungen zu vertreiben.

Eine gute Entscheidung, wie er bis heute findet. Die Supermärkte traten damals ihren Siegeszug an. Seine Eltern mussten das Feinkostgeschäft Ende der 60er Jahre schließen.

„Es hat sich wirklich sehr viel verändert“, sinniert Wolfgang Meyer. „Allein die vielen Kinos, die es früher in Harburg gab: Die Passage am Großen Schippsee, das UT Kino in der Bremer Straße, das Astoria in der Neuen Straße, das Gloria an der Lüneburger Straße/Ecke Krummholzberg und das an der Winsener Straße/Ecke Paul-Gerhardt-Straße. Ich glaube, es hieß die Kurbel. Ist irgendwie schade drum.“

Schade findet er es auch um die alten Ahornbäume, die er früher von seinen rückwärtigen Fenstern aus sehen konnte. Zwei von dreien mussten Mietshäusern weichen. „Es ist unglaublich viel gebaut worden in Heimfeld. Man muss nur an die Rennkoppel denken, an das einstige Kasernengelände an der Heimfelder Straße an den Sportplatz Jahnhöhe und die Grumbrechtstraße.“

Urharburger und Zugezogene, Vermögende und Hartz-IV-Empfänger – Heimfeld hat auf engem Raum eine sehr differenzierte Sozialstruktur. Stellen Migranten oder Asylanten ein Problem dar? Manfred Meyer zuckt die Schultern. Er fühlt sich nicht betroffen. In seiner Straße jedenfalls hat er nichts Negatives mitbekommen. Und er ist auch nicht besonders oft im Viertel unterwegs. In Harburgs Innenstadt übrigens auch nicht mehr. Die Lebensmittel-Einkäufe auf dem Markt am Sand tätigt seine Lebensgefährtin. Früher war er Stammkunde bei den Bekleidungs-Fachgeschäften der Lüneburger Straße. Seit Sander und Feuerhahn verschwunden sind, deckt er sich während regelmäßiger Stippvisiten auf Sylt mit den von ihm bevorzugten Marken ein. Selbst die gute Nahverkehrsanbindung seines Hauses nutzt er wenig. In die S-Bahn steigt er nur, wenn er mal nach Hamburg ins Theater fährt.

Meist ist er mit dem Auto unterwegs. „Zum Glück habe ich ja eine eigene Garage. Ohne ginge es hier gar nicht.“

An Urlaubsfahrten ist für ihn von März bis Oktober nicht zu denken. Wenn seine Vögel reisen, ist er sesshaft. Im Winterhalbjahr aber, wenn seine Schätzchen von einem Freund gut versorgt die Sicherheit von Schlag und Voliere genießen, geht Tauben-Meyer in die Luft. Seine Neugier auf ferne Länder ist immer noch groß. Aber die Liebe zu Heimfeld, die ist stärker.