Jesteburg. Was muss man als Frau tun, wenn man sich für das Gemeinwohl engagieren möchte?Wie schafft man es als Newcomerin, einen Fuß in die Tür zur Politik zu bekommen?
Frauen trauen sich inzwischen fast alles. Sie stellen den größeren Anteil an Abiturienten und Studienabgängern, fahren LKW und haben so ziemlich jede Männerdomäne erobert. Was allerdings die Führung von großen Unternehmen angeht, ist noch viel Luft nach oben für die Frauen drin.
Ähnlich ist es in der Politik. Beispielsweise liegt der Anteil von CDU-Frauen, die sich im Landkreis Harburg in Kommunen und Kreistag engagieren gerade mal bei 21 Prozent. „Viel zu wenig“, findet die Jesteburger CDU-Politikerin Britta Witte, die im Gemeinderat und verschiedenen Ausschüssen in ihrem Heimatdorf arbeitet und vor kurzem zur Kreisvorsitzenden ihrer Fraktion gewählt wurde.
Britta Witte unterstützt deshalb das Mentoring-Programm zur Förderung von Frauen in der Kommunalpolitik, dass das Land Niedersachsen für zwei Jahre ausgeschrieben hat. Wie funktioniert Politik? Wie kann ich mich in Gremien und Ausschüssen einbringen?
Was muss ich tun, um es auf den Listenplatz einer Partei zu kommen? Frauen, die mit diesen Fragen alleingelassen gelassen werden, begraben ganz schnell etwaige Ambitionen, sich zu engagieren.
Davon hat sich zumindest die Hanstedterin Anja Misch nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern die Gunst der Stunde genutzt und sich bei dem Mentoring-Programm angemeldet.
Seit Februar ist die 46jährige Kulturwissenschaftlerin fast immer mit von der Partie, wenn ihre Mentorin Britta Witte auf politischen Wegen unterwegs ist. „Es wird immer spannender“, lautet ihr erstes Fazit nach den ersten Monaten.
Anja Misch ist nicht der Typ unterbeschäftigte Hausfrau. Auch so ein Klischee, das immer noch in den Köpfen von Männern herumgeistert. Nach dem Motto: nur Frauen, die sonst nichts zu tun haben, engagieren sich.
Als ihre beiden Söhne klein waren, begann sie mit dem Studium an der Leuphana Universität in Lüneburg, jungen Müttern wird es dort leicht gemacht, Studium und den Nachwuchs unter einen Hut zu kriegen.
Weiterhin teilten sich Anja Misch und ihr Mann die Betreuung der Kinder, Teamarbeit war im Hause Misch schon immer ein positiv besetzter Begriff. Seit neun Jahren arbeitet sie inzwischen in der Waldklinik in Jesteburg und leitet dort das ärztliche Sekretariat.
Außerdem hat sie jetzt ein Fernstudium an der Hochschule Wismar begonnen, in dem sie das Management im Gesundheitswesen lernt.
Sie ist also gut ausgelastet und dennoch reizte es sie, sich auch auf politischer Ebene zu engagieren. „Es ist nicht so, dass ich mir da was antue, ich habe Lust, mich für die Gemeinschaft einzusetzen“, sagt sie klipp und klar.
Das Mentoring-Programm sieht sie als Findungsphase, ob Politik überhaupt etwas für sie ist und als perfekte Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen. Dabei hat sie schnell festgestellt: „Die kochen auch alle nur mit Wasser, das ist wirklich kein Hexenwerk“.
Zum Monatsanfang stimmt Britta Witte mit ihr die anstehenden Termine ab. Zweimal in der Woche stehen, meist abends, kommunalpolitische Sitzungen an: „Das ist übersichtlich“. Hinzu kommen an ein paar Wochenenden Workshops, in denen den Mentoringteilnehmerinnen die Strukturen der Landespolitik, aber auch das sichere Auftreten vor Publikum vermittelt wird.
Präsenz und Kommunikation“, „Zeitmanagement“ oder auch „Stärkung der Sozialkompetenz“ stehen dann auf dem Stundenplan. Denn gerade das Auftreten nach Außen, Kritik an der politischen Arbeit, auch Anfeindungen und schlechte Presse, sind Argumente, warum Frauen vor politischem Engagement zurückschrecken.
„Frauen nehmen so was gern persönlich, das muss man lernen“, bestätigt Britta Witte aus langjähriger Erfahrung heraus. „Andererseits ich kann meine Meinung vertreten und sie vor anderen präsentieren“, sieht ihre „Mentee“ die positive Seite der Politik.
Anja Misch lernt bei ihr die Grundlagen des Handwerks: „Ich schlepp sie überall hin mit.“ Britta Witte ist in ihrer Arbeit auf kommunaler und auf Kreisebene breit aufgestellt, auch hier hat Anja Misch bereits Unterschiede festgestellt: „Die Themen auf Gemeindeebene sind konkreter, im Kreistag grundsätzlicher und allgemeiner“.
Bei den Sitzungen sitzt sie immer neben ihrer Mentorin – so kann sie sofort nachfragen, wenn ihr etwas unklar ist.
Auch im Umgang der Parteien miteinander gibt es Unterschiede von der Gemeindeebene hin zur Arbeit im Kreis, die die Nachwuchspolitikerin überrascht haben: „Ich bin erstaunt über die konstruktive und sachliche Arbeit der Parteien untereinander, vor allem in den Kommunen. Je mehr Öffentlichkeit dabei ist, desto mehr Show ist auch dabei“.
Britta Witte gibt ihr recht: “Sonst reden Frauen ja viel mehr als Männer, komischerweise ist es in der Politik genau umgekehrt. Wenn ich meine Statements kurz und knapp abgebe und anschließend ein Mann das gleiche lang und breit wiederholt, dann sind alle immer ganz angetan, da kann man sich als Frau noch eine dicke Scheibe davon abschneiden.“
Alles in allem bekommt Anja Misch durchweg positive Resonanz, wenn sie sich als Politneuling zu erkennen gibt. Nicht nur von den Frauen, sondern auch von den Männern. „Ich habe schon eine Menge Tipps bekommen, alle mit denen ich gesprochen habe, haben mir Mut gemacht, auch viele Ältere“, ist Misch begeistert.
Ihrer Meinung braucht es gar nicht so viel, was Frauen mitbringen müssen, um in der Politik Erfolgserlebnisse zu haben: „Man muss Lust haben auf Themen, die nicht immer auch die persönlichen sind, es ist eine Chance auch mal über den Tellerrand zu schauen. Fachliche Qualifizierung ist nicht entscheidend.“
„Und man darf keine Scheu vor Menschen haben“, fügt Britta Witte hinzu. Vom Sinn des Mentoring-Programms ist Anja Misch absolut überzeugt: „Um in die Politik einzusteigen, ist das eine Supersache!“