Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik säen große Zweifel an hoheitlichen Rechten der Bezirksversammlung
Harburg. Als Iwona Mazurkiewicz am Dienstagabend das Rathaus verließ, war sie ziemlich frustriert. Drei konkrete Fragen zum Thema Flüchtlingsunterkünfte hatte sie als Sprecherin der Bürgerinitiative Wetternstraße bei der Öffentlichen Fragestunde zum Auftakt der jüngsten Sitzung der Bezirksversammlung gestellt, doch nicht eine war auch nur annähernd konkret beantwortet worden. Nicht viel besser war es Ineke Siemer, Sprecherin der Bürgerinitiative Bostelbek (BIB), ergangen. Sie hatte vorab sogar acht Fragen eingereicht. Ohne am Ende wirklich schlauer zu sein.
„De facto gab es zwar viele, sehr allgemeine Erläuterungen zum Thema, aber so gut wie keine Fakten, geschweige denn Angebote, wie und wo die Schaffung weiterer Quartiere für die Flüchtlinge im Bezirk tatsächlich umgesetzt wird“, sagte Ineke Siemer. Iwona Mazurkiewicz hatte unter anderem an die Versprechen des Innensenators Michael Neumann erinnert und anschließend wissen wollen, warum die Bürgerinitiative (BI) in die Planungen nach wie vor nicht eingebunden werde. Und was denn nun aus dem von der BI vorgeschlagenen Spielplatz für die Zentrale Erstaufnahme werde. „So macht eine öffentliche Fragestunde jedenfalls wenig Sinn“, sagte Mazurkiewicz dem Abendblatt.
Bezirksamtsleiter Thomas Völsch befand zwar, dass fast alle Fragen „vollkommen berechtigt“ seien, die Verwaltung wäre aber nicht in jedem Fall wirklich zuständig. Auf die steigende Lärmbelastung in Bostelbek beispielsweise hätte das Bezirksamt nur „wenig Einfluss“. Dennoch bleibe er natürlich mit allen Bürgerinitiativen im Gespräch. So wie am Mittwochabend beim Runden Tisch Bostelbek im Hit-Technopark.
Ob es dabei mehr Antworten auf die vielen Fragen der Bürger gegeben hat, darf bezweifelt werden. Denn in der Tat sind die Einflussmöglichkeiten des Bezirksparlaments wie der Bezirksverwaltung äußerst begrenzt. Und das nicht nur beim drängenden Problem der Unterbringung von Flüchtlingen. Auch beim Thema Beachclub im Binnenhafen. Der Grünen-Abgeordnete Jürgen Marek sah die Bezirksversammlung (BV) in diesem Zusammenhang zur „Fachausschuss der Finanzbehörde“ degradiert. Just am Dienstag hatte sie ihre Warnung wahrgemacht und dem Bezirksamt per Evokation eine Änderung des Bebauungsplans für die umstrittene Fläche am Veritaskai untersagt. Und lässt damit das aller Voraussicht nach erfolgreiche Bürgerbegehren zum Erhalt des Beachclubs an gleicher Stelle ins Leere laufen.
CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer hatte sich zwar wortreich bemüht, die „hoheitlichen Rechte“ der BV zu beschwören. Sei seien jüngst sogar vom Bundesverfassungsgericht nochmals ausdrücklich bestätigt worden. Deshalb werde die CDU-Fraktion dem Bürgerbegehren entsprechen und sich entschieden für die Einleitung eines Bürgerentscheids einsetzen.
Wie wenig sich die Harburger „GroKo“ in spe in dieser Frage einig ist, bewies anschließend der SPD-Abgeordnete Frank Richter, im bürgerlichen Leben Rechtsanwalt wie Fischer. Er erinnerte daran, dass die Bezirksversammlung vor einigen Jahren der Modifikation des ursprünglichen Bebauungsplans Harburg67/Heimfeld 46 zugunsten eines Hotelneubaus mehrheitlich zugestimmt habe. Und dass ein Bürgerbegehren allenfalls empfehlenden Charakter habe. „Die SPD-Fraktion sagt dennoch Ja zum Beachclub. Aber eben nicht da, wo er jetzt ist. Weil es sich bei dieser Fläche um ein Schlüsselgrundstück für die Weiterentwicklung des Binnenhafens handelt“, so Richter.
Noch deutlicher wurde anschließend die Fraktionschefin der Linken, Sabine Boeddinghaus. „Die Bürger werden hier einmal mehr verhohnepiepelt. Es ist doch längst klar, dass nicht nur das Bürgerbegehren, sondern auch das Votum der Bezirksverwaltung nur empfehlende Wirkung hat. Zumal das Bezirksamt schon vorab signalisiert hat, dem Behördenwillen zu entsprechen“, so Boeddinghaus. Dierk Trispel, Rechtsdezernent des Bezirksamts, bestätigte hernach die Zustimmung der Verwaltung, da der beschlossene B-Plan planrechtlich verbindlich sei.
Eine Chance, wenigstens im Ansatz mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, verpasste die neue Große Koalition, als sie den FDP-Antrag auf Einführung von Bürgerfragestunden in allen Ausschüssen der Bezirksversammlung gegen die Ja-Stimmen der gesamten Opposition ablehnte. „Ich habe den Eindruck, jeder Vorstoß, die Bürger bei wichtigen Entscheidungen anzuhören und zu beteiligen, wird momentan abgebügelt“, sagte der FDP-Abgeordnete Carsten Schuster.
Abgelehnt wurden unterdessen auch alle anderen vier FDP-Anträge. Darunter auch jener, einen Newsletter im Ratsinformationssystem einzuführen, damit sich die Bürger schneller und umfassender über die Anträge der Fraktionen, Drucksachen und Sitzungsprotokollen informieren können.