Gut ausgebildete Flüchtlinge sollen in einem Pilotprojekt fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Das ambitionierte Programm hat aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
Harburg. „Jeder Mensch hat Potenzial“ lautet der Name eines Pilotprojektes der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Im Januar dieses Jahres startete das Projekt, das die Integration von beruflich hoch qualifizierten Asylbewerbern „mit Bleibeperspektive“ in den Arbeitsmarkt forcieren soll. Das geht in erster Linie über die Sprache. Zu dem ambitionierten Programm gehören unter anderem Deutschkurse. Und anschließend sollen die für dieses Programm ausgewählten Asylbewerber Praktika in deutschen Firmen absolvieren.
In Intensiv-Deutschkursen sollen die Asylbewerber bereits im Verlauf des Asylverfahrens in die Vermittlungsstrukturen und ihrem Qualitätsprofil entsprechend in spezifische Unterstützungsmaßnahmen einbezogen werden, heißt es auf der Internetseite des BAMF. Die Asylbewerber sollen in 730 Deutsch-Stunden fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden, noch bevor sie Integrationskurse besuchen, auf die sie teilweise Jahre warten müssen.
Das klingt gut. Die Realität im Kursus des Harburger Trägers Passage in der Straße Am Soldatenfriedhof sieht ganz anders aus. „Jeden Morgen, wenn ich herkomme, habe ich Angst, dass nicht mehr alle Teilnehmer im Raum sitzen, weil einer von ihnen über Nacht abgeschoben worden ist“, sagt Deutsch-Dozentin Regine Heiser von der Passage. Der Träger hat sich im Verbund mit anderen Trägern für diesen Modellversuch beworben.
„Wäre vorher bekannt, wie wenig die ganze Sache durchdacht und zu Ende gedacht ist, hätten wir uns in der Tat nicht für dieses Pilotprojekt beworben“, so Regine Heiser. In ihrem Kursus sitzen 21 Ingenieure, Dolmetscher, IT-Spezialisten, Lehrer und ein Seemann. Einen geklärten Aufenthaltstitel hat nur einer von ihnen. Alle anderen leben teilweise seit mehr als acht Monaten in einer der Erstaufnahmen in der Stadt, beispielsweise an der Sportallee, mit bis zu sechs Menschen in einem Raum. „Lernen“, sagen sie, „ist da fast unmöglich.“ Von „Bleibeperspektive“ kann nicht die Rede sein. Trotzdem machen sie Fortschritte und setzen alles daran, diese Sprache zu sprechen.
Jamshid Kiani ist Kurde. Der Dolmetscher hat in seiner Heimat im Nord-Iran unter anderem für Reporter der BBC übersetzt, hatte seine eigene Sprachenschule. Kiani landete als politischer Gefangener im Gefängnis. Nach seiner Freilassung habe er mehr als 13.000 Euro für seine Flucht nach Europa bezahlt. Er gehört zu denen, die im Kursus sitzen und jeden Tag damit rechnen müssen, zurück nach Italien beziehungsweise in ihr Heimatland geschickt zu werden. „Ich habe meine Familie zurück gelassen bei meiner Flucht. Menschenhändler brachten mich über die Türkei, über Italien nach Hamburg“, sagt der verzweifelte Mann. Zum Deutschunterricht komme er, weil er sich in diesem Land integrieren wollen, was in einer Erstaufnahme geradezu unmöglich sei.
Der Ingenieur Bassam Hürani floh vor dem Krieg in seiner Heimat Syrien mit seinen drei erwachsenen Kindern und seiner Frau. Sie leben seit acht Monaten in der Erstaufnahme. Auch ihm droht jederzeit die Abschiebung. Auch er leidet unter den Zuständen in dem Containerdorf, das jetzt seine Heimat ist und fragt sich, warum Deutschland nicht das Potenzial nutzt, dass er und seine Kollegen mitbringen.
„All diese Probleme, diese Angst vor der Gefahr, täglich das Land verlassen zu müssen, fließt natürlich auch in unsere tägliche Arbeit hier im Deutschunterricht“, sagt Heiser. Der Iraker Suahib Ahmed, IT System Elektroniker, lebt in der Erstaufnahme in der Sportallee mit „drei anderen Jungs in einem Container“. Täglich gibt es Schlägereien. Die Leute haben nichts zu tun. Sie warten. Sie warten darauf, dass die Behörden sie interviewen. Sie warten darauf, dass ihr Verfahren weiter geht.
Die Stimmung ist miserabel und niedergeschlagen. „Niemand von uns weiß, nach welchem Prinzip die Leute aus der Erstaufnahme in die nächste Unterkunft oder zurück nach Hause geschickt werden.
Das Ganze ist nicht transparent“, sagt er. Es sei ihm völlig schleierhaft, wie er nach diesem Kursus einen Praktikumsplatz finden solle. „Jemandem, der so leben muss, wie ich, gibt doch keine Firma ein Praktikum“, sagt Suahib Ahmed.
Nicht nur ihr ungeklärter Aufenthaltsstatus bedrückt die Schüler. „Es hat Wochen gedauert, bis wir mit fördern&wohnen aushandeln konnten, dass sie Lunchpakete zum Unterricht mitnehmen dürfen. In den Erstaufnahmen bekommen sie kein Geld. Die Kantinen haben feste Öffnungszeiten. Wer mittags nicht zum Essen kommt, hat Pech. Und wir arbeiten hier jeden Tag von 10 bis 15 Uhr“, sagt Heiser. Eine Dozentin kaufe jeden Morgen Obst. Auch Brot und Käse kommt in den Unterrichtsräumen auf den Tisch, gesponsert von den Dozenten.